Ein neuer Kalter Krieg könnte gravierende Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis im Mittleren Osten haben
von Birgit Cerha
„Die
gegenwärtige Krise in der Krim sendet eine sehr wichtige Botschaft an
den Mittleren Osten‘“, analysiert Irena Kalhousova,
Forschungsassistentin am „Institute for National Security Studies“
(INSS) in Tel Aviv. Dennis Ross, alterfahrender
US-Nahostunterhändler, meint gar, der Konflikt um die Ukraine könnte die
gesamte Zukunft des Mittleren Ostens verändern, ganz zu schweigen von
einem durchaus nicht undenkbaren Bruch zwischen Russland und dem Westen.
Die Führer nahöstlicher Staaten seien „scharfsinnige Beobachter des
Gleichgewichts der Kräfte“ und viele „glauben nun, dass die Russen (und
die Iraner) handeln werden, während wir (die USA) nur warnen“.
Mittelöstliche
Analysten sind davon überzeugt, dass Russland eine Intervention in der
Krim niemals gewagt hätte, wenn die Ukraine nicht 1994 im Budapester
Memorandum ihre immense Zahl an Atomsprengköpfen für
Sicherheitszusagen aus Moskau, Washington und London an Russland
abgegeben hätte. Und hätte sich die NATO 2011 zu aktiver militärischer
Unterstützung der Rebellen gegen Libyens Diktator entschlossen, wenn
Muammar Gadafi nicht acht Jahre zuvor seine Massenvernichtungswaffen
aufgegeben hätte? Ultras in der Führungsschichte der „Islamischen
Republik“ fühlen sich zweifellos durch die Entwicklungen
in der Ukraine in ihrem tiefen Misstrauen gegenüber dem Westen und
eventuellen Versprechungen insbesondere der USA bestärkt. In den Kreisen
dieser dem „Geistlichen Führer“ Khamenei nahestehenden Hardliner wächst
somit der Widerstand gegen ein Atomabkommen mit den Weltmächten.
Wiewohl Präsident Rouhani und dessen Außenminister Zarif ihre
Überzeugung bekräftigen, dass die Krise um die Ukraine in keiner Weise
die für den 17. März in Wien geplante nächste Runde der Atomgespräche
beeinflussen werde, ja Zarif gar eine Einigung innerhalb von maximal
vier Monaten erwartet, wird solcher Optimismus durch die Tatsache
getrübt, dass nicht Rouhani der wichtigste Entscheidungsträger im
„Gottesstaat“ ist. Die Khamenei nahestehende Tageszeitung „Kayhan“
stellt vielsagend fest, dass die Krise um die Ukraine „erneut die enorme
Bedeutung des Sicherheitsapparates und des Militärs“ beweise.
Und
wie würde Khamenei einen offenen Bruch zwischen Russland und dem Westen
interpretieren, sollte die Ukraine-Krise tatsächlich zu einer derart
gravierenden Entwicklung eskalieren? Würden die Hardliner in Teheran
eine solche Neuauflage des „Kalten Krieges“ als
Entschlossenheit der USA und des Westens insgesamt werten, in der
Ukraine und damit auch in anderen Ländern eine von ihnen bevorzugte
Regierung durchzusetzen? Während Reformer und
der mit ihnen sympathisierende Teil der iranischen Bevölkerung ,
hungrig nach politischem Wandel den Sturz des ukrainischen Präsidenten
Yanukovitsch als Signal der Hoffnung für die seit viereinhalb Jahren
massiv unterdrückte Reformbewegung im Iran werten, machen
erzkonservative Politiker und Kommentatoren aus ihrem tiefen Unbehagen
über den Erfolg der politischen Protestbewegung in der Ukraine, die noch
dazu vom Westen unterstützt wurde, kein Hehl. Malen sie doch seit
Jahrzehnten und insbesondere seit den monatelangen Massendemonstrationen
gegen die Wiederwahl Präsident Ahmadinedschads 2009/10 unermüdlich das
Schreckgespenst westlicher Unterwanderung zum Zweck des Regimewechsels
an die Wand und sind bis heute davon überzeugt, dass vor allem die USA
immer noch dieses Ziel verfolgt.
