Längst ist der Kampf gegen das syrische Regime zu einem „Stellvertreterkrieg“ entartet, der die Kräfteverhältnisse im Mittleren Osten radikal verändern soll von Birgit Cerha Die NATO ist alarmiert, die Türkei fürchtet um ihre Sicherheit und das schwer bedrängte syrische Regime bewies durch den bisher nicht eindeutig geklärten Abschuss eines türkischen Kampfflugzeuges an seiner Grenze die Stärke seiner von Russland in Jahrzehnten aufgepäppelten Luftwaffe. Die Botschaft ist klar: Syrien ist nicht Libyen. Eine internationale Militärintervention hätte mit weit stärkerer und verlustreicher Gegenwehr zu rechnen.Der allerdings von Ankara offiziell dementierte Verdacht, dass sich die türkischen Kampfjets in einer Aufklärungsmission zur Unterstützung der in der Türkei stationierten „Freien syrischen Armee“ und anderer bewaffneter Rebellen, so nahe an – oder über? – Syriens Grenze gewagt hätten, illustriert in alarmierender Deutlichkeit die sich stetig ausweitende Dimension eines Konflikts, der als interne demokratische Protestbewegung gegen ein brutales Regime begonnen hatte. Nach 15 Monaten ist der Kampf gegen den sich barbarisch verteidigenden Damaszener Diktator zu einem „Stellvertreterkrieg“ entartet, der die Kräfteverhältnisse im Mittleren Osten radikal verändern soll und enorme Gefahren für den Weltfrieden in sich birgt. Syrien liegt im turbulentesten Teil des ohnedies so instabilen Mittleren Ostens, einem Gebiet von zentraler geostrategischer Bedeutung. Der politisch so hochbegabte Vater des gegenwärtigen Herrschers, Hafez el Assad, hatte es verstanden, diesem kleinena Land an der Grenze zu Israel und dem NATO-Staat Türkei entscheidende regionalpolitische Stärke zu verleihen. Einst einer der wichtigsten arabischen Verbündeten der Sowjetunion, ist Syrien bis heute Moskaus Tor zum Mittleren Osten und – durch den Hafen Tartus – zum Mittelmeer. Durch seinen strategischen Bund mit dem Iran und die Unterstützung Israel bekämpfender Palästinensergruppen (Hamas und Islamischer Jihad), sowie der libanesischen Hisbollah, hat sich auch Hafez geostrategisch weniger begabter Sohn Bashar bis heute ein Veto über Frieden nach Israels Bedingungen erhalten, während er zugleich aber großen Bedacht auf Ruhe an Syriens Grenzen zum jüdischen Staat legt. Diese strategische Stabilität ist in ernster Gefahr, sollte Assad stürzen. Schon innerhalb der ersten drei Monate der Proteste gegen die Diktatur begannen sich diverse Kräfte von außen mit dem klaren Ziel in den Konflikt zu mischen, die grundlegenden geopolitischen Fakten zu verändern, gleichgültig, ob sie damit in Gegensatz zu den sich vorrangig nach Würde und Freiheit sehnenden Revolutionären in Syrien gerieten. Trotz des Wirrwarrs militanter Gruppen und Agenten, die sich insbesondere im türkischen Grenzgebiet zu Syrien in verstärkten Zahlen tummeln, steht unterdessen eindeutig fest, dass das sunnitische Ölreich Saudi-Arabien die so lange erhoffte Chance ergriff, den „schiitischen Halbmond“ zu durchstoßen, einen expansiven Iran auf sein eigenes Hoheitsgebiet zurückzudrängen und dessem Streben nach regionaler Dominanz endgültig einen Riegel vorzuschieben. Das Schreckgespenst des „schiitischen Halbmondes“, der sich unter Irans Führung über den (bereits von Teheran weitgehend dominierten) Irak, die Schiitengebiete auf der Arabischen Halbinsel, über das von den Schiiten nahestehenden Alawiten beherrschte Syrien Assads bis zur israelischen Grenze zieht, verängstigt die sunnitischen Herrscher am Golf, wie auch Jordanien zutiefst. Zehntausende zivile Opfer in Syrien in einem eskalierenden Krieg erscheinen dem selbst vor massiven Repressionen nicht zurückschreckenden Königshaus der Al-Sauds angesichts des hohen geopolitischen Ziels den Preis wert. Der saudische Außenminister Saud al Faisal spricht gar offen von der „Pflicht“, die Opposition zu bewaffnen. Dass die Saudis und das