Freitag, 27. Juli 2012

LEXIKON: Die alawitische Geheimreligion

von Birgit Cerha

Der Ursprung der alawitischen Glaubensgemeinschaft wird im Irak des 9. Oder 10. Jahrhunderts n. Chr. vermutet, wo sie sich von den die Region (Iran, Irak u.a.)dominierenden „Zwölferschiiten“ abgespalten hatten. Historisch werden sie auch Nusayrier genannt, nach ohrem 863 verstorbenen ersten religiösen Oberhaupt Mohammed Ibn Nusayr, der im irakischen Basra als Gefolgsmann des zehnten Imams gelebt hatte. Ab dem 10. Jahrhundert verbreiteten sich Nusayris Lehren, deren schriftliche Quellen nicht bekannt sind, im Irak und später in Syrien. Einige seiner Anhänger leben heute auch im Libanon.
Die Schiiten kritisierten die Nusayrier als „ghulat“ (Übertreiber), weil sie Ali ibn Abi Talib, dem Cousin und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, von dem sich die Imame der Schia ableiten, gottgleichen Rang einräumten, eine Behauptung, der die Nusayrier entschieden widersprechen. Doch um den Ruch des Sektiererischen ihrer Vorfahren abzulegen, nannten sie sich schließlich Alawiten, d.h. Anhänger Alis, den sie, wie die schiitische Hauptströmung – im Gegensatz zu den Sunniten – als den wahren Nachfolger Mohammeds verehren. Die Namensänderung schützte sie jedoch nicht vor Verdammung durch orthodoxe Sunniten, lange aber auch Schiiten, die die Alawiten als „Abtrünnige“ betrachten. Radikalen Islamisten gelten die Alawiten bis heute als „Freiwild“.

Wegen massiver Verfolgung in der Geschichte, halten die Alawiten ihre Glaubensgrundsätze geheim, sie werden nur an männliche Mitglieder, die der Familie eines Scheichs angehören, weitergegeben. Ein Übertritt zum Alawitentum ist nicht möglich. Über ihre Lehren und ihre religiösen Praktiken ist deshalb wenig bekannt. Alawiten sind aber durch ihre Offenheit und ihren Liberalismus bekannt. Sie feiern das zoroastrische Neujahr und mit den Christen Weihnachten und sie zwingen ihre Freuen nicht in die Häuser und zu einem Leben in Verschleierung. Sie folgen zwar dem Koran, fasten aber nicht und glauben an die Reinkarnation.

Wohl vor allem aus geopolitischen Gründen begann nach der islamischen Revolution im Iran 1979 von Teheran vorangetrieben eine Annäherung an Syriens Alawiten. Schon sechs Jahre zuvor war es Hafez el Assad gelungen, den Vorsitzenden des Obersten schiitischen Rates im Libanon, Imam Musa Sadr, zu einer offiziellen Anerkennung der Nusayrier als Muslime zu bewegen. Sadrs Fetwa (religiöses Edikt) war entscheidende Voraussetzung für Assads Aufstieg ins Präsidentenamt, das ausschließlich Muslimen vorbehalten ist. Während seiner Amtszeit präsentierte sich der überzeugte Säkularist Assad denn auch als Muslim, pflegte gute Beziehungen zur sunnitischen Geistlichkeit des Landes und mied alles, was als einseitige Förderung der alawitischen Religion gewertet werden konnte. Wo jede andere Glaubensgemeinschaft in Syrien ihre Familienangelegenheiten nach ihren religiösen Vorschriften regelt, gilt für die Alawiten der sunnitische Kodex. Assad verbot den Alawiten die öffentliches Praktizieren ihrer Religion, die Wahl eines Oberhauptes und wichtige religiöse Bücher.

Die in der Türkei stark verbreiteten Alevis verbindet nur der Name (Bezug zu Ali) mit den arabischen Alawiten. Sie repräsentieren einen anderen Zweig des Islams, sind keine Geheimreligion. Ihre Lehre ist nach Einschätzung des türkischen Wissenschaftlers Soner Cagaptay, eine „relativ unstrukturierte Interpretation des Islam“, die sich auf keine schriftlichen Traditionen stützt. Sie steht beiden Geschlechtern offen und historisch auch Nicht-Muslimen. Einzigartig unter den verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen predigt sie keine Geschlechtertrennung, nicht einmal während des Gebetes, das stets in türkischer Sprache gehalten wird.
Im Alevismus sind islamische und sufistische Elemente vermischt, aber auch christliche Traditionen und Elemente des Schamanismus, der vorislamischen Religion der Türken. Während, so Cagaptay, „der Glaube der Alawiten als Ableger des Schiismus gelten kann, sind die Alevis weder Sunniten, noch Schiiten.“

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