Freitag, 26. Oktober 2012

Verliert Assad Aleppo?

Langsam, sehr langsam gewinnen die syrischen Rebellen an Kraft – Doch das Regime kann noch die wichtigsten Positionen halten – Ein hoffnungsloses Patt

von Birgit Cerha

Die islamische Welt begann ihr großes Eid al-Adha-Fest, doch in Syrien ist ungeachtet eines vom Regime verkündeten viertägigen Waffenstillstandes der Kriegslärm nicht verstummt. Der Feuerpause droht das Schicksal ihrer letzten Vorgängerin, die im April bereits nach einem Tag zusammenbrach. Ein wenig ruhiger war es Freitag aber wenigstens in einigen Teilen des Landes, wo humanitäre Helfer nach den vielen Wochen ununterbrochener erbitterter Kämpfe wenigstens eine kurze Chance erhielten, Bedürftigen beizustehen.


Der Waffenstillstand, den der UN-Syrienbeauftragte Lakdar Brahimi nach unendlichen diplomatischen Mühen erreichte, verschafft auch dem Regime eine kleine Atempause, um – daran zweifelt kaum jemand – seine so bedrohten Positionen mit verstärkter Kraft zu verteidigen bzw. zurück zu erobern. Zentrale Sorge ist Syriens Wirtschaftsmetropole, die größte Stadt des Landes, Aleppo, nahe der Grenze zur Türkei gelegen. Von dort aus waren Rebellen in die überwiegend von armen Sunniten bewohnten Vororte der Stadt eingedrungen und versuchten drei Monate lang, Aleppo zu erobern. Immer wieder gelang es ihnen, Bemühungen der Regierungstruppen, diesen Lebensnerv Syriens wieder voll unter ihre Kontrolle zu bringen, zu vereiteln. Ein militärisches Patt stürzte die Zivilbevölkerung in die totale Katastrophe. Der Souk im Zentrum Aleppos, ein Weltkulturerbe, brannte nieder.
Nun, wenige Stunden vor Ausrufung des Waffenstillstandes, konnten die Rebellen in drei strategisch wichtige Stadtviertel im Herzen Aleppos eindringen, darunter den Kurdenbezirk Ashrafieh, nachdem die dort lange mit dem Assad-Regime verbündeten Kurdengruppen ihre Neutralität verkündet hatten. Nun geht es um die Eroberung des heftig verteidigten, strategisch wichtigen Militärstützpunktes Nairab im Zentrum.
Kaum einer der vielen bewaffneten Konflikte der vergangenen Jahre fand unter einem größeren Medien-Blackout statt wie jener in Syrien. Fast kein unabhängiger Journalist hat Zugang zum Geschehen, internationale Medien stützen ihre Berichte über das Kampfgeschehen fast ausschließlich auf Informationen aus Rebellenkreisen, die entschlossen ihre Ziele – und damit auch eine Propaganda - verfolgen. Über Telefon oder Internet vermittelte Informationen einzelner Bürger geben bestenfalls lokale Ereignisse wieder, spiegeln aber nicht ein Gesamtbild. So läßt sich vorerst auch der Wahrheitsgehalt von Angaben nicht bestätigen, dass sich die Kräfteverhältnisse in Aleppo tatsächlich zugunsten der Rebellen verschoben haben und die Stadt in wenigen Tagen fallen könnte. Fest stehen dürfte jedoch, dass die Regierungstruppen in der Stadt fest sitzen und das Regime enorme Schwierigkeiten hat, Verstärkungen zu entsenden und damit die Rebellen endgültig zu verjagen. Anderseits fehlt es der militanten Opposition immer wieder an Männern und an Waffen, um Geländegewinne länger zu halten.
Aleppo ist von kritischer Bedeutung für den syrischen Staat, doch der Verlust der Stadt würde wahrscheinlich noch nicht das Ende des Regimes besiegeln. Für Assad, ebenso wie für die „Freie Syrische Armee“ geht es nun in Aleppo primär um die Unterstützung des gemäßigten sunnitischen Blocks der Stadt, der etwa ein Viertel der sunnitischen Mehrheit des Landes ausmacht und dessen Kontrolle entscheidend ist für die Herrschaft über Syrien. Aleppos Sunniten, der Kern der wohlhabenden Geschäftswelt des Landes, haben sich bisher nicht auf die Seite der Rebellen geschlagen, nicht einmal in den „befreiten Gebieten“. Viele dieser Sunniten, die von der Stabilität der Assad-Jahre enorm profitiert hatten, fürchten den wirren, unkontrollierten Haufen gewalttätiger Opposition, deren Ideologie, Werte und Ziele für das Land höchst unklar sind.
Derzeit kann die syrische Armee immer noch Teile von Hasakeh, Raqqa und Deir Ezzor im Norden und Osten Syriens voll kontrollieren und damit auch die wichtige Verbindungsstraße nach Damaskus. In dieser Region geht es auch um die Kontrolle wichtiger landwirtschaftlicher Gebiete und der Ölquellen. Die Regionen, wie Deir Ezzor, die weiter von der türkischen Grenze und damit von den Rebellenzentren entfernt, näher zum Irak, liegen, wird das Regime auch leichter halten können. Iraks Sunniten sind allzu sehr mit eigenen Problemen befangen, um sich in den Syrienkrieg einzumischen.
Nur der Fall von Damaskus kann das Schicksal des Regimes besiegeln. Doch – vorerst zumindest – erscheint eine Eroberung durch die Rebellen kaum möglich. Diese Metropole mit ihrem Mosaik verschiedener Bevölkerungsgruppen, ihrer Nähe zum Libanon, wo die Hälfte der Bewohner mit Assad sympathisiert, hat sich noch längst nicht auf die Seite der Gegner des Diktators geschlagen, die ihnen auch keinen Ausweg aus der Hölle dieses Krieges zu verheißen vermögen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen