Mittwoch, 11. September 2013

Syrien: „Das Vertrauen ist endgültig verloren”

Zorn und Frustration, Spott und Gleichgültigkeit über Obamas Aufschub einer Militärintervention gegen das Assad-Regime
 
von Birgit Cerha
 
Syrische Reaktionen auf die Entscheidung von US-Präsident Obama, der russischen Initiative zur Übergabe des syrischen Chemiewaffen-Arsenals an die UNO eine Chance zu geben und eine Militärintervention gegen das Assad-Regime aufzuschieben reflektieren die tiefe Spaltung in der syrischen Gesellschaft. Die Zivilbevölkerung, die in höchst dramatischer Weise die Hauptlast dieses Krieges trägt und durch einen westlichen Militärschlag noch mehr Leid, Zerstörung und  Tod fürchtet,  empfindet wohl angesichts der ohnedies stets präsenten Todesgefahr eine Mischung aus Erleichterung und resignierter Gleichgültigkeit über Obamas Entscheidung. In den vom Assad-Regime kontrollierten und überwiegend relativ ruhigen Teilen des Landes, überwiegt die Erleichterung. Selbst in dem berühmten christlichen Bergdorf Malula, das in dem nach heftigen Kämpfen die mit der Al-Kaida verbündete „Al-Nusra-Front“ die Kontrolle übernommen und dabei Kirche und Kloster geschändet hatte, versetzt die dort wirkenden Geistlichen die Aussicht auf einen westlichen Militärschlag in Panik: Nur nicht noch mehr Gewalt zusätzlich zu den mit Hass erfüllten radikalen Islamisten.
Die Tage der weltweiten politischen Diskussion vor einer geplanten Abstimmung über einen Militärschlag im US-Kongress haben innerhalb Syriens dramatisch illustriert, dass dieser Krieg schon längst seine Eigengesetzlichkeit erlangt hat. der sich durch eine kurze Militäraktion, wie sie Obama – immer noch – plant, wohl auch kaum rascher beenden lässt. Kämpfe  in verschiedenen Landesteilen gingen unvermindert weiter, ja eskalierten gar. Doch die politische und  gemäßigte militante Opposition, die seit Jahren auf eine westliche Militärintervention gedrängt hatte, ist über Obamas Entscheidung und Russlands Initiative zutiefst empört. General Salim Idris, Stabschef des „Höchsten Militärrates“ der“ Freien syrischen Armee“, wertet die Zustimmung Assads zur Übergabe des gesamten Arsenals an chemischen Waffen als reinen „Zeitgewinn…, um unsere amerikanischen Freunde und die internationale Gemeinschaft“ zu täuschen. Ohnedies würde die weitverbreitete Gewalt die Arbeit von UN-Waffeninspektoren schier unmöglich machen. Idris größter Zorn aber richtet sich gegen Russland, das mit seiner Initiative nichts anderes erstrebe, als die Rettung des Assad-Regimes. Auch andere Oppositionelle teilen Idris‘ tiefes Misstrauen gegenüber Moskau, das immerhin einst Damaskus den Aufbau des wahrscheinlich weltweit größten Arsenals an chemischen Waffen – als Gegengewicht zum israelischen Atomwaffen-Arsenal – ermöglicht hatte.
Al-Nusra, die stärkste Gruppe der radikalen islamistischen Rebellen, misstraut nicht nur Russland, sondern bleibt davon überzeugt, dass die Amerikaner irgendwann noch gegen sie losschlagen würden. Sie zieht es deshalb vor, in ihren Verstecken zu bleiben, die sie in den vergangenen Tagen aus Angst vor einem US-Angriff auch auf ihre Positionen bezogen hatte.
In den sozialen Netzwerken versuchen Syrer auf beiden Seiten ihre Verzweiflung über eine völlig hoffnungslos erscheinende Situation durch schwarzen Humor zu überwinden. Da taucht eine Karikatur von einem lächelnden Obama auf, der an den Blättern eines Gänseblümchens zupft und dort die Antwort auf die Frage erhofft: „Soll ich bombardieren? Oder soll ich nicht bombardieren?“ Ein Syrer mokiert sich unter einem Foto von Obama: „Wenn der Kongress grünes Licht für einen Militärschlag gibt, werde ich meine Frau Michelle und meine Schwiegereltern dazu befragen.“ Ein anderer meint bitter unter Hinweis auf die bereits mehr als 100.000 Toten: „Mr. President, sie haben recht. Wir sollen noch weitere drei Jahre warten, bis das syrische Volk ausgelöscht ist.“
In Kreisen der gemäßigten Opposition glaubt man, die westliche Intervention werde nun niemals mehr kommen, insbesondere da der Syrienkonflikt in Washington auf die Frage der Chemiewaffen reduziert worden sei.  Das Regime werde sich dadurch zu noch mehr Gewalt ermutigt fühlen und der Widerstand werde mehr und mehr radikalisiert, unter Führung extremistischer Jihadis. Die größte Tragödie sei, meint eine politische Aktivistin, dass sich die Frage der Intervention rein auf politische Macht und nicht auf humanitäre Kriterien konzentriere. „Wir haben das Vertrauen (in die USA) endgültig verloren“, lautet eine weithin verbreitete Ansicht.

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