Der Aufstand gegen Präsident Mubarak hat das Land tief gespalten – Demokraten setzen den Kampf fort, nun gegen das Militär und die Islamisten
von Birgit Cerha
Hunderrttausende Ägypter gedachten Mittwoch in krass unterschiedlicher Weise des 25. Januars 2011, als junge demokratische Kräfte einen Prozess einleiteten, der in die Geschichte des Landes einging. Binnen 18 Tagen brachten friedliche Massendemonstrationen einen der dienstältesten Diktatoren der Region, Hosni Mubarak zu Fall. Eine Welle der Euphorie schwappte übe die Grenzen dieses bevölkerungsreichsten arabischen Staates und riß Gleichgesinnte in der ganzen Region mit sich.Ein Jahr später ist die Freude unter vielen Enttäuschung, Frustration, wiewohl durchaus nicht Hoffnungslosigkeit gewichen. Ägyptens Revolution aber hat das Land tief gespalten. Hunderttausende Menschen feierten Mittwoch die neuen Kräfteverhältnisse am Nil, die ersten freien Parlamentswahlen, die den jahrzehntelang brutal verfolgten Moslembrüdern die Legitimation zur Macht bescherten. Die „Facebook-Republik“ - wie politische Analysten die Koalition junger Liberaler, Linker und Arbeiter nennen, die den Aufstand initiiert und lange getragen hatten, fühlt sich um die Früchte ihres mutigen Einsatzes betrogen. In dem von Islamisten beherrschten Parlament konnten sie nur ganz wenige Sitze erobern. Führungslos und anarchisch, fürchten sie nun vollends an den Rand des politischen Geschehens gedrängt zu werden. Ihre Stärke ist die Moral, sie sind das Gewissen der Revolution. Doch damit bleiben sie ihren Gegenspielern – den islamischen Gruppierungen, wie dem herrschenden Militärrat, in Zukunft wohl unterlegen.
Dennoch, die Offiziere fürchten die Macht der Straße, die sie in den vergangenen Monaten immer wieder zu wichtigen Zugeständnissen gezwungen hatte. Ängstlich bestrebt, verlorene Popularität wieder zu gewinnen, hatte Feldmarschall Tantawi rund 2000 von Militärgerichten in den vergangenen Monaten verurteilte Demonstranten freigelassen und die seit drei Jahrzehnten herrschenden Notstandsgesetze teilweise aufgehoben. Deren totale Annullierung zählt zu den Hauptforderungen der „Facebook-Republik“. Menschenrechtsorganisationen aber halten die teilweise Aufhebung der Gesetze für eine Farce, da unbegrenzte Polizeimaßnahmen auch künftig in Fällen von „Rowdytum“ gestattet sein werden. Unter dem Vorwurf dieses Vergehens waren in den vergangenen Monaten Tausende friedliche Demonstranten festgenommen, gefoltert und in militärischen Schnellverfahren verurteilt worden. Damit sichert sich der Militärrat auch weiterhin polizeiliche Willkür und Repression gegen Kritiker und friedliche Demonstranten.
Ägyptens Streitkräfte, die traditionell hohes Ansehen im Land genossen, hatten während der 18-tägigen Revolution enorme Sympathie gewonnen, weil sie die Demonstranten gegen Attacken der Polizei und von Kreisen des Regimes angeheuerten Gewalttätern geschützt und schließlich Mubarak zum Rücktritt gezwungen hatten. Doch bald stellte sich heraus, dass der Militärrat unter Führung Tantawis, der zwei Jahrzehnte lang Mubarak als Verteidigungsminister gedient hatte, seine eigene Macht und seine weitreichenden Privilegien zu schützen entschlossen ist – und dies mit denselben repressiven Methoden, die Mubarak 30 Jahre lang die Macht gesichert hatten. „Die Armee und die Polizei hat uns (die Revolutionäre) gemordet und die Stimme der Revolution erstickt. Aber wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen“, fasst ein Aktivist die unter seinen Kameraden weitverbreitete Stimmung zusammenn der Spitze des Forderungskatalogs der „Facebook-Republik“ steht, wie schon seit zwei Monaten, der sofortige Rückzug des Militärs aus der Politik, die totale Aufhebung der Notstandsgesetze, die Neustrukturierung von Polizei – und Sicherheitsappart, die Freilassung aller politischen Gefangenen und durch Militärgerichte abgeurteilten Zivilisten, die „Säuberung“ der Justiz, eine Ende der Korruption, die Achtung der Menschenrechte und eine ökonomische Neustrukturierung, die nicht mehr eine Minderheit privilegiert.
Zur Erreichung dieser Ziele rufen die Aktivisten zu einer „zweiten Revolution“. Diese aber wird sich auch gegen die neugewählte Parlamentsmehrheit richten. Schon stellten die das Abgeordnetenhaus dominierenden Moslembrüder fest, dass sie künftig Demonstrationen auch als gegen sich gerichtet werten würden. Der ökonomische Niedergang des Landes infolge der monatelangen politischen Turbulenzen stärkt unterdessen jene Kräfte, die wie die Islamisten Ruhe und Stabilität für noch wichtiger halten, als den totalen Rückzug der Militärs.
Dennoch werden sich in den kommenden Monaten bis zu der für Ende Juni vorgesehenen Verabschiedung einer neuen Verfassung, auch die Islamisten eine harte Machtprobe mit dem Militär liefern müssen, das entschlossen ist, seine Machtpositionen und seine privilegierte Position im Staat in der Verfassung zu verankern, um Ägypen zu einer „geschützten Demokratie“ zu führen.