Montag, 10. März 2014

Assad und Khamenei – die Sieger der Krimkrise?

Ein neuer Kalter Krieg könnte gravierende Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis im Mittleren Osten haben
 
von Birgit Cerha
 
„Die gegenwärtige Krise in der Krim sendet eine sehr wichtige Botschaft an den Mittleren Osten‘“, analysiert Irena Kalhousova, Forschungsassistentin am „Institute for National Security Studies“ (INSS) in Tel Aviv.  Dennis Ross, alterfahrender US-Nahostunterhändler, meint gar, der Konflikt um die Ukraine könnte die gesamte Zukunft des Mittleren Ostens verändern, ganz zu schweigen von einem durchaus nicht undenkbaren Bruch zwischen Russland und dem Westen. Die Führer nahöstlicher Staaten seien „scharfsinnige Beobachter des Gleichgewichts der Kräfte“ und viele „glauben nun, dass die Russen (und die Iraner) handeln werden, während wir (die USA) nur warnen“.
Mittelöstliche Analysten sind davon überzeugt, dass Russland eine Intervention in der Krim niemals gewagt hätte, wenn die Ukraine nicht 1994 im Budapester Memorandum ihre immense Zahl an Atomsprengköpfen  für Sicherheitszusagen aus Moskau, Washington und London an Russland abgegeben hätte. Und hätte sich die NATO 2011 zu aktiver militärischer Unterstützung der Rebellen gegen Libyens Diktator entschlossen, wenn Muammar Gadafi nicht acht Jahre zuvor seine Massenvernichtungswaffen aufgegeben hätte? Ultras in der Führungsschichte der „Islamischen Republik“  fühlen sich zweifellos durch die Entwicklungen in der Ukraine in ihrem tiefen Misstrauen gegenüber dem Westen und eventuellen Versprechungen insbesondere der USA bestärkt. In den Kreisen dieser dem „Geistlichen Führer“ Khamenei nahestehenden Hardliner wächst somit der Widerstand gegen ein Atomabkommen mit den Weltmächten. Wiewohl Präsident Rouhani und dessen Außenminister Zarif ihre Überzeugung bekräftigen, dass die Krise um die Ukraine in keiner Weise die für den 17. März in Wien geplante nächste Runde der Atomgespräche beeinflussen werde, ja Zarif gar eine Einigung innerhalb von maximal vier Monaten erwartet, wird solcher Optimismus durch die Tatsache getrübt, dass nicht Rouhani der wichtigste Entscheidungsträger im „Gottesstaat“ ist. Die Khamenei nahestehende Tageszeitung „Kayhan“ stellt vielsagend fest, dass die Krise um die Ukraine „erneut die enorme Bedeutung des Sicherheitsapparates und des Militärs“ beweise.
Und wie würde Khamenei einen offenen Bruch zwischen Russland und dem Westen interpretieren, sollte die Ukraine-Krise tatsächlich zu einer derart gravierenden Entwicklung eskalieren? Würden die Hardliner in Teheran eine solche Neuauflage des „Kalten Krieges“  als Entschlossenheit der USA und des Westens insgesamt werten, in der Ukraine und damit auch in anderen Ländern eine von ihnen bevorzugte Regierung durchzusetzen?  Während Reformer  und der mit ihnen sympathisierende Teil der iranischen Bevölkerung , hungrig nach politischem Wandel den Sturz des ukrainischen Präsidenten Yanukovitsch als Signal der Hoffnung für die seit viereinhalb Jahren massiv unterdrückte Reformbewegung im Iran werten, machen erzkonservative Politiker und Kommentatoren aus ihrem tiefen Unbehagen über den Erfolg der politischen Protestbewegung in der Ukraine, die noch dazu vom Westen unterstützt wurde, kein Hehl. Malen sie doch seit Jahrzehnten und insbesondere seit den monatelangen Massendemonstrationen gegen die Wiederwahl Präsident Ahmadinedschads 2009/10 unermüdlich das Schreckgespenst westlicher Unterwanderung zum Zweck des Regimewechsels an die Wand und sind bis heute davon überzeugt, dass vor allem die USA immer noch dieses Ziel verfolgt.
