Ein Jahr nach Beginn der Aufstände in der Region bleibt die politische Landschaft in der "Islamischen Republik" in gespenstischer Weise unberührt
(Bild: Karrubi, Mussawi und Rahnavard)
von Birgit Cerha
Bei meiner Lektüre iranischer Quellen stach mir vor wenigen Tagen ein Zitat des in Toronto lebenden iranischen Philosophen Ramin Jahanbegloo ins Auge: „Demokratie“, meint Jahanbegloo , „lässt sich (im Iran) nicht durch Krieg erreichen, denn eine durch Gewalt erzwungene Demokratie ist mit Niederlage gleichzusetzen. Je mehr wir in Gewaltlosigkeit schwitzen, desto weniger bluten wir in Gewalt.“
Ein Blick auf den Zustand der arabischen Welt ein Jahr nach Ausbruch des „Frühlings“ gibt Jahanbegloo in tragischer Weise recht. Die schockierende Schändung der Leiche des libyschen Diktators durch die freiheits- und angeblich so demokratiehungrigen Rebellen, die ihren Sieg über Gadafi dem Einsatz von Gewalt verdanken, erwies sich als düsteres Omen für die ersehnte Zukunft in Würde und Freiheit, die mit brutaler Folter der neuen Führer an ihren Gegnern begann. Der Weg der Gewalt in Libyen ist vorgezeichnet.
In Syrien schaffen es die Demokratie-Aktivisten angesichts des seit Monaten andauernden skrupellosen Mordens durch Assads Sicherheitskräfte nicht mehr, das Prinzip der Gewaltlosigkeit, das ihnen so wichtig erschien, aufrecht zu erhalten. Die Folge ist eine Katastrophe für ein Land, das sich selbst damit der Chance auf eine friedliche Zukunft für Jahre beraubt.
Der „arabische Frühling“ rückt immer weiter von seinem europäischen Vorbild ab, dem „Frühling der Völker“ nämlich, der 1848/49 als Folge der Französischen Revolution die Völker Mitteleuropas in seinen Bann gezogen hatte. Ganz ohne zentrale Koordination erhoben sich damals bürgerlich-revolutionäre Bevölkerungsschichten gegen die herrschenden Mächte und deren politische und soziale Strukturen. Der Weg zu demokratischen Systemen war damit geöffnet, wiewohl es bis zum Ziel noch viele Hürden zu überwinden galt. Der „Arabische Frühling“ begann in ähnlicher Weise. Ohne zentrale Koordination erhoben sich die Menschen in mehreren Ländern der Region gegen ihre absoluten und zutiefst korrupten Herrscher. Ihre zentralen Forderungen waren und sind überall dieselben: An erster Stelle steht die so lange mit Füßen getretene Würde. Sie inkludiert die Achtung des Individuums, Menschenrechte, Mitbestimmung, soziale Gerechtigkeit – Sehnsüchte, die auch die Iraner mit ihren arabischen Leidensgenossen teilen. Freilich ist das politische Umfeld von Land zu Land verschieden. Ob die von Demokratie-Aktivisten initiierten Rebellionen aber ihre Ziele erreichen können, wird unterdessen immer fraglicher.
Gebannt blickt der Iran seit einem Jahr auf dieses Erdbeben, das so völlig unerwartet Diktator nach Diktator in die Hölle schickte. Die Macht der unbewaffneten Völker hat das Gesicht der gesamten Region verändert. Prognosen über den Ausgang dieser Turbulenzen lassen sich nicht stellen, da die Rebellionen Spannungen und Konflikte gerade in einem Augenblick an die Oberfläche gespült haben, da sich die Menschen von den – so verhassten - traditionellen Methoden und Instrumenten befreit haben oder noch zu befreien suchen, Instrumente, die diese Spannungen seit Jahrzehnten – gewaltsam – unter Kontrolle hielten. Noch ist unklar, ob der „Arabische Frühling“ neue politische Systeme gebiert, die der Legitimität des Volkes jene zentrale Bedeutung einräumen, die die bisherigen Systeme den Menschen verwehrt haben.
