Armeechef Sisi ringt um Legitimität durch
Massendemonstrationen, während die Justiz offizielle Anklage gegen Mursi erhebt
von Birgit Cerha
Eine riesige Menschenmenge füllte Freitag abend die Straßen
um die Rabaa al-Adawiya Moschee in Kairo, wo Anhänger Ex-Präsident Mursis seit
dessen Sturz am 3. Juli durch Sitzstreiks die Wiedereinsetzung ihres Idols zu
erzwingen suchen. Sunnitische Geistliche hatten Donnerstag und Freitag
Sympathisanten der Moslembruderschaft Mursis zu Demonstrationen aufgerufen,
nachdem Ägyptens „neuer Pharaoh“, wie Medien bereits den starken Mann des
Militärs, Verteidigungsminister und stellvertretenden Premier General Sisi
titulieren, das Volk aufgerufen hatte in „Millionenzahl“ auf die Straßen zu
gehen, um ihm ein Mandat zur „Bekämpfung des Terrors“ zu geben. Was genau der Armeechef damit meint, wird sich
erst in den nächsten Tagen herausstellen. Nicht nur Mursis Anhänger befürchten
allerdings, dass sich der General Rückendeckung für ein massives und
gewaltsames Vorgehen gegen die Moslembruderschaft zu verschaffen hofft.
Vor allem aber geht es Sisi auch darum, sich und seinem
Übergangssystem gegenüber dem zunehmend kritischen Ausland Legitimität durch
Millionen für ihn demonstrierende Ägypter zu verschaffen, dem Vorwurf, das
Militär hätte gegen Mursi geputscht entgegenzuhalten, dass es sich in Wahrheit
um den Vollzog des Volkswillens, die Fortsetzung der Revolution gegen Diktatur
handle.
Zugleich heitzten Ägyptens neue Führer die Emotionen Freitag
morgen weiter gefährlich auf, als die Staatsanwaltschaft die offizielle
15-tägige Verhaftung Mursis verkündete und dies mit einem gemeinsam mit der
islamistischen palästinensischen Hamas durchgeführten Komplott begründete, bei
dem im während der Turbulenzen der Revolution gegen Diktator Mubarak 2011 eine
Gruppe führender Moslembrüder, darunter Mursi selbst, aus einem Kairoer
Gefängnis befreit wurden. Auch hier geht
es primär darum, ausländische Kritik zum Schweigen zu bringen. Seit seinem
Sturz wird Mursi von den Streitkräften an einem unbekannten Ort ohne Angabe von
Gründen festgehalten und
Menschenrechtsorganisationen und eine zunehmende Zahl westlicher Politiker
fordert seine Freilassung, mit der zweifellos ein wichtiger Schritt zur
nationalen Versöhnung gesetzt worden wäre. Die offizielle Verhaftungserklärung läßt
jedoch darauf schließen, dass die neuen Führer die Moslembruderschaft, diese
älteste und größte Bewegung Ägyptens, vollends von der politischen Szene
verdrängen wollen. Hamas, wie Sprecher der Moslembruderschaft haben unterdessen
die Vorwürfe gegen Mursi energisch zurückgewiesen. Mursis Anhänger sehen darin
einen weiteren Hinweis darauf, dass sich Kräfte des Mubarak-Regimes erneut in
den höchsten Institutionen des Landes durchsetzen. Die Rufe „Sisi Verräter“ und
„Weg mit Sisi“ erschallten denn auch laut bei den Demonstrationen am Freitag.
In Kairo, wo schwere Zusammenstöße zwischen den
Gegenparteien befürchtet werden, sind ganze Stadtviertel von Militärs und
Panzern besetzt. Während zweifellos viele Gegner der Moslembruderschaft Sisis
Aufruf zur Unterstützung seiner Strategie im „Kampf gegen Terror und Gewalt“
folgen, womit der General radikale Islamisten meint, die im Sinai seit Mursis
Sturz täglich Militär- und Polizeiposten überfallen, aber ebenso die wiederholt
gewalttätigen Anhänger der Moslembruderschaft, erheben sich auch unter
säkularen Menschenrechtsaktivisten und liberalen Kreisen des Landes kritische
Stimmen gegen Sisi. „Die Armee braucht
kein Mandat des Volkes, um gegen Terroristen vorzugehen“, meint ein Vertreter
des Kairoer Institutes für Menschenrechte. Das Gesetz lege klar die Richtlinien
fest, wenn Terrorverdacht gegeben sei. Gewaltakte gegen mutmaßliche “Terroristen“
- dazu will man in diesen Kreisen Sisi
keinen Freibrief erteilen.
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