Anhaltende Massenprotest bringen Premier Maliki vor wichtigen
Wahlen in schwere Bedrängnis
von Birgit Cerha
„Die Weisheit von heute:
Der Galgen ist das Ende einer Diktatur – vergiss das nicht!“ Tausende
arabische Sunniten schwingen in Falludscha, 50 km westlich von Bagdad, Banner
mit dieser an Schiitenpremier Nuri al
Maliki gerichteten Drohung.
Demonstranten halten eine Karikatur
in die Höhe, die den Regierungschef zeigt, wie er mit
einer Tasche voll von Dollarscheinen auf
einem iranischen Flugzeug aus dem Zweistromland flüchtet. Immer lauter
erschallt der Ruf nach dem Sturz Malikis, einem Ende der iranischen
Dominanz
über dem Irak, während Massendemonstrationen, die vor drei Wochen in der
Sunnitenprovinz Anbar begonnen hatten, kein Ende finden.All dies vor
wichtigen Provinzwahlen im März und der Diskussion um vorgezogene
Parlamentswahln.
Iraks Regierung, ja das gesamte politische Systemsteckt in
der schwersten Krise seit die von den USA angeführte Invasion des Landes vor
fast einem Jahrzehnt Diktator Saddam Hussein gestürzt hatte. Die Regierung ist
im Chaos, der Präsident, der eine wichtige Stabilitätsfunktion ausübt, krank im
Ausland, Parlament und Kabinett sind gelähmt; kein Budget für 2013, die
Verfassung konfliktgeladen und Interpretationen vorbehalten; die politische
Elite liegt sich in den Haaren. Das Land steckt in der Sackgasse. Während der
Irak sich ein Jahr nach dem vollständigen Abzug der US-Truppen wieder auf der
internationalen Bühne zu behaupten sucht, wird er politisch durch
rivalisierende Kräfte und divergierende Einflüsse
der Nachbarn in gegensätzliche Richtungen gezerrt.
Als nach der Verhaftung des Leibwächters von Finanzminister
Rafa al-Issawi, des höchsten sunnitischen Regierungsmitglieds seit dem
Ausscheiden von Vizepremier Tarek al-Hashemi und dessen mehrfacher Verurteilung
zum Tode wegen der angeblichen Gründung
von Todesschwadronen im Vorjahr, Zehntausende arabische Sunniten ihren tiefen
Frustrationen über den Regierungschef Luft machten, spekulieren Kommentatoren
darüber, ob sich der Geist des „arabischen Frühlings“ nun auch der von den USA
eingesetzten demokratische Ordnung des Zweistromlandes zusetzt.
„Wir akzeptieren nicht zu Bürgern zweiter Klasse“ reduziert
zu werden, fasst der sunnitische Parlamentarier Ahmed al Missari den Zorn der
durch den Sturz Saddam Husseins von der Macht gedrängten Minderheit zusammen.
Sie fühlt sich diskriminiert, vom politischen Prozess ausgeschlossen,
ökonomisch vernachlässigt, durch die Maliki weitgehend treu ergebene Justiz
schikaniert und durch die von den Schiiten des Premiers dominierten
Sicherheitskräfte terrorisiert. Die Aussicht, vollends unter Kontrolle des
Irans zu geraten, steigert ihre Zukunftsängste. Immer häufiger schwenken
sunnitische Demonstranten die Nationalfahne der Ära Saddam Hussein und sie
bekamen jüngst offenbar gar Unterstützung von Saddams einstigen Stellvertreter
Izzat Ibrahim al Douri, dem einzigen hohen Mitglied des gestürzten Regimes, das
noch auf der Flucht ist und im Untergrund den gewalttätigen Widerstand
organisieren dürfte. Eine Videobotschaft konnte allerdings von unabhängigen
Quellen nicht verifiziert werden.
An der Autobahnverbindung nach Syrien und Jordanien haben
zornige Sunniten eine Zeltstadt als Zentrum ihrer Protestbewegung errichtet und einen Forderungskatalog an den
Premier gerichtet, dem sie vor allem despotische Herrschaftsmethoden vorwerfen.
Durch kleine Zugeständnisse, wie die
Freilassung einiger sunnitischer Frauen, die die Sicherheitskräfte festgenommen
hatten, um deren Ehemännern habhaft zu werden, konnte Maliki aber seine
aufgebrachten Gegner nicht beschwichtigen. Andere Forderungen, wie die
Freilassung aller, auch jene wegen Terrordelikten inhaftierten Sunniten oder
die Annullierung des Beschäftigungsverbots von Mitgliedern der gestürzten
Baath-Partei in öffentlichen Ämtern lehnen Maliki und seine Anhänger energisch
ab, weil sie neuen Terror und eine Rückkehr der verhaßten Batthisten an die
Macht befürchten.
Sunnitische Geistliche und Aktivisten versuchen in einer
Pendelmission zwischen der Zeltstadt in Anbar und Bagdad eine Lösung
auszuhandeln. Und sie versprechen den Tausenden Aktivisten, dass es diesmal nicht
wieder wie in der Vergangenheit geheime Absprachen mit Bagdad geben werde. „Das
ist eine Revolution der Jugend, nicht der Stämme“, betont Scheich Ali Hatem. „Die
Scheichs können sie nicht länger kontrollieren.“
Es ist aber auch längst keine sunnitische Revolte mehr.
Andere, insbesondere der mit Maliki in der Regierung verbündete
Schiitengeistliche Moktada Sadr, hat sich den Unzufriedenen angeschlossen. Sie
hoffen auch die Kurden, die ihre eigenen schweren Konflikte mit dem
Regierungschef austragen, voll auf ihre Seite zu ziehen. Im Parlament soll
Maliki demnächst Rede und Antwort stehen. Doch seine Gegner sind zersplittert,
jeder auf seine Gruppeninteressen konzentrier und damit wohl zu schwach, einen machtgierigen
Mann zu Fall zu bringen, der den von Saddam befreiten Irak zu einem der
korruptesten Staaten der Welt aufgebaut hat. Ein Ende der Turbulenzen läßt sich
nicht erkennen.
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