Was bedeuten diese Entwicklungen für den Iran?
Führer und Anhänger der oppositionellen „Grünen Bewegung“ rühmen sich zweifellos mit Recht, durch ihre todesmutige Kampagne gegen die Manipulationen der Präsidentschaftswahl von 2009 den freiheitshungrigen Aktivisten in der arabischen Welt ein Beispiel gesetzt zu haben. Viele Iraner hofften wohl, die zunächst so erfolgreichen Rebellionen – nämlich in Tunesien und Ägypten – würden die brutal niedergedrückte „Grüne Bewegung“ zu neuem Leben erwecken. Genau diese Angst trieb Irans geistliche Herrscher zu dem Versuch, die Früchte des „arabischen Frühlings“ selbst zu ernten. Die „Urkraft“ aller Aufstände in der islamischen Welt, so doziert der „Geistliche Führer“ Khamenei, sei Khomeinis islamische Revolution von 1979. Ein „islamisches Erwachen“, das die Region nun erlebe, sei den epochalen Umwälzungen vor 33 Jahren im Iran zu danken. Von 700 Vertretern aus islamischen Ländern ließ sich Khamenei jüngst an der ersten „Internationalen islamischen Erweckungs-Konferenz“ in Teheran in dieser prophetischen Rolle als Vorkämpfer für Unabhängigkeit und Freiheit, wie er selbst betonte, feiern. Vertreter der syrischen Rebellen waren nicht geladen.
Der langfristige Einfluss der Revolution von 1979 lässt sich freilich nicht einfach leugnen. Zwar hatte die iranische Protestbewegung, dieses breite Spektrum von allen Schichten der Gesellschaft, keineswegs nach einem „islamischen Erwachen“ gerufen. Dennoch ist nach dem von Khomeini angeführten Sieg über den mächtigsten Militärherrscher des Orients der politische Islam in der überwiegend von nationalen und sozialistischen Idealen durchtränkten arabischen Welt der 70er Jahre weitgehend wieder salonfähig geworden.
Doch die islamischen Herrscher haben durch die daraufhin errichtete mit demokratischen Elementen garnierte theokratische Despotie und vor allem zuletzt durch die ungeheuerlichen Brutalitäten gegen gewaltlos protestierende Demonstranten nach den Wahlen 2009 Sympathie in der arabischen Welt vollends verspielt. Dies illustrieren deutlich Reaktionen aus Tunesien und Ägypten auf Khameneis Versuche, den „arabischen Frühling“ für sich zu vereinnahmen. So stellte Tunesiens Islamistenführer Rachid Ghannouchi bei seiner Heimkehr nach 20-jährigem Exil in Anspielung auf die triumphale Ankunft Khomeinis aus Paris 1979 in Teheran klar: „Ich bin weder Khomeini, noch Bin Laden.“ Auch die ägyptischen Moslembrüder, die nun stärkste politische Kraft am Nil, halten nichts vom Vorbild der islamischen Republik. Ägypten, so stellen Sprecher der Bewegung klar, erlebe eine demokratische und nicht eine islamische Revolution. Und sogar Al Azhar, das höchstes Zentrum sunnitischer Theologie, weist energisch Khameinis „Einmischung“ zurück und verurteilt scharf den Missbrauch des Islams und des Korans durch Irans geistliche Führer.
