Doch die vom Westen unterstützte Koalition droht in die Bedeutungslosigkeit zu
versinken – Militante Radikale auf dem Vormarsch
von Birgit Cerha
Es sollte ein großer Triumph des im November mit starker
amerikanischer Unterstützung gegründeten Dachverbandes der syrischen
Opposition, des „Syrischen National-Kongresses“ (SNC), werden, wenn er den seit
16 Monaten vakanten Sitz Syriens beim Gipfel der „Arabischen Liga“ anstelle des
Assad-Regimes einnimmt. Doch als der bisherige SCN-Chef, Moaz al-Khatib, Dienstag
zur Eröffnung des Arabischen Gipfels unter
Applaus der Teilnehmer eine flammende Rede hielt, konnte er damit nicht den
enormen Glaubwürdigkeitsverlust wettmachen, den seine Organisation insbesondere
in den vergangenen Tagen erlitten hatte. Wer nun tatsächlich die große Schar
der Gegner des schwer bedrängten syrischen Präsidenten anführt, erweist sich
zwei Jahre nach Beginn der Rebellion gegen Baschar el Assad als ungelöstes
Problem, das das Dilemma all jener ausländischen Mächte, die Assads Gegner
unterstützen wollen, nur noch vergrößert.
Khatib hatte sich offenbar starkem Druck aus dem Westen aber
auch der wachsenden Schar seiner syrischen Anhänger gebeugt und trotz seines
offiziell deklarierten Rücktritts, sowie gleichzeitigem Austritt aus dem SNC am
Sonntag, die Delegation zum Arabischen Gipfel angeführt. Ob er sich vielleicht
doch noch zu einer Rücknahme seiner Demission überreden lässt, bleibt vorerst
ungeklärt.
Der charismatische ehemalige Imam der Omayaden-Moschee in
Damaskus, eines der größten islamischen Heiligtümer, gilt als eine kaum zu
ersetzende Integrationsfigur. Syrische Analysten sind davon überzeugt, dass der
SNC diesen Verlust, den die Koalition bisher allerdings nicht akzeptiert hat,
kaum überstehen werde.
„Rote Linien“, die er zum Zeitpunkt seiner Ernennung gezogen
habe, seien überschritten worden, begründete der gemäßigte Geistliche seinen
Rücktritt. Er kritisierte Weltmächte, dass sie dem syrischen Volk nicht ausreichend
Schutz böten und forderte die USA auf, mit den in der Türkei stationierten
Patriot-Raketen die von Rebellen kontrollierten Gebiete in Nord-Syrien gegen
Luftangriffe des syrischen Regimes zu verteidigen.
Doch Khatib setzt nicht – wie starke Kräfte in der
Opposition – auf einen militärischen Sieg. Dieser ist seiner Überzeugung nach
nicht oder wenn dann nur mit noch viel größeren Opfern – bis zur Zerstörung von
Damaskus – zu erreichen. Deshalb hatte er als erster Oppositionsführer zu
Jahresbeginn Assad einen Dialog angeboten, eine Strategie, die zunehmend die
USA und auch einige europäische Länder befürworten. Unter den Regimegegnern
aber stieß er damit auf heftigen Widerstand, eine Entwicklung, die nun auch
entscheidend zu seiner Resignation geführt haben dürfte.
Seit Beginn des Aufstandes vor zwei Jahren ist Syriens Exil-
Opposition durch interne Querelen, Machtstreben diverser Gruppen und starke
ausländische Einflussnahme zerrissen. Saudi-Arabien, das kleine, aber seine
Großmachtambitionen zunehmend aggressiv verfolgende Katar und die Türkei haben
sich jeweils für ihre Ziele ihre Verbündeten in der Opposition aufgebaut, die sie
eifrig aufpäppeln und die nun zunehmend miteinander in Konflikt geraten. Khatib
bewahrte sich als überzeugter syrischer Patriot seine Unabhängigkeit und gewann
damit in den vergangenen Wochen immer mehr Achtung und Sympathie daheim. Nach
zweimaligem Gefängnisaufenthalten war der offen das Regime kritisierende
Geistliche im Vorjahr ins Exil nach Kairo gegangen, unterhält aber, im
Gegensatz zu vielen anderen Exil-Oppositionellen, weiterhin engen Kontakt mit
der syrischen Bevölkerung. Doch er konnte nicht verhindern, dass dem SNC ein
ähnliches Schicksal widerfuhr, wie zuvor dem anderen Dachverband, dem „Syrischen
Nationalrat“ (SNR), in dem die Moslembruderschaft mehr und mehr andere
politische Gruppierungen verdrängte. Dies versuchten die „Brüder“ nun erneut,
als sie vor einer Woche die Wahl des ihnen nahestehenden Islamisten Ghassan
Hitto, der 30 Jahre lang in den USA gelebt hatte, zum interimistischen Premier
für die „befreiten Gebiete“ erzwang. Hitto, so der Plan der Moslembrüder und
ihres engsten Verbündeten Katar, sollte zunehmend Khatib ausbooten. Dabei geht
es nicht nur um ideologische, sondern auch um strategische Fragen. So stellte
Hitto sofort klar, dass ein Dialog mit
dem Regime ausgeschlossen sei und bekräftigte damit die energisch von den „Brüdern“ und Katar vertretene Position. Elf führende säkulare Oppositionelle suspendierten aus
Protest gegen die Aufoktroyierung Hittos ihre Mitgliedschaft in der SNC ,
während auch die „Freie Syrische Armee“ (FSA), der militärische Arm der SNC,
Hittos Ernennung nicht akzeptiert. Doch die FSA verliert nicht zuletzt auch
durch die schwere Verwundung ihres Gründers Riad Asaad Montag zunehmend an
Schlagkraft.
Während die Exilopposition auf diese Weise mehr und mehr an
Relevanz verliert, gewinnen die Jihadisten der „Islamischen Front“ und der mit
Al-Kaida verbündeten „Jabhat al-Nusra“ zunehmend an Stärke. Sie erzielten einen
großen militärischen Sieg in der ostsyrischen Stadt Raqqa und bewegen sich nun
entlang der Wüsten-Schnellstraße, ebenso wie die Islamisten aus dem Norden Richtung
Damaskus. Eine Entwicklung, die die
Bewohner der Hauptstadt in Panik versetzt. Sie zeigt aber nur all zu deutlich,
dass es die Kämpfer an den Fronten sind, überwiegend mehr und etwas weniger
radikale Islamisten, die der politischen Opposition die strategischen
Entscheidungen aufzwingen werden.
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