Freitag, 29. Juni 2012

Zypern: Zerrissen und fast bankrott

Kann die geostrategisch immer noch so wichtige Mittelmehrinsel als „ehrlicher Makler“ Krisenmanager der EU sein? – Ein Ministaat mit Zukunftsperspektiven

von Birgit Cerha

Es sollte eine Periode höchsten Triumphes werden. Jahrzehntelange Sehnsüchte sollten sich endlich erfüllen, wenn der griechische Teil der Republik Zypern an die Spitze Europas aufsteigt und mit dieser Macht im Rücken dem riesigen Feind im Norden (der Türkei) eine Kraft zeigt, die sich nicht brechen läßt. „Vereintes Zypern in einem vereinten Europa“ unter dieses Motto wollte Nicosia seine Ratspräsidentschaft stellen, die es am 1. Juli für sechas Monate übernimmt, eine Zeit, in der die Insel sich als „würdiges Mitglied der europäischen Gemeinschaft beweisen wollte.

Doch Freude und Hoffnung sind überschattet von der tiefen Demütigung, nicht nur, dass die 38-jährige Spaltung dieses Ministaates unüberwindbar bleibt, sondern, dass sich die fast bankrotte Wirtschaft unter den Eurorettungsschirm flüchten muss. Uneinigkeit und wirtschaftliche Schwäche seien „symbolisch“ für die Lage der EU, versucht die „Cyprus Mail“ sich und ein zutiefst irritiertes Zypernvolk zu trösten. Bissige Kommentare aus Europa schmerzen. Von einem „verlorenen Halbjahr“ sprechen EU-Politiker in Brüssel hinter vorgehaltener Hand angesichts der Unerfahrenheit Zyperns als Krisenmanager. Und der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lank, wettert gar über ein „Paradoxon der EU, dass der Hund die Verantwortung für die Verteilung der Würste“ übrnehme. „Wir werden niemals in der Lage sein, Europa zu heilen, wenn der Präsident in mit einer hochansteckenden Krankheit in Intensivstation liegt.“

Angesichts solcher Attacken versucht Zypern „ andere Qualitäten“ hervorzuheben: Da „wir keine riesigen Interessen und keine geheime Agenda haben“, könne Nicosia überzeugend als „ehricher Makler“ auftreten, betont EU-Botschafter Kornelios Korneliou.

Tatsächlich ist die drittgrößte Insel im Mittelmeer in vieler Hinsicht ein Sonderfall – negativ, aber auch positiv. Hier, wo laut griechischer Mythologie einst Aphrodite, die Göttin der Liebe, dem Schaum des Meeres entstieg, zerreißt seit Generationen ein unüberbrückbarer Graben des Hasses und der Angst voreinander das etwa eine Million Menschen zählende Volk (82 Prozent Griechen und 18 Prozent Türken). Zypern, der einzige geteilte Staat in der EU, hat seine politischen Probleme – die 38-jährige Besatzung des nördlichen Inseldrittels durch 35.ooo türkische Soldaten – in die Union getragen, kann damit de facto die Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei und eine enge Kooperation der EU mit der NATO blockieren. Das Ziel, die Insel bis zu Beginn der Ratspräsidentschaft wieder zu vereinen scheiterte endgültig im April und wie ein Damoklesschwert hängt die Drohung des ob griechisch-zypriotischer EU-Präsidentschaft erbosten türkischen Premiers Erdogan über Zypern, die nur von der Türkei anerkannte „Türkische Republik Zypern“ (TRZ) – europäisches Land! - zu annektieren.

Die (von griechischen Zyprioten geführte) international anerkannte Republik Zypern wurde 2004 in die EU und vier Jahre später in die Eurozone aufgenommen, wobei EU-Gesetz im besetzten nördlichen Inselteil, der TRZ, erst ab Wiedervereinigung der Insel gilt – für die weniger als 100.000 türkischen Zyprioten eine bittere Entwicklung. International isoliert und durch ein von Griechenland und (griechisch)Zypern betriebenes Embargo zu Armut verdammt (das Bruttoinlandsprodukt der TRZ ist pro Kopf halb so hoch wie jenes des südlichen Inselteils und die Arbeitslosigkeit liegt bei neun Prozent) ist Türkisch-Zypern auf die milden Gaben aus Ankara angewiesen, die jährlich bei etwa 450 Mio. Euro liegen. Als Ankara im Vorjahr rigide Sparmaßnahmen diktierte, begann sich ein lange aufgestauter Unmut unter der heimischen Bevölkerung gegen die einst als Retter vor griechisch-zyprioitischem Extremismus begrüßten und unterdessen zunehmend verhaßte türkische Besatzung offen Luft zu machen. „Unser Land gehört uns“ und „Die Mutter aller Probleme ist die Teilung Zypern“, lauten unterdessen Slogans bei immer wiederkehrenden anti-türkischen Demonstrationen. Besonders irritiert die Türken Zyperns die „zivile Invasion“, die anhaltende gezielte Ansiedlung von Türken aus Anatolien, die die heimische türkischsprachige Bevölkerung zunehmend marginalisiert und auch politisch empfindlich schwächt. Die Zuwanderer stülpen den häufig liberalen und durchwegs säkularen türkischen Zyprioten ihre traditionalistische und stark religiöse Kultur auf. So wächst die Sehnsucht der Türken Zyperns nach Wiedervereinigung mit den Griechen, denen sie auch genetisch nach jüngsten DNA-Analysen weit näher sind als den Festlandtürken.