Dennoch bietet die Krimkrise dem Iran in seinem Bestreben aus der zunehmend quälenden jahrzehntelangen internationalen Isolation auszubrechen unverhofft neue Chancen. Auf der einen Seite hat das im November 2013 in Genf geschlossene Interims-Atomabkommen zwischen dem Iran und den „P5+1“ (den fünf Mitgliedern des Weltsicherheitsrates plus Deutschland) zu einem Ansturm der großen Energie-, Telekom-, Technik- und Finanzunternehmen in der Hoffnung auf das große Geschäft im so lange gemiedenen Iran geführt und enorme Hoffnungen unter der darbenden Bevölkerung geweckt, die bitter enttäuscht werden könnten, sollte die Atomgespräche scheitern. Anderseits würden sich durch einen Bruch zwischen dem Westen und Russland für Teheran durchaus attraktive neue Chancen ergeben.
Die Beziehungen zwischen Russland und dem Iran sind äußerst komplex, Experten sprechen von einer „vorsichtigen Partnerschaft“., die bis heute nicht den Charakter einer „normalen Kooperation“ zwischen befreundeten Staaten erreicht hat.  So hat Moskau auch UN-Resolutionen gegen den Iran unterstützt und auf westlichen Druck die versprochene Lieferung seines S-300 Raketen-Verteidigungssystems an Teheran hinausgezögert. Zugleich hat der Kreml bisher auf die amerikanisch-iranische Annäherung konstruktiv reagiert, da Russland die Sorge vor der Entwicklung iranischer Atomwaffen mit Washington teilt. Und noch mehr würde ein amerikanischer oder israelischer Militärschlag auf iranische Atomanalgen und damit eine Destabilisierung des Landes den Kreml irritieren. Dennoch dürfte Russland die „Islamische Republik“ im Fall eines offenen Bruchs mit dem Westen weit mehr unterstützen als bisher- etwa durch Lieferung des noch moderneren S-300-Raketensystems und einer Serie anderer hochtechnologischer Waffen, und damit Teherans, streben nach Vormachtstellung in der Region wesentlich stärken. Sollte auch China Russland in seiner Auseinandersetzung mit dem Westen stillschweigend unterstützen, könnte Khamenei  auf eine neue Weltordnung hoffen, die seinem Land gänzlich neue (ökonomische)Möglichkeiten eröffnen.
Neben Khamenei könnte auch der schwerbedrängte syrische Diktator Assad der größte Gewinner einer eskalierenden Krimkrise werden.  Schon preist ein strahlender Assad die „weise Politik“ des russischen Präsidenten Putin, zur Wiederherstellung der von „terroristischen Extremisten“ bedrohten „Sicherheit und Stabilität“ in der Ukraine. Putins Intervention in der Krim hat die Moral des syrischen Regimes, das sich ebenfalls durch „Terroristen“ - wie Assad seine Gegner pauschal klassifiziert - schwer bedrängt sieht, entscheidend gestärkt. Durch einen offenen Bruch mit dem Westen dürfte Putin seine Hemmungen zur massiven Unterstützung Assads, seines einzigen Verbündeten in der strategisch so wichtigen arabischen Region, vollends verlieren.  Das Damaszener Regime könnte damit auf umfangreiche Waffenlieferungen, ja vielleicht gar die Entsendung russischer Berater und Militärexperten und damit auf Konsolidierung seiner Macht in diesem ausblutenden Land hoffen.
Auch anderswo in der Region meint man in einem neuen Kalten Krieg neue Chancen zu erkennen. So hat Ägyptens „starker Mann“, Feldmarschall al-Sisi eben im Kreml einen Waffenkauf in Höhe von drei Milliarden Dollar ausgehandelt und damit Russland nach mehr als drei Jahrzehnten wieder die Tore zum volksreichsten arabischen Land und engsten US-Verbündeten geöffnet. Der zweitwichtigste arabische Verbündete, das ebenfalls über die US-Nahostpolitik enttäuschte Saudi-Arabien, erklärte sich bereit, diesen Deal zu finanzieren. Mehr und mehr könnte Russland die USA als wichtigster Sicherheitspartner mittelöstlicher Regime ersetzen.

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