Auch an anderen Orten der Region blieb die Heuchelei der iranischen Herrscher nicht verborgen, so etwa, als Khamenei genau zu dem Zeitpunkt im Februar 2011 das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte in Bahrain gegen schiitische Demonstranten scharf verurteilte, als er zugleich seine eigenen Schergen auf friedlich protestierende Iraner schießen ließ
Wiewohl sich die islamischen Bewegungen der arabischen Welt im Laufe der Jahre gemäßigt haben, stehen sie nun vor ihrem entscheidenden Glaubwürdigkeitstest. Werden sie im Rausch der endlich errungenen Macht ihrem Demokratiebekenntnis treu bleiben? An dieser Frage wird sich entscheiden, ob der „Arabische Frühling“ nicht in eine Ära neuer Diktaturen, diesmal unter islamistischen Vorzeichen, mündet.
Ein Jahr nach dem Sturz Ben Alis und Mubaraks erscheint Irans politische Landschaft in schier gespenstischer Weise vom „Arabischen Frühling“ unberührt. Zur welcher Perfektion das islamische Regime seine Repression entwickelt hat, bewies der Jahrestag der brutalen Niederschlagung einer Solidaritätskundgebung Tausender Iraner mit Ägypten und Tunesien am 14. Februar. Es sollte ein Großkampagne iranischer Massen für die Freilassung aller politischen Gefangenem werden und ein Ende des einjährigen Hausarrests für die Führer der „Grünen Bewegung“, Mussawi, dessen Frau Zahra Rahnavard und Karrubi. Das Regime schickte ein gigantisches Aufgebot an Sicherheitskräften in die Straßen, bedrohte Anhänger der „Grünen Bewegung“ durch eine neue Phase sog. „kreativer Repression“ über das Internet und nahm „vorbeugend“ zahlreiche Aktivisten fest. Dass sich einige dennoch nicht einschüchtern ließen zeigt, dass es dem Regime bis heute nicht gelungen ist, die Kraft der reformorientierten Opposition vollends zu brechen. Vor allem Studenten, die die Schläge der Bassidsch 2009 und 10 in voller Wucht ertragen mußten, zeigen immer noch Widerstandsgeist und Mut. Nur eine Szene sei erwähnt.
(Bild: Majid Tavakoli)
Als Hossein Shariat-Madari, der prominente Herausgeber der regimetreuen Tageszeitung „Kayhan“ und enger Vertrauter Khameneis, am 11. Dezember in einer Teheraner Universität mit Studenten zusammentraf, begrüßte ihn eine feindselige Menge mit Plakaten mit der Aufschrift „Kayhan, faschistisches Medium“ und hielt ihm Fotos von Majid Tavakoli entgegen, dem bekanntesten seit 2009 im Gefängnis sitzenden Symbol der schwer angeschlagenen Studentenbewegung.
Ungeachtet solcher Zwischenfälle erscheint die politische Landschaft im Iran aber eingefroren. Die dynamischsten Diskussionen heute führen nicht Anhänger der Opposition und des Regimes, sondern islamistische Hardliner, gemäßigtere und radikalere Konservative, d.h. das herrschende erzkonservative Lager miteinander. Reformen, politische Öffnung, Liberalisierung, ein Ende der Repressionen – das ist nicht das Thema im heutigen Iran. Ganz im Gegenteil. Khamenei setzt alles daran, seine Macht als theokratischer Despot zu stärken und dabei versucht er zunehmend seinem ehemaligen Schützling Präsident Ahmadinedschad , der das Unglaubliche wagte, nämlich die Autorität des „Geistlichen Führers“ herauszufordern, den Boden abzugraben. Die für 2. März geplanten Parlamentswahlen sollen nach den Vorstellungen Khameneis und den ihm ergebenen erzkonservativen „Prinzipalisten“ ein Abgeordnetenhaus ohne der Ahmadinedschad-Fraktion aber auch ohne oppositionellen Reformern hervorbringen. Die entsprechenden Manipulationen im Vorfeld der Wahlen bewogen die Grüne Bewegung und deren Sympathisanten, diese ersten Wahlen seit 2009, zu boykottieren. Sie könnten Aufschluss über die Lebenskraft der Reform-Opposition geben, je nachdem