Trotz dieser Emotionen, obwohl der damalige griechisch-zypriotische Präsident Papadopoulos 2003 als provokativen – doch vergeblichen - Anreiz für die Türkei, ihre Truppen endlich von der Insel abzuziehen, die Mauer in der geteilten Hauptstadt Nicosia durchbrochen hatte, konnte die psychische Kluft zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen, die unterschwellige Angst der Zyperntürken vor griechischer Dominanz und die Panik der Zyperngriechen vor der mächtigen türkischen Armee nicht überwunden werden. Nicht zuletzt wegen des immer noch dominierenden Einflusses der prägnant nationalistischen griechisch-orthodoxen Kirche, sind auch ein halbes Jahrhhundert nach Beginn blutiger Volksgruppenkämpfe und fast 40 Jahre nach der türkischen Invasion und der Vertreibung von mehr als hunderttausend Menschen aus ihren Heimen, alle Ansätze eines Versöhnungsprozesses gescheitert. Dementsprechend endeten auch unzählige internationalen Vermittlungsversuche immer in derselben Sackgasse. Das Zypernproblem ist damit zu einem der längsten und unlösbarsten Konflikte Europas geworden.

Die besondere geostrategische Lage der Insel an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien erweist sich als Fluch, doch zugleich auch als Segen. Die hartnäckige Weigerung Ankaras, seine Truppen von Nord-Zypern abzuziehen hängt entscheidend mit dem Bedürfnis zusammen, sich die Kontrolle über das östliche Mittelmeer zu sichern – eine Absicht, die sich auch in nächster Zeit nicht ändern wird. Anderseits verschafft gerade diese geostrategische Position den Griechen der Insel die Möglichkeit, wichtige Bündnispartner anzuwerben. So besitzt auch Zypern heute als einziges EU-Land die Option, sich zur Deckung seines Kapitalbedarfs von geschätzten zehn Mrd. Euro bei einer Staatsverschuldung von fast 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Kredite außerhalb der Union zu verschaffen. Als Hauptpartner bietet sich Russland an, das nun, da es um seinen einzigen Mittelmeerhafen für seine Marine im syrischen Tartus fürchten muss, an Zyperns Küste die beste Alternative erkennt. Zudem verbinden Zyperns Griechen (aus religiöse, wie marxistisch-ideologischen Gründen) seit einem halben Jahrhundert enge Beziehungen mit Rußland. Präsident Demetris Chrstofias, das „rote Schaf Europas“, der „Fidel Castro des Mittelmeeres“, wie der einzige (Euro-)Kommunist an der Spitze eines EU-Staates gerne genannt wird, steht Freund Putin, Rußlands Präsidenten, nahen, der bereits voll Wohlwollen auf ein erneutes Kreditansuchen Nicosias reagierte. Bereits Ende 2011 hat Moskau Zypern, das seit langem reichen Russen als wichtiger „Hafen“ für allerlei legale und weniger legale Geschäfte dient, einen 2,5 Mrd. Euro-Kredit gewährt.

Christofias verhehlt sein Misstrauen gegenüber der EU nicht, die er erst vor kurzem mit Blick auf das finanzgequälte Griechenland als „koloniale Macht“ beschimpfte. Doch die große Mehrheit der Zyprioten fürchtet Brüssels Auflagen, radikale Sparmaßnahmen und vor allem ein Ende der seit langem internationale Firmen in großen Zahlen anlockenden Niedrigsteuer und damit eines wichtigen Sonderstatus. Putin freilich würde solche Bedingungen nicht stellen, doch die Zinsen für sein Geld wären wohl weit höher.

Sein ganzes Erwachsenenleben hat Christofias gegen Besatzung und „koloniales Verhalten“ gekämpft, bis jetzt. Sein Ziel ist nicht nur ein Abzug der türkischen Armee aus dem Norden, sondern auch der Briten von ihren seit 1959 als Preis für die Unabhängigkeit augehandelten Stützpunkten. Die Eröffnungsfeier der Ratspräsidentschaft am 5. Juli soll dies ganz Europa dokumentieren. Schauplatz ist Kurion, das 2.000 Jahre alte Amphitheater an der südlichen Küste. Es liegt auf britischem Hoheitsgebiet, im Stützpunkt Akrotiri. Zyperns Kulturschätze, so die Botschaft, gehören den Zyprioten – und mit ihnen das Land. Die Briten müssen raus. Die Liste der Besonderheiten Zyperns ist damit noch nicht zuende. Als erstes EU-Land droht der Insel in nächster Zukunft das Trinkwasser auszugehen. Jahrelange Trockenheit und ein Touristenstrom, von mehr als zwei Millionen Menschen im Jahr bringt die Quellen in alarmierender Weise zum Versiegen. Doch vor den Küsten der Insel verbirgt Aphrodite neue Gaben: riesige Vorräte an Erdgas und vielleicht sogar Öl, die den Energiebedarf Zyperns (auch für die Entsalzung von Meerwasser) für die nächsten 210 Jahre decken und längerfristig beruhigendes ökonomisches Wachstum sichern könnte. Doch wie anderswo, verschärft der Reichtum die Spannungen. Aus Angst vor einer gierigen Türkei haben sich die Zyperngriechen mit Israel zu Exploration und Förderung des Gases zusammengeschlossen, während Ankara Kriegsschiffe entsandte, um den Anteil ihrer Schützlinge im Norden der Insel an diesen Quellen durchzusetzen. Griechisch-Nicosia aber beteuert, das Einkommen aus diesen Schätzen an alle Zyprioten, auch die türkischen, zu verteilen. „Diese Energie“, so der zuständige Handelsministrer in Nicosia, Neoklis Sylikiotis, „kann sich als Katalysator für die Wiedervereinigung“ erweisen. Fest steht: Alle werden verlieren, wenn Zypern nicht endlich die Teilung überwindet.

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