Sonntag, 4. November 2012

Für die Araber ist Obama das „kleinere Übel“

Gleichgültig wer die Wahlen in den USA gewinnt, Washingtons Beziehungen zum Mittleren Osten werden sich verändern
von Birgit Cerha
Barak Obama der hochbegabte Rhetoriker, berührte die arabische Seele, als er vor drei Jahren in zwei programmatischen Reden in Kairo und Istanbul den Menschen der Region einen „Neubeginn“ verhieß, einen radikalen Bruch mit dem vergifteten Erbe des 11. Septembers 2001, das unter seinem Vorgänger Bush zur Invasion des Iraks führte, zum internationalen Krieg gegen den Terror und in die blutige Sackgasse des Palästinenserkonflikts.
Er weckte gigantische Hoffnungen, die Realisten schon damals für kaum erfüllbar hielten. Die arabische, die islamische Welt maß den Führer der Supermacht seither aber  an diesen  für die so lange gedemütigte Region so wohltuenden Versprechungen. Und wie erwartet blieb die Enttäuschung nicht aus. Nichts illustrierte dies deutlicher gegen Ende vom Obamas erster Amtsperiode, als der sich vor allem in Libyen und Ägypten gewaltsam, anderswo nur in wütenden Demonstrationen entladende Zorn auf die USA, den  ein geschmacklos-primitives Hass-Video über den Propheten Mohammed in der gesamten islamischen Welt vom Zaum brach, wiewohl die US-Regierung mit der Produktion dieses provokativen Films absolut nichts zu tun hatte. 
Obama oder sein Gegenkandidat Romney – den arabischen, den islamischen Massen erscheinen die beiden Kandidaten als nichts anderes als zwei Seiten derselben Münze. Obama, so gestehen viele jedoch ein, sei allerdings noch „das kleinere Übel“, allzu sehr erinnert Romney als den weithin als „Kriegstreiber“ verhassten Bush.
Den Kritikern Obamas allerdings sei entgegen zu halten, dass die US-Politik gegenüber dem Mittleren Osten in den vergangenen vier Jahren mit einer Serie unerwarteter und höchst dramatischer Ereignisse konfrontiert war, denen Obama mit kluger Vorsicht begegnete. Wiewohl  vier, darunter drei eng mit den USA verbündete Herrscher  (jene Tunesiens, Ägyptens und des Jemen) dem „Arabischen Erwachen“ zum Opfer fielen, erwarb sich Obama mit seiner Politik zwar keine neuen Freunde, aber schuf Amerika auch keine neuen Feinde – in dieser Situation epochaler Umwälzungen zweifellos ein Verdienst für sich. 
In Ägypten nahm Obama die erste hohe Hürde, als er die begrenzten Möglichkeiten der USA erkannte, den Übergang von Diktatur in ein demokratischeres System zu beeinflussen. Er entschied sich erst für den demokratischen Weg, die „arabische Straße“, als er erkannte, dass Präsident Mubarak, der jahrzehntelange Verbündete der USA, nicht zu retten war,  verärgerte zwar damit Washingtons autokratische Verbündete am Persischen Golf, verteidigte aber demokratische Werte weiterhin auch dann, als die Demokratieversuche in Chaos und Krise mündeten und islamische Bewegungen in den ersten freien Wahlen (Tunesien und Ägypten) als stärkste Kraft hervorgingen. Damit vergrämte er die liberalen, säkularen Demokraten der Region, doch er setzte auf Dialog, Engagement mit gemäßigten Islamisten, in der Hoffnung, dass dies, wie auch deren neue Erfahrung in Regierungsverantwortung diese Bewegungen, insbesondere in Ägypten, zum Pragmatismus führen würden. Und er hielt weiterhin an einem Kurs extremer Vorsicht fest. In dieser Situation zweifelsfrei die beste Wahl, auch wenn mit radikaleren Strategien sympathisierende Kritiker diese Strategie als Schwäche verdammen.
Arabische Demokraten empört aber auch die Entscheidung Obamas, in einer wichtigen strategischen Frage gegen seine demokratischen Überzeugungen zu handeln. In Bahrain, wo die Fünfte US-Flotte ihr Hauptquartier unterhält, sah er tatenlos zu, wie die saudische Armee gewaltsam gegen friedliche Demonstranten intervenierte und Washington protestierte nur matt gegen gravierende Menschenrechtsverletzungen, um die Macht seines vor allem in der Auseinandersetzung mit dem benachbarten Iran so wichtigen strategischen Verbündeten zu retten.
 Der Fall Libyen illustriert Obamas ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Er weigerte sich, eine führende Rolle in den Nato-Luftangriffen gegen Diktator Gadafi zu übernehmen und beschränkte die Funktion der USA vielmehr auf „Führung aus dem Hintergrund“ . Doch die barbarischen Brutalitäten in Zusammenhang mit dem Mord an Gadafi und zuletzt das Attentat auf den US-Botschafter in Benghazi sind schmerzhafte Hinweise  auf die unabsehbaren Gefahren einer gewaltsamen Einmischung in diese Umwälzungen einzelner Länder der Region.
Entschlossen trieb Obama Pläne zum Truppenrückzug aus Afghanistan (geplant 2014) voran, während ihm ein von den US-Bürgern zweifellos als wichtiger sicherheitspolitischer Triumph gewerteter Schlag gegen das Terrornetzwerk Al-Kaida durch die Tötung von dessen jahrelang gesuchten Chef Osama Bin Laden gelang.  So wenig Sympathie Bin Laden in der arabischen Welt fand, teilen doch viele ein Unbehagen über die kaltblütige Erschießung eines zu diesem Zeitpunkt Wehrlosen. Noch weniger stößt Obamas Programm gezielter Tötung von mutmaßlichen Terroristen durch Drohnen auf Zustimmung, das er vor allem in Pakistan und im Jemen entschieden vorantreibt.  Dass er persönlich Opfer von einer Liste Terrorverdächtiger auswählt und bei den Angriffen stets eine unbekannte Anzahl von Zivilisten ums Leben kommen, irritiert Menschenrechtsaktivisten im Westen ebenso wie in der arabischen Welt.
Hier liegt das quälende Dilemma angesichts des Gemetzels in Syrien. Der libanesische Drusenführer Walid Dschmumblatt fasst weitverbreitete Frustrationen zusammen, wenn er sich bitter über das Fehlen einer seriösen US-Politik beklagt, die dem sinnlosen Morden und den Zerstörungen in Syrien ein Ende setzen würde. Doch weder Dschumblatt, noch irgend jemand anderer, hat eine Strategie anzubieten, die das Land nicht in eine noch größere Katastrophe reißt.  Obamas Zurückhaltung bei der Unterstützung eines unabsehbaren Haufens von kriegerischen Gegnern Präsident Assads, darunter eine wachsende Anzahl von den Westen hassenden Jihadis, ist die einzig kluge Position, die die Supermacht derzeit einnehmen kann. Ebenso hat der Präsident mit seiner vorsichtigen Entschlossenheit, sich nicht dem Drängen der jüdischen Lobby zu beugen und einen Krieg gegen den Iran zu beginnen, die Welt – vorerst – vor einer neuen Katastrophe bewahrt. Er setzte vielmehr, nachdem Annäherungsversuche an Teheran zunächst gescheitert waren , auf stetig verstärkte Sanktiionen, die nun mehr und mehr das ohnedies schon gequälte Volk treffen. – eine Politik, die sich überall, wo sie in der Vergangenheit angewandt wurde, als Fehlschlag erwiesen hatte.
Es ist auch die jüdische Lobby, der sich Obama, der noch in Kairo 2009 energisch einen Stopp jüdischer Siedlungen als Voraussetzung für den Wiederbeginn von Friedensverhandlungen gefordert hatte, beugte, nicht mehr davon sprach und das Palästinenserprobem keinen Schritt zu einer Lösung näherbrachte. Dass Romney sich klar als der „bessere Freund Israels“ präsentiert, hat ihn unter den Arabern aber alle Sympathien gekostet. „Obama ist weniger gefährlich“, meint ein prominenter Kommentator.
In der arabischen Welt übersieht man meist jedoch, dass auch ein US-Präsident nur beschränkte Macht besitzt und den Wunsch des US-Kongresses berücksichtigen muss, in dem die festen Freunde Israels den Ton angeben.  Und zudem vermag auch noch der gegenüber den Wünschen, Sehnsüchten und Nöten der arabischen Welt verständnisvollste Führer nicht in vier Jahren einen Hass auf die USA abzutöten, der sich über viele Jahrzehnte ins Herz der arabischen Welt eingefressen hat.
Obamas Strategie der vorsichtigen Zurückhaltung bietet – vorerst – den einzigen Weg in eine neue Ära der Beziehungen mit einer arabischen Bevölkerung, die nicht länger bereit ist, schweigend Demütigungen und gnadenlose Unterdrückung hinzunehmen. Offenheit und Dialogbereitschaft mit allen sich nun entwickelnden Kräften in den einzelnen Ländern, in der Hoffnung, dabei demokratische Werte zu stärken, stellt sich als die wichtigste Herausforderung für den neuen Präsidenten, wer auch immer im Weißen Haus die Macht übernehmen wird.

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