wie viele Menschen in Protest gegen das Regime nicht zu den Wahlurnen schreiten, sondern durch die Straßen ziehen und damit dem Aufruf Grüner Führer folgen und versuchen, die Wahlen in einen „Kampf der Bürger gegen die Tyrannei“ zu verwandeln. Doch aus der Grünen Bewegung kommen keine Anleitungen zur Organisation einer solchen Kampagne. Khameneis Furcht vor solchen Demonstrationen aber, vorgeringer Wahlbeteiligung, die seine angeschlagene Legitimität, wie jene des Systems noch mehr untergraben würde, ist offensichtlich. Durch Appelle an die Bevölkerung, zu wählen und Drohungen an Oppositionelle, durch Blockierung der sozialen Netzwerke, des Internets und Mobiltelefone, versucht das Regime intensiv, ungestörte Wahlen und große Beteiligung zu garantieren. Die Angst, dass dies nicht gelingen könnte, ist so groß, dass Irans Führer auch Exil-Iraner, von denen einige zum Wahlboykott aufrufen oder andere „Anleitungen“ für Proteste erteilen, ins Visier nehmen und zu Methoden der 70er und 90er Jahre zurückzugreifen drohen, als sie Intellektuelle und andere Oppositionelle im In- und Ausland kaltblütig ermorden ließen.
Im allgemeinen aber ist die Stimmung im Land politisch zutiefst lethargisch – eine Folge nicht nur der scharfen Repressionen, sondern auch des zunehmend quälenden ökonomischen Drucks. Vor allem die iranische Mittelschicht, das Rückgrat der Reformbewegung, muss seit der drastischen Verschärfung der Sanktionen fast all ihre Kraft im täglichen Überlebenskampf einsetzen. Da bleibt wenig bis keine Kapazität für mutigen politischen Aktivismus. Und es wäre doch genau dieser, den der Westen unter Führung der USA durch die Sanktionen fördern und stärken wollte.
Welche Kraft, wenn überhaupt, besitzen Reformbewegungen noch, gibt es überhaupt eine Chance auf einen „iranischen Frühling“?
Im Gegensatz zu den arabischen Autokratien und Diktaturen, haben sich die Iraner in den vergangenen hundert Jahren mehrmals erhoben, um Freiheit, Selbständigkeit und Demokratie zu erkämpfen. Es ist daher logisch, dass die iranische Gesellschaft sozialen und demokratischen Werten schon lange weit größere Aufmerksamkeit schenkte als die arabische Region. Das berücksichtigte auch Khomeini, als er in die Verfassung das „republikanische„ Element – also vom Volk gewählte Institutionen – einbaute. Sukzessive allerdings verloren diese unter Khamenei ihren Handlungsspielraum. Doch erstmals hat 2009 die herrschende Elite, hat Khamenei offen und radikal einen Wahlausgang – ein für ihn unerwarteter Sieg eines populären Kandidaten – Mussawi – verhindert.
Die „Grüne Bewegung“, sie verdankt ihren Namen einer grünen Schärpe, die Ex-Präsident Khatami Mussawi zum Geschenk gemacht hatte, gegen die manipulierte Wiederwahl Ahmadinedschads spontan entstanden, verkörperte bald die frustrierten Sehnsüchte der Iraner nach Demokratie. Die Strategie der Gewaltlosigkeit, an der diese Bewegung bis heute festhält, ist nach Einschätzung des Soziologen Dariush Ashouri „Ausdruck einer neuen politischen Philosophie in der iranischen Gesellschaft“. „Die Grundlagen dieser Philosophie“ so stellte Ashouri laut rooz-online, einem reformorientierten Internetportal, bewundernd fest, „sind die Prinzipien von Toleranz und Pluralismus. Dies“ – ich zitiere – „lässt eine enorme Weiterentwicklung der iranischen Gesellschaft erkennen, die umso größere Bedeutung besitzt, als diese Bewegung mit einem Regime konfrontiert ist, das genau gegensätzliche Ansichten vertritt und sich in völlig konträrer Weise verhält.“ Mit einem Schlag strahlte vom Iran das Leuchtfeuer demokratischer Hoffnung über die gesamte von Autokraten und Despoten gequälte arabische Welt.
