Während Assads externe Gegner auf eine Militärintervention
drängen, wachsen die Ängste der gequälten Zivilbevölkerung, insbesondere der
Christen und der Kurden
von Birgit Cerha
[Bild: von l.n.r.; Abdel Azim, Raja Nasser]
Die Möglichkeit eines amerikanischen Militärschlags versetzt
einen großen Teil der durch den zweieinhalbjährigen grausamen Krieg fast bis
zur Unerträglichkeit gequälten Zivilbevölkerung Syriens zunehmend in Panik. Sie
fürchtet nicht nur, von Raketen, Bomben und einstürzenden Gebäuden getroffen zu
werden, sondern durch das unweigerlich sich verschärfende Chaos verstärkt der
blutigen Gewalt unkontrollierbarer Jihadis und anderer militanten Gruppen schutzlos
ausgesetzt zu sein.
Vor diesem drohenden Chaos in einer ohnedies schon
verzweifelten Situation warnt nun auch die Vertretung der internen syrischen
Opposition, des „Syrischen Nationalen Koordinationskomitees“ (SNKK). Im
Gegensatz zur externen Opposition, die den Westen seit langem zu einer
Militärintervention drängt, ohne dass sie ein Konzept für die Zeit nach
Präsident Assad entwerfen konnte, lehnt
das SNKK entschieden einen US-Schlag ab. SNKK-Koordinator Hassan Abdel Azim
fordert eindringlich ein Ende der Gewalt, da diese nicht nur Syrien bedrohe,
sondern auch die anderen Länder der Region, indem sie die ohnedies sich stetig
verschärfenden ethnischen und religiösen
Konflikte gefährlich aufheizen werde.In einem Interview mit der libanesischen
Zeitung „As-Safir“, schildert Azim die enorme Gefahr eines Krieges, der, im
Gegensatz zu den regional vergleichsweise begrenzten Konflikten etwa im Irak
(2003) oder Libyen (2011), in die westliche Militärmächte eingegriffen hatten,
die gesamte Region mit sich reißen werde. Der einzige Weg zu einer Lösung der
syrischen Krise, zum Erhalt der Einheit des Landes ist nach Überzeugung des
SNKK der politische. Das Komitee drängt deshalb auf die sofortige
Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen mit dem Ziel so schnell wie möglich
einen Waffenstillstand zu erreichen.
SNKK-Generalsekretär Raja Nasser nennt drei entscheidende
Gründe für die Ablehnung ausländischer Militärintervention: Schutz der
nationalen Souveränität, die die Einmischung äußerer Kräfte verbietet;
strategische Interessen, die „sich auf unsere Vision „ eines unabhängigen
Syriens stützten, die im Gegensatz stehen zu „dem
amerikanisch-westlichen-zionistischen Projekt“; die realistische Erkenntnis,
dass jeder Schlag gegen das Regime die Kräfte des Extremismus auf beiden Seiten
dieses blutigen Konflikts stärken und ihnen ideologische Rechtfertigung liefern
werde, ihre jeweiligen Anhänger aufkosten des nationalistisch-demokratischen
Projektes“ zu mehr Gewalt aufzustacheln. Es gehe „für uns um weit mehr als die
Bestrafung (des Regimes, wie es die USA propagieren), es geht um die
strategische Vision zur Lösung dieses Konflikts.“ Und vor allem, wird nach der
überzeugenden Ansicht Nassers, ein US-Militärschlag noch viel mehr Hindernisse
auf den ohnedies schon so steinigen Weg zu einer politischen Lösung aufbauen.
Andere Oppositionsgruppen innerhalb Syriens misstrauen den
amerikanischen Motiven zutiefst. Sie sind überzeugt, dass ein US-Schlag gar
nichts mit den chemischen Waffen zu tun habe, sondern nur als Vorwand diene, um
Syrien unter westlich-israelische Kontrolle zu zwingen, so wie es 2003 im Irak –
allerdings ohne Erfolg – versucht worden war.
Ein Teil der militanten Opposition hingegen sieht eine
US-Militäraktion als Chance, das Gleichgewicht der Kräfte in diesem Krieg zu
ihren Gunsten zu verschieben und bereitet sich bereits auf Attacken an diversen
Fronten, im Norden und Süden, wie auch im Westen des Landes vor, sobald die
Amerikaner losschlagen. Doch die syrischen
Kämpfer sind militärisch weitaus schwächer als die insbesondere von
Saudi-Arabien und Katar mit Waffen reich ausgestatteten salafistischen Gruppen,
die ihre Positionen um Damaskus, Daraa und an der Mittelmeerküste intensiv verstärken. In diesen Kreisen
befürchtet man aber auch, dass die USA nicht nur gegen das Assad-Regime
losschlagen könnten, sondern auch gegen die radikalen, mit der Al-Kaida
verbündeten Islamisten, die den Westen unverändert als Erzfeind betrachten.
Viele der durch den Krieg bereits so lange gequälten
syrische Zivilisten empfinden die Position der aus ihren sicheren Stützpunkten
im wohlhabenden Westen nach Krieg schreienden Exilopposition als himmelschreienden
Zynismus. Insbesondere die Minderheiten, allen voran die Christen, aber auch
die von Jihadis in den vergangenen Wochen zunehmend gewaltsam bedrohten Kurden,
fürchten hemmungslose Attacken der radikalen Gegner Assads, die sie seit
Ausbruch des Krieges ungeachtet aller Bemühungen um Neutralität in diesem
Konflikt als Kollaborateure mit ihrem Erzfeind betrachten.
Und insgesamt, so warnen unabhängige, sich nur von
humanitären Motiven leitende Aktivisten, zählt Syrien schon jetzt zu den
größten Katastrophen der jüngsten Geschichte des Orients, mit zwei Millionen
ins Ausland Geflüchteten und mindestens fünf Millionen intern Vertriebenen, von
einer Gesamtbevölkerung von 22,4 Millionen.
Und diese Zahlen beziehen sich nur auf die Registrierten. Die
Dunkelziffer könnte nochmals in die Million gehen, auch ohne US-Raketen, ganz
zu schweigen von der unmittelbaren Zukunft, wenn das Ersparte von weiteren
Hunderttausenden Familien zur Neige geht und sie und sie sich kaum noch aus
eigenen Kräften Nahrungsmittel beschaffen können. Welchen Stellenwert aber
besitzt in Washington und anderen westlichen Hauptstätten im aktuellen
Syrienkonflikt die Überlebenshilfe für Millionen?
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