Dennoch
bietet die Krimkrise dem Iran in seinem Bestreben aus der zunehmend
quälenden jahrzehntelangen internationalen Isolation auszubrechen
unverhofft neue Chancen. Auf der einen Seite hat das im November 2013 in
Genf geschlossene Interims-Atomabkommen zwischen dem Iran und den
„P5+1“ (den fünf Mitgliedern des Weltsicherheitsrates plus Deutschland)
zu einem Ansturm der großen Energie-, Telekom-, Technik- und
Finanzunternehmen in der Hoffnung auf das große Geschäft im so lange
gemiedenen Iran geführt und enorme Hoffnungen unter der darbenden
Bevölkerung geweckt, die bitter enttäuscht werden könnten, sollte die
Atomgespräche scheitern. Anderseits würden sich durch einen Bruch
zwischen dem Westen und Russland für Teheran durchaus attraktive neue
Chancen ergeben.
Die
Beziehungen zwischen Russland und dem Iran sind äußerst komplex,
Experten sprechen von einer „vorsichtigen Partnerschaft“., die bis heute
nicht den Charakter einer „normalen Kooperation“ zwischen befreundeten
Staaten erreicht hat. So hat Moskau auch UN-Resolutionen
gegen den Iran unterstützt und auf westlichen Druck die versprochene
Lieferung seines S-300 Raketen-Verteidigungssystems an Teheran
hinausgezögert. Zugleich hat der Kreml bisher auf die
amerikanisch-iranische Annäherung konstruktiv reagiert, da Russland die
Sorge vor der Entwicklung iranischer Atomwaffen mit Washington teilt.
Und noch mehr würde ein amerikanischer oder israelischer Militärschlag
auf iranische Atomanalgen und damit eine Destabilisierung des Landes den
Kreml irritieren. Dennoch dürfte Russland die „Islamische Republik“ im
Fall eines offenen Bruchs mit dem Westen weit mehr unterstützen als
bisher- etwa durch Lieferung des noch moderneren S-300-Raketensystems
und einer Serie anderer hochtechnologischer Waffen, und damit Teherans,
streben nach Vormachtstellung in der Region wesentlich stärken. Sollte
auch China Russland in seiner Auseinandersetzung mit dem Westen
stillschweigend unterstützen, könnte Khamenei auf eine neue Weltordnung hoffen, die seinem Land gänzlich neue (ökonomische)Möglichkeiten eröffnen.
Neben Khamenei könnte auch der schwerbedrängte syrische Diktator Assad der größte Gewinner einer eskalierenden Krimkrise werden. Schon
preist ein strahlender Assad die „weise Politik“ des russischen
Präsidenten Putin, zur Wiederherstellung der von „terroristischen
Extremisten“ bedrohten „Sicherheit und Stabilität“ in der Ukraine.
Putins Intervention in der Krim hat die Moral des syrischen Regimes, das
sich ebenfalls durch „Terroristen“ - wie Assad seine Gegner pauschal
klassifiziert - schwer bedrängt sieht, entscheidend gestärkt. Durch
einen offenen Bruch mit dem Westen dürfte Putin seine Hemmungen zur
massiven Unterstützung Assads, seines einzigen Verbündeten in der
strategisch so wichtigen arabischen Region, vollends verlieren. Das
Damaszener Regime könnte damit auf umfangreiche Waffenlieferungen, ja
vielleicht gar die Entsendung russischer Berater und Militärexperten und
damit auf Konsolidierung seiner Macht in diesem ausblutenden Land
hoffen.
Auch
anderswo in der Region meint man in einem neuen Kalten Krieg neue
Chancen zu erkennen. So hat Ägyptens „starker Mann“, Feldmarschall
al-Sisi eben im Kreml einen Waffenkauf in Höhe von drei Milliarden
Dollar ausgehandelt und damit Russland nach mehr als drei Jahrzehnten
wieder die Tore zum volksreichsten arabischen Land und engsten
US-Verbündeten geöffnet. Der zweitwichtigste arabische Verbündete, das
ebenfalls über die US-Nahostpolitik enttäuschte Saudi-Arabien, erklärte
sich bereit, diesen Deal zu finanzieren. Mehr und mehr könnte Russland
die USA als wichtigster Sicherheitspartner mittelöstlicher Regime
ersetzen.
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