gleichgesinnte Katar dies seit vielen Monaten mit wachsender Eifrigkeit tun, ist unterdessen längst klar So formieren sich die Fronten in einem „Stellvertreterkrieg“, in dem – wie in den Zeiten des Kalten Krieges – Rußland (und China) und die USA gegensätzliche Positionen einnehmen, und sich dabei in Wahrheit nicht um Menschenleben, sondern fast ausschließlich um ihre jeweiligen geostrategische Interessen kümmern. Vor allem die Saudis wagen, besessen, dem expandieren iranischen Schiismus eine Barriere zu errichten und sich für den schmerzlichen Verlust des Iraks zu entschädigen, ein gefährliches Spiel mit unabsehbaren Konsequenzen. Von längst mit der Durchführung begonnenen Plänen ist die Rede, saudische Jihadis, die nach jahrelangen Kämpfen gegen die schiitischen Herrscher aus dem Irak heimgekehrt waren und Al-Kaida-Terroristen, die sich in saudischen Gefängnissen einem Rehabilitierungsprogramm unterzogen hatten , zum Kampfeinsatz gegen das Assad-Regime zu entsenden. Die Jihadis sind hochmotiviert, ungeduldig endlich wieder zu kämpfen und einem Regime den Garaus zu machen, das von sunnitischen Fundamentalisten ohnedies als häretisch betrachtet wird. Unterdessen aber hat das Königshaus offenbar die Gefahr erkannt, die diese gerufenen und nicht zu kontrollierenden Jihadi-Geister für die ganze Region, und vielleicht auch für das Königshaus selbst in sich bergen. So erließ ein hoher Geistlicher des Königreiches am 7. Juni eine Fetwa (islamisches Rechtsgutachten), das Jihadis den Einsatz in Syrien künftig nur noch mit Unterstützung der saudischen Regierung gestattet. Doch es könnte zu spät sein. Wieder, wie einst in Afghanistan, stehen die Amerikaner, wiewohl zögernd aber dennoch offenbar auch durch tatkräftige Hilfe, im Bunde mit radikalen Islamisten und deren höchst fragwürdigen Zielen. Für keinen der beteiligten Staaten hätte der Sturz des Assad-Regimes derart gravierende Folgen, wie für den Iran. Ohne den syrischen Partner würde Teheran den Zugang zum Libanon, mit seiner dank iranischer Hilfe militärisch so kräftigen schiitischen Hisbollah verlieren, das effizienteste Druckmittel gegen Israel, insbesondere auch im Falle eines drohenden israelischen Angriffs auf iranische Atomanlagen. Auch die Unterstützung der islamistischen palästinensischen Hamas würde sich ohne die syrische „Schnittstelle“ als fast unmöglich erweisen – eine Aussicht, die Israel wohl in helle Begeisterung versetzen mag, könnte es damit ohne nennenswerten Widerstand den Palästinensern vollends seinen Willen aufzwingen. Um dieses Schreckensszenario zu verhindern, setzen die Iraner seit Monaten offenbar alles daran, Assad bei der blutigen Repression mit Rat und vermutlich auch mit Tat (von der Präsenz Angehöriger der iranischen Elitetruppe der Al-Quds-Garden in Syrien ist u.a. die Rede) zur Seite zu stehen. Doch die Iraner fürchten auch, sollte alle Hilfe nichts fruchten, Assad stürzen, dann könnten sie nicht nur ihren Zugang zum Mittelmeer und zu Israel verlieren, sondern auch die Chance verspielen, sich vielleicht doch noch mit einem Nachfolgeregime zur zumindest teilweisen Sicherung ihrer Interessen zu arrangieren. Deshalb geben sich die geistlichen Herrscher, wie meist, ambivalent, zeigen Sorge angesichts des wachsenden Leids der syrischen Zivilbevölkerung, um deren Sympathien nicht vollends zu verspielen. Der inzwischen längst gewaltsamen ausgetragene „Stellvertreterkrieg“ zwischen Saudi-Arabien und Iran wird die Entwicklungen in und um Syrien bestimmen, in dramatischer Weise, wenn es nicht gelingt, den „Kalten Krieg“ der Großmächte zu beenden, alle Beteiligten zu einer friedlichen Kompromißlösung an den Verhandlungstisch zu bringen und der Region damit eine noch viel größere humanitäre Katastrophe mit unabsehbaren Folgen für die Zukunft zu ersparen.
Dienstag, 26. Juni 2012
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen