Sonntag, 8. September 2013

Interne Opposition fürchtet US-Schlag gegen Syrien

Während Assads externe Gegner auf eine Militärintervention drängen, wachsen die Ängste der gequälten Zivilbevölkerung, insbesondere der Christen und der Kurden
 
von Birgit Cerha
 
[Bild: von l.n.r.; Abdel Azim, Raja Nasser]
 
Die Möglichkeit eines amerikanischen Militärschlags versetzt einen großen Teil der durch den zweieinhalbjährigen grausamen Krieg fast bis zur Unerträglichkeit gequälten Zivilbevölkerung Syriens zunehmend in Panik. Sie fürchtet nicht nur, von Raketen, Bomben und einstürzenden Gebäuden getroffen zu werden, sondern durch das unweigerlich sich verschärfende Chaos verstärkt der blutigen Gewalt unkontrollierbarer Jihadis und anderer militanten Gruppen schutzlos ausgesetzt zu sein.
Vor diesem drohenden Chaos in einer ohnedies schon verzweifelten Situation warnt nun auch die Vertretung der internen syrischen Opposition, des „Syrischen Nationalen Koordinationskomitees“ (SNKK). Im Gegensatz zur externen Opposition, die den Westen seit langem zu einer Militärintervention drängt, ohne dass sie ein Konzept für die Zeit nach Präsident Assad  entwerfen konnte, lehnt das SNKK entschieden einen US-Schlag ab. SNKK-Koordinator Hassan Abdel Azim fordert eindringlich ein Ende der Gewalt, da diese nicht nur Syrien bedrohe, sondern auch die anderen Länder der Region, indem sie die ohnedies sich stetig verschärfenden  ethnischen und religiösen Konflikte gefährlich aufheizen werde.In einem Interview mit der libanesischen Zeitung „As-Safir“, schildert Azim die enorme Gefahr eines Krieges, der, im Gegensatz zu den regional vergleichsweise begrenzten Konflikten etwa im Irak (2003) oder Libyen (2011), in die westliche Militärmächte eingegriffen hatten, die gesamte Region mit sich reißen werde. Der einzige Weg zu einer Lösung der syrischen Krise, zum Erhalt der Einheit des Landes ist nach Überzeugung des SNKK der politische. Das Komitee drängt deshalb auf die sofortige Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen mit dem Ziel so schnell wie möglich einen Waffenstillstand zu erreichen.
SNKK-Generalsekretär Raja Nasser nennt drei entscheidende Gründe für die Ablehnung ausländischer Militärintervention: Schutz der nationalen Souveränität, die die Einmischung äußerer Kräfte verbietet; strategische Interessen, die „sich auf unsere Vision „ eines unabhängigen Syriens stützten, die im Gegensatz stehen zu „dem amerikanisch-westlichen-zionistischen Projekt“; die realistische Erkenntnis, dass jeder Schlag gegen das Regime die Kräfte des Extremismus auf beiden Seiten dieses blutigen Konflikts stärken und ihnen ideologische Rechtfertigung liefern werde, ihre jeweiligen Anhänger aufkosten des nationalistisch-demokratischen Projektes“ zu mehr Gewalt aufzustacheln. Es gehe „für uns um weit mehr als die Bestrafung (des Regimes, wie es die USA propagieren), es geht um die strategische Vision zur Lösung dieses Konflikts.“ Und vor allem, wird nach der überzeugenden Ansicht Nassers, ein US-Militärschlag noch viel mehr Hindernisse auf den ohnedies schon so steinigen Weg zu einer politischen Lösung aufbauen.
Andere Oppositionsgruppen innerhalb Syriens misstrauen den amerikanischen Motiven zutiefst. Sie sind überzeugt, dass ein US-Schlag gar nichts mit den chemischen Waffen zu tun habe, sondern nur als Vorwand diene, um Syrien unter westlich-israelische Kontrolle zu zwingen, so wie es 2003 im Irak – allerdings ohne Erfolg – versucht worden war.
Ein Teil der militanten Opposition hingegen sieht eine US-Militäraktion als Chance, das Gleichgewicht der Kräfte in diesem Krieg zu ihren Gunsten zu verschieben und bereitet sich bereits auf Attacken an diversen Fronten, im Norden und Süden, wie auch im Westen des Landes vor, sobald die Amerikaner losschlagen.  Doch die syrischen Kämpfer sind militärisch weitaus schwächer als die insbesondere von Saudi-Arabien und Katar mit Waffen reich ausgestatteten salafistischen Gruppen, die ihre Positionen um Damaskus, Daraa und an der Mittelmeerküste  intensiv verstärken. In diesen Kreisen befürchtet man aber auch, dass die USA nicht nur gegen das Assad-Regime losschlagen könnten, sondern auch gegen die radikalen, mit der Al-Kaida verbündeten Islamisten, die den Westen unverändert als Erzfeind betrachten.
Viele der durch den Krieg bereits so lange gequälten syrische Zivilisten empfinden die Position der aus ihren sicheren Stützpunkten im wohlhabenden Westen nach Krieg schreienden Exilopposition als himmelschreienden Zynismus. Insbesondere die Minderheiten, allen voran die Christen, aber auch die von Jihadis in den vergangenen Wochen zunehmend gewaltsam bedrohten Kurden, fürchten hemmungslose Attacken der radikalen Gegner Assads, die sie seit Ausbruch des Krieges ungeachtet aller Bemühungen um Neutralität in diesem Konflikt als Kollaborateure mit ihrem Erzfeind betrachten.
Und insgesamt, so warnen unabhängige, sich nur von humanitären Motiven leitende Aktivisten, zählt Syrien schon jetzt zu den größten Katastrophen der jüngsten Geschichte des Orients, mit zwei Millionen ins Ausland Geflüchteten und mindestens fünf Millionen intern Vertriebenen, von einer Gesamtbevölkerung von 22,4 Millionen.  Und diese Zahlen beziehen sich nur auf die Registrierten. Die Dunkelziffer könnte nochmals in die Million gehen, auch ohne US-Raketen, ganz zu schweigen von der unmittelbaren Zukunft, wenn das Ersparte von weiteren Hunderttausenden Familien zur Neige geht und sie und sie sich kaum noch aus eigenen Kräften Nahrungsmittel beschaffen können. Welchen Stellenwert aber besitzt in Washington und anderen westlichen Hauptstätten im aktuellen Syrienkonflikt die Überlebenshilfe für Millionen?

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