Zorn und Frustration, Spott und Gleichgültigkeit über Obamas
Aufschub einer Militärintervention gegen das Assad-Regime
von Birgit Cerha
Syrische Reaktionen auf die Entscheidung von US-Präsident
Obama, der russischen Initiative zur Übergabe des syrischen
Chemiewaffen-Arsenals an die UNO eine Chance zu geben und eine
Militärintervention gegen das Assad-Regime aufzuschieben reflektieren die tiefe
Spaltung in der syrischen Gesellschaft. Die Zivilbevölkerung, die in höchst
dramatischer Weise die Hauptlast dieses Krieges trägt und durch einen
westlichen Militärschlag noch mehr Leid, Zerstörung und Tod fürchtet, empfindet wohl angesichts der ohnedies stets
präsenten Todesgefahr eine Mischung aus Erleichterung und resignierter
Gleichgültigkeit über Obamas Entscheidung. In den vom Assad-Regime
kontrollierten und überwiegend relativ ruhigen Teilen des Landes, überwiegt die
Erleichterung. Selbst in dem berühmten christlichen Bergdorf Malula, das in dem
nach heftigen Kämpfen die mit der Al-Kaida verbündete „Al-Nusra-Front“ die
Kontrolle übernommen und dabei Kirche und Kloster geschändet hatte, versetzt
die dort wirkenden Geistlichen die Aussicht auf einen westlichen Militärschlag
in Panik: Nur nicht noch mehr Gewalt zusätzlich zu den mit Hass erfüllten
radikalen Islamisten.
Die Tage der weltweiten politischen Diskussion vor einer
geplanten Abstimmung über einen Militärschlag im US-Kongress haben innerhalb
Syriens dramatisch illustriert, dass dieser Krieg schon längst seine
Eigengesetzlichkeit erlangt hat. der sich durch eine kurze Militäraktion, wie
sie Obama – immer noch – plant, wohl auch kaum rascher beenden lässt. Kämpfe in verschiedenen Landesteilen gingen unvermindert
weiter, ja eskalierten gar. Doch die politische und gemäßigte militante Opposition, die seit
Jahren auf eine westliche Militärintervention gedrängt hatte, ist über Obamas
Entscheidung und Russlands Initiative zutiefst empört. General Salim Idris,
Stabschef des „Höchsten Militärrates“ der“ Freien syrischen Armee“, wertet die
Zustimmung Assads zur Übergabe des gesamten Arsenals an chemischen Waffen als
reinen „Zeitgewinn…, um unsere amerikanischen Freunde und die internationale
Gemeinschaft“ zu täuschen. Ohnedies würde die weitverbreitete Gewalt die Arbeit
von UN-Waffeninspektoren schier unmöglich machen. Idris größter Zorn aber
richtet sich gegen Russland, das mit seiner Initiative nichts anderes erstrebe,
als die Rettung des Assad-Regimes. Auch andere Oppositionelle teilen Idris‘
tiefes Misstrauen gegenüber Moskau, das immerhin einst Damaskus den Aufbau des
wahrscheinlich weltweit größten Arsenals an chemischen Waffen – als Gegengewicht
zum israelischen Atomwaffen-Arsenal – ermöglicht hatte.
Al-Nusra, die stärkste Gruppe der radikalen islamistischen
Rebellen, misstraut nicht nur Russland, sondern bleibt davon überzeugt, dass
die Amerikaner irgendwann noch gegen sie losschlagen würden. Sie zieht es
deshalb vor, in ihren Verstecken zu bleiben, die sie in den vergangenen Tagen
aus Angst vor einem US-Angriff auch auf ihre Positionen bezogen hatte.
In den sozialen Netzwerken versuchen Syrer auf beiden Seiten
ihre Verzweiflung über eine völlig hoffnungslos erscheinende Situation durch
schwarzen Humor zu überwinden. Da taucht eine Karikatur von einem lächelnden
Obama auf, der an den Blättern eines Gänseblümchens zupft und dort die Antwort
auf die Frage erhofft: „Soll ich bombardieren? Oder soll ich nicht bombardieren?“
Ein Syrer mokiert sich unter einem Foto von Obama: „Wenn der Kongress grünes
Licht für einen Militärschlag gibt, werde ich meine Frau Michelle und meine
Schwiegereltern dazu befragen.“ Ein anderer meint bitter unter Hinweis auf die
bereits mehr als 100.000 Toten: „Mr. President, sie haben recht. Wir sollen
noch weitere drei Jahre warten, bis das syrische Volk ausgelöscht ist.“
In Kreisen der gemäßigten Opposition glaubt man, die
westliche Intervention werde nun niemals mehr kommen, insbesondere da der
Syrienkonflikt in Washington auf die Frage der Chemiewaffen reduziert worden
sei. Das Regime werde sich dadurch zu
noch mehr Gewalt ermutigt fühlen und der Widerstand werde mehr und mehr
radikalisiert, unter Führung extremistischer Jihadis. Die größte Tragödie sei,
meint eine politische Aktivistin, dass sich die Frage der Intervention rein auf
politische Macht und nicht auf humanitäre Kriterien konzentriere. „Wir haben
das Vertrauen (in die USA) endgültig verloren“, lautet eine weithin verbreitete
Ansicht.
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