Während die Grausamkeiten auf beiden Seiten barbarische Ausmaße erreichen, bröckelt die historische Allianz zwischen dem syrischen Regime und der Geschäftswelt von Birgit Cerha Schockierende Berichte über ungeheuerliche Brutalitäten in Syrien häufen sich. Mehr als 1.100 Kinder kamen laut Human Rights Watch seit Februar 2011 durch Gewaltakte in dem eskalierenden Krieg um die Macht in diesem geostrategisch so zentralen Land ums Leben. Gezielt würden Kinder von den staatlichen Sicherheitskräften als menschliche Schutzschilder missbraucht, während gewalttätige Rebellen, wie die in der Türkei stationierte „Freie Syrische Armee“ (FSA), zunehmend Minderjährige für ihren Kampf gegen das Assad-Regime rekrutierten, stellte jüngst auch der Weltsicherheitsrat fest. „Wir sind in eine heikle Phase eingetreten. Das Regime liegt in den letzten Zuckungen“, betont Abdul Basit Sieda, der eben zum neuen Führer des ebenfalls in der Türkei stationierten oppositionellen „Syrischen Nationalrates“ (SNR) gewählte kurdische Philosophieprofessor. Und die Gegner Präsident Assads gewinnen neuen Mut, dass sie dem Regime endlich den Todesstoß versetzen könnten. Zu diesem Zweck will Sieda die Basis des bisher von der Moslembruderschaft dominierten SNR wesentlich erweitern und vor allem Minderheiten, wie die Kurden, die Christen, die alewitischen Gegner Assads u.a. in die so voreilig vom Westen als Repräsentantin des syrischen Volkes anerkannte Organisation zur Teilnahme gewinnen. Doch die Chancen stehen schlecht. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt Sieda in Schweden, in Syrien kennt ihn niemand und selbst für die Kurden, die dem von Sunniten dominierten SNR zutiefst misstrauen, weil er bisher von einem föderalen, die Rechte der Minderheiten achtenden System nach Assad nichts wissen will, sehen in Sieda keinen Führer, der sich für ihre Interessen engagiert. Somit bleibt die politische Opposition de facto führerlos, vermutlich weiterhin zersplittert und offen für Manipulationen (wie bisher überwiegend durch die Moslembrüder) und Rivalitäten. Die gewalttätigen Rebellen, wie die FSA aber haben in den vergangenen Wochen beträchtlich an Boden gewonnen. Verstärkte internationale Bemühungen – vor allem von Saudi-Arabien und Katar, stillschweigend unterstützt und koordiniert durch die USA –, die militanten Regimegegner mit besseren, aus der Türkei, dem Irak und dem Libanon geschmuggelten Waffen und mehr Geld auszustatten, zeigen Erfolge. „Sie erweisen sich als zunehmend schlagkräftige Guerillaeinheiten“, analysiert ein unabhängiger Militärexperte. Das Regime setzt zwar exzessive Gewalt zur Zerstörung der Rebellen-Hochburgen ein, doch Assads Männer können nicht überall zur selben Zeit zuschlagen. So kontrollieren die Rebellen nun zahlreiche kleine Städte und Dörfer in Nord-Syrien, wo das Regime de facto bereits in die Hände diverser Gegner Assads – radikale Salafisten und Angehörige der weitgehend säkularen FSA - gefallen ist. Überfälle auf Regierungspositionen nehmen zu. Anfang Juni töteten Guerillas mehr als 80 syrische Soldaten und verkündeten zugleich offiziell, dass sie sich nicht mehr an den vom UN-Abgesandten Kofi Annan vermittelten Waffenstillstand halten wollten, was sie ohnedies nicht getan hatten. Unter den Sicherheitskräften lassen sich Anzeichen einer Demoralisierung erkennen, die Zahl der Desertionen steigt. Zugleich gibt es verstärkte Hinweise, dass auch Assads militante Gegner ungeheuer brutal zuschlagen. So mehren sich glaubwürdige Augenzeugenberichte, dass das jüngste Massaker, bei dem in Houla, eine zu 90 Prozent von Sunniten bewohnte Stadt, mehr als hundert Menschen, darunter etwa 40 Kinder, bestialisch ermordet wurden, nicht – wie behauptet – von Regierungssoldaten, sondern von sunnitischen Oppositionellen verübt worden war. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Opfer fast ausschließlich Angehörige der alewitischen und schiitischen Minderheit der Stadt sind. Die Täter aber hätten laut Augenzeugen die Ermordeten gefilmt und die Videos ins Internet als sunnitische Opfer des Regimes gepostet. Bereits Anfang April hatte Mutter Agnes-Mariam de la Croix des nahegelegenen St.James-Klosters eindringlich vor Rebellen gewarnt, die Gräueltaten begingen und diese dann arabischen und westlichen Medien als Verbrechen des Regimes präsentierten. Berichte, dass Assads Sicherheitskräfte das Massaker von Houla angerichtet hätten, dürften entscheidend zu einem Stimmungsumschwung unter jenen vor allem sunnitischen Syrern der Mittelschichte beigetragen haben, die bisher stillschweigend das Regime unterstützt haben. So ist ein einwöchiger Proteststreik der Händler des berühmten Damaszener Souks Hamediye, die erste derartige Aktion zivilen Ungehorsams seit Beginn der Rebellion, das bisher deutlichste Anzeichen, dass die historische Allianz zwischen Regime und der überwiegend sunnitischen Geschäftswelt – wichtiges Rückgrat der Herrschaft Assads - zu bröckeln beginnt. Zugleich rücken auch die oppositionellen Kämpfer immer näher zu den Zentren der beiden größten Städte – Damaskus und Aleppo -, das Herz des Regimes. Offen rufen FSA-Kommandeure zu einer Großoffensive, die Assad endgültig in die Knie zwingen soll. Und sie nennen gar einen Zeitpunkt: 20. Juli, wenn die UNO-Beobachter ihre Syrien-Mission beenden. Um diese Zeit etwa beginnt auch der Fastenmonat Ramadan. Auch Regimekreise halten den 20. Juli für einen Stichtag, an dem es gelte, Syrien endgültig von „Terroristen“ zu „säubern“. Trotz ihrer jüngsten Erfolge und der zunehmenden Unterstützung, sind die auch von Kriminellen und radikalen Gewalttätern unterwanderten Rebellen militärische Assads Sicherheitskräften immer noch weit unterlegen. Waffen aber strömen weiter von allen Seiten ins Land und eine wehrlose Zivilbevölkerung zahlt einen schockierenden Preis.
Dienstag, 12. Juni 2012
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