von Birgit Cerha
Unter der sunnitischen Minderheit des Iraks wächst die Angst vor der Zukunft in einem Land, das ihr jede Mitsprache zu verwehren droht. Vor diesem politischen Hintergrund haben sich sunnitische Extremistengruppen, die nach der US-Invasion 2003 den Kern des blutigen Widerstandes gebildet hatten, neu formiert. So verkündete die „Islamische Armee des Iraks“ ihre „Helden, die das Reich des Bösen (USA) besiegt haben, sind in der Lage, auch dessen Handlanger (Premier Maliki) zu vernichten“. Auch die „Armee von Mudschaheddin“ und die bis 2003 im nordirakischen Kurdistan stationierte „Ansar al Islam“ schwor, den Konflikt gegen Maliki und die Schiiten zu eskalieren. Eine entscheidende Rolle in dieser sich neu formierenden Widerstandsszene aber spielt die „Jaish Rijaal al-Tariqa al-Naqshabandiyya: JRTN (Armee der Männer des Nakschbandi-Ordens), die einzige sunnitische Rebellenorganisation, die seit der drastischen US-Truppenverstärkung im Irak 2007 an Stärke gewonnen hat, die einzige, die offenbar aus den Fehlern der anderen Extremistengruppen gelernt hat.
JRTN hat es verstanden, frustrierten, politisch an den Rand gedrängten arabischen Sunniten ein neues Sammelbecken zu bieten, indem sie einerseits Angehörige der gestürzten Baath-Partei anzieht, aber auch stark religiöse orientierte Kräfte und zugleich Schwergewicht auf irakischen Nationalismus legt und sich damit gegen den wachsenden Einfluß des schiitischen Iran auf die Politik ihres Landes stemmt. „Wir kämpfen für die Integrität und Einheit des irakischen Landes und seiner Bewohner, um seine arabische und islamische Identität zu erhalten“, betont ein JRTN-Sprecher. JRTN richtet sich so freilich auch gegen die Interessen der kurdischen Bevölkerung des Landes.
Eine zentrale Rolle in der Organisation spielt Izzat Ibrahim al-Duri, einst Saddams Stellvertreter und das einzige prominente Mitglied des gestürzten Regimes, das immer noch auf freiem Fuß ist. Duri führt auch die von ihm gegründete „Neue Baath-Partei“. JRTN trat erstmals im Dezember 2006, kurz nach der chaotischen Exekution Saddam Husseins, mit der Ankündigung des gewaltsamen Widerstandes gegen die Koalitionstruppen im Irak in Erscheinung. Die Organisation bekennt sich als Teil der „Nakschbandi“, eines der größten und einflußreichsten sufistischen Ordens, der 1389 von Baha al-din Nakschband gegründet wurde und als einzige der zahlreichen Sufi-Orden direkt auf den Propheten Mohammed zurückgeht. Wiewohl die Nakschbandi als Pazifisten Gewalt ablehnen, verübte JRTN seit etwa 2009 zahlreiche Terrorakte gegen US-Miitärziele, betonte jedoch, im Gegensatz zu „Al-Kaida im Irak“, das Leben der Iraker zu schonen. Nun, da US-Militärs das Land verlassen haben, ist ihr Hauptziel, die mit Washingtons Hilfe installierte pro-iranische Schiitenregierung.
Die Organisation zog zahlreiche Ex-Offiziere der irakischen Armee, anti-amerikanische Nationalisten an und, einflußreiche arabisch-sunnitische Stammesführer, enttäuschte „Söhne des Iraks“, Sunniten, die einst von den Amerikanern für den Kampf gegen Al-Kaida angeheuert worden waren und bis heute vergeblich auf die Erfüllung des Versprechens warten, von Maliki in die Streit- und Sicherheitskräfte integriert zu werden. Unter der über die diskriminierende Politik Malikis und die Gewalt schiitischer Milizen erboßten sunnitischen Zivilbevölkerung findet JRTN wachsende Sympathie. Die Organisation profitiert enorm von Duris immer noch starkem Einfluß vor allem unter der sunnitischen Bevölkerung. Der völlig unpolitische Nakschbandi-Orden hatte unter Saddam ein privilegiertes Dasein genossen und sich mit Hilfe Duris zu einer Art Bund entwickelt, der Mitglieder – wie anderswo die Freimauer – gegenseitig fördert. Dieses Netz kommt der JRTN nun zugute. So wird sie finanziert von wohlhabenden Baathisten vor allem im jordanischen Exil, genießt aber auch die Unterstützung des jordanischen Geheimdienstes, der, wie die mit JRTN sympathisierenden Saudis höchstes Interesse hat, Irans Einfluß im Irak zurückzudämmen.
Zu ihren Zielen nennt JRTN die Wiedereinsetzung aller rund 600.000 Angehörigen der 2003 von den USA aufgelösten Sicherheitskräfte auf ihre alten Posten, die Auflösung aller seit dem Sturz Saddams geschaffenen Regierungsorgane und Gesetze, sowie die Freilassung von Tausenden sunnitischen Gefangenen und schließlich nichts weniger als die Rückkehr der Baath an die Macht am Tigris. Malikis radikale anti-sunnitische Politik und sein despotischer Stil, stärken diese neuen sunnitischen Kräfte und treiben den Irak wieder an den Rand eines Bürgerkrieges.
Sonntag, 15. Januar 2012
LEXIKON: „Armee der Männer des Nakschbandi-Ordens“ JRTN
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