Zweieinhalb Jahre später aber ist die „Grüne Bewegung“ in ihrer ursprünglichen Form Geschichte. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die intensive Repression hat einen hohen Zoll gefordert. Eine zutiefst amorphe Bewegung mit Führern, die sich von Aktivisten treiben ließen, statt diese zu leiten, konnte sich nicht – im Gegensatz etwa zur ägyptischen Demokratie-Bewegung – auf eine zentrale Forderung einigen. Die verschiedenen Gruppen, säkularen, religiösen, riefen Slogans, die von der Frage reichten „Wo ist meine Stimme“ über „Ahmadinejad ist nicht mein Präsident“ bis schließlich zu „Nieder mit der islamischen Republik“. Die Bewegung wurde von religiösen „Grünen“ dominiert, die wie ihre Führer Mussawi und Karrubi Reformen innerhalb der Verfassung erstrebten und – immerhin beide einst Mitstreiter Khomeinis – an den Grundfesten der „Islamischen Republik“ nicht rütteln wollten, während säkulare „Grüne“ davon überzeugt sind, dass sich das Regime nicht von innen reformieren lasse, sondern in einem von Iranern eingeleiteten Prozess ausgewechselt werden müsse. Nicht nur versuchten einige der religiösen „Grünen“ darunter vor allem Khatami in altbewährter Methode, es sich nicht vollends mit Khamenei zu verscherzen., während Tausende Aktivisten in Gefängnissen Folterqualen erlitten.
Heute fragen sich demokratiehungrige Iraner konsterniert: Wie war es möglich, dass eine Million Ägypter ihren seit 30 Jahren herrschenden Autokraten stürzen konnten, während drei Millionen Iraner, die am 15. Juni 2009 in den Straßen von Teheran protestierten, nur Prügel einsteckten?
Es gibt zahlreiche Gründe für den Fehlschlag der „Grünen Bewegung“ . Vor allem fehlte ihr ein klarer Aktionsplan. Mussawi, zunächst wohl Führer wider Willen, benötigte viele Monate und die Erkenntnis ungeheuerlicher Brutalitäten des Regimes, um sich zu einem Manifest mit grob umrissenen – demokratischen – Zielen durchzuringen. Seit einem Jahr unter Hausarrest haben die drei Führer den Kontakt zu ihren Anhängern de facto verloren.
Durch die massiven Repressionen wurde die intellektuelle Landschaft des Irans empfindlich geschwächt. Das Regime konnte zwar die Massenproteste in den Straßen stoppen, doch die Quelle der tiefen Unzufriedenheit unter großen Teilen der Bevölkerung konnte es nicht zum Versiegen bringen. Ganz im Gegenteil. Die Kräfteverhältnisse innerhalb der iranischen Führung haben sich verschoben. Khamenei hat, zur Absicherung seiner autokratischen Macht, die Revolutionsgarden gestärkt, das Regime de facto militarisiert und die Zügel noch viel fester gezogen.
In dieser Situation ist die „Grüne Bewegung“ in eine Phase der Gewissenserforschung eingetaucht. Nach der Festnahme Mussawis, Karrubis und deren Frauen hat sich ein „Koordinationsrat des Grünen Pfades der Hoffnung“ gebildet, der gelegentlich Botschaften über Internet verbreitet. Bis heute aber konnte man sich nicht auf klare Ziele einigen. Einige „Grüne“ erwägen eine Aussöhnung mit Khamenei, wie sie Khatami angeboten hatte; andere wollen die Trennung von Mussawi, der durch seine Weigerung, Khamenei zu kritisieren und sein Festhalten an Reformen innerhalb der Verfassung viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat; eine andere Gruppe versucht unter Anleitung Mussawis – soweit dies, angesichts des Hausarrests, überhaupt noch möglich ist, Prinzipien und Ziele zu erarbeiten. Sie fordern eine Regierung, die sich voll auf den Willen des Volkes stützt, Verfassungsreformen, die Achtung von Menschenrechten nach internationalem Standard, Gleichheit aller vor dem Gesetz, unabhängig von Geschlecht, Religion und Ideologie, sowie eine Trennung religiöser von staatlichen Institutionen.
Niemand vermag derzeit die Stärke der Reform-Opposition abzuschätzen. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shriin Ebadi aber ist davon überzeugt, je länger die Repression andauert und je schärfer sie wird, desto mehr Iraner würden mit jenen, die einen Regimewechsel erstreben, sympathisieren. Fest steht, auch wenn Irans Demokratie-Aktivisten kaum noch sichtbar sind, ihr Ende ist nicht gekommen. Aus der Asche dieser Strömung kann sehr wohl eine noch mutigere, noch entschlossenere Oppositionskraft geboren werden. Sie hat gewiß einen beträchtlichen Teil der gebildeten Jugend hinter sich - und das ist eine starke Kraft, denn drei Fünftel der Iraner – mehr als 30 Millionen – sind heute unter 30.
Ein Regime, das sein Überleben auf Angst und Einschüchterung aufbaut, sieht sich beständig der Gefahr ausgesetzt, dass – wie es sich etwa in dem noch repressiveren Syrien zeigte – der Moment kommt, in dem die gequälten Massen die Mauer der Furcht durchstoßen. Wie sehr Khamenei dies verängstigt, beweist sein schier verzweifeltes Bemühen, mit Hilfe eines Massenaufgebots an Sicherheitskräften auch schon die kleinste Ansammlung von Menschen zu verhindern.
Langfristig steht aber wohl fest, dass die großen Herausforderungen der iranischen Gesellschaft nur in einer demokratischeren Umwelt zu bewältigen sind. Zu diesen Herausforderungen zählen neben der Jugend, die das Internet besonders geschickt zu nutzen weiß, eine starke und selbstbewusste Frauenbewegung, strukturelle ökonomische Probleme (hohe Arbeitslosigkeit und Inflation), dringend nötige Investitionen im Öl- und Gassektor und ein schwer angeschlagener Privatsektor.
Doch bis es so weit ist, kann noch viel Zeit vergehen. Denn im Gegensatz zu den Ländern des Arabischen Frühlings, hatten die Iraner ja schon ihre Revolution (1979) und dazu dann noch den achtjährigen, ihnen vom Irak aufgezwungenen und besonders verlustreichen Krieg. Diese Tragödien haben sie gelehrt, dass Revolutionen in eine Katastrophe münden, wenn die Alternative zu dem zu stürzenden System nicht klar zu erkennen ist. (Wir erleben das gerade etwa in Libyen) .In dieser Phase steht das Land heute. Der massive internationale Druck wegen Irans Atompolitik, die wachsenden wirtschaftlichen Nöte aufgrund der Sanktionen blockieren aber jede Entwicklung einer Alternative. Die größte Gefahr für die vom Regime verfolgten Reformer und Demokraten kommt von außen. Ich möchte mit einem Wort von Shirin Ebadi schließen: „Diktatoren“, so sagte die angesehene Juristin jüngst, „begrüßen es durchaus von ausländischen Kräften (militärisch) attackiert zu werden, denn dies bietet ihnen die Möglichkeit, unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit, Oppositionskräfte vollends auszuschalten.“
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Dies ist ein Beitrag, vorgetragen bei der Konferenz "Iran-Land der Vielfalt. Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf Iran., am 18. Februar 2012 in Wien, organisiert und moderiert von Helmut N. Gabel "www.mehriran.de"
Sonntag, 19. Februar 2012
Iran und der Arabische Frühling
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