Warum die „Islamische Republik“ eine Eskalation im Atomkonflikt riskiert – Amadinedschad versucht, die revolutionäre Glut neu zu entfachen – Wo steht das Volk?
von Birgit Cerha
„Die iranische Nation ist weise. Sie wird nicht zwei (Atom-)Bomben in einer Welt bauen, die bereits von nuklearen Waffen überschwemmt ist. Aber sie baut etwas, worauf ihr (die USA) nicht antworten könnt: Ethik, Anstand, Monotheismus und Gerechtigkeit.“Einen Tag, nachdem die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in ihrem jüngsten Bericht dem Iran vorwirft, zumindest bis zum vergangenen Jahr an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet zu haben, heizte Irans Präsident Ahmadinedjad die internationalen Spannungen weiter auf. Der Iran werde in der heißumstrittenen Atomfrage „nicht einen Millimeter zurückweichen“. Zugleich wies Ahmadinedschad die Behauptungen der IAEA als „unausgewogen“ zurück. Sie stützten sich auf falsche Informationen. Zudem brauche der Iran keine Atombombe, um die USA zu vernichten.
In der Region wächst die Nervosität, ein Militärschlag der Israelis oder gar der USA hätte unabsehbare Auswirkungen, für den Iran, aber auch für den gesamten Mittleren Osten. Welche Motive treiben die Führer der „Islamischen Republik“, die aus religiöser Überzeugung offiziell den Einsatz von atomaren Waffen entschieden ablehnen, dieses gefährliche Versteckspiel mit der internationalen Gemeinschaft unbeirrt fortzusetzen? Kein Zweifel, zum nationalen Schutz benötigt Teheran die Bombe nicht, ist der Iran doch umringt von überwiegend schwachen Staaten mit teils gravierend destablisierenden internen Problemen. Keiner erwägt auch nur in seinen kühnsten Träumen eine Invasion der „Islamischen Republik“. Und dennoch deutet alles darauf hin, dass Teheran sich zumindest die Fähigkeit zu einem raschen Bau von Atombomben sichern will.
Welche Motive treiben die „Gottesmänner“, an diesem gefährlichen Kräftemessen mit der internationalen Gemeinschaft festzuhalten? Eine Analyse iranische Aktionen und offizieller Erklärungen lässt einen breiten Konsens für ein Ziel erkennen: den Aufstieg zur führenden Regionalmacht, einer Position, die der Größe der Bevölkerung, deren intellektueller Kapazitäten, den ökonomischen Ressourcen des Landes, seiner Geschichte, Kultur und Identität entspricht. Die Anerkennung dieser Rolle verweigern die umliegenden Staaten den Iranern zumindest seit der islamischen Revolution vor drei Jahrzehnten.
Diese „imperialistische Denkweise“, wie manche Iran-Experten den geostrategischen Ehrgeiz der iranischen Führungselite nennen, findet sich auch in weiten Kreisen der ansonsten tief gespaltenen iranischen Gesellschaft. Viele Iraner dürften sich einig sein, dass ihr Land es verdient so mächtig wie nur möglich zu werden. Diese Gefühle haben sich durch die katastrophale Politik der islamischen Führer, insbesondere im Bereich der Wirtschaft, offenbar wesentlich gesteigert. Während die Iraner in den vergangenen zwei Jahrzehnten, ungeachtet des Öl- und Gasreichtums eine Senkung ihres Pro-Kopf-Einkommens hinnehmen mußten und von der internationalen Gemeinschaft dämonisiert werden, beobachten zumindest jene, die Auslandsreisen unternehmen, voll Bitterkeit die ökonomischen und technologischen Entwicklungen bei Nachbarn etwa in Dubai oder Istanbul. Ungeachtet von den Interessen und Strategien des Regimes, findet sich beim Durchschnittsbürger ein psychologisch bedingtes starkes Interesse an der Machtentfaltung seines Landes, auch wenn die wenigsten mit dem Atomprogramm vertraut sind.
Dennoch hält der Iran-Experte Karim Sadjapour etwa im Westen oft wiedergegebene Behauptungen, die Iraner stünden voll hinter dem Atomprogramm des Regimes für übertrieben. Er weist darauf hin, dass zwei Drittel der Bevölkerung unter 30 ist, in der Zeit unmittelbar nach dem blutigsten Krieg der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, jenem mit dem Irak, geboren und – wie ihre Eltern - wenig Lust an neuen kriegerischen Konflikten verspüren, sondern vielmehr endlich einen wirtschaftlichen Aufschwung erhoffen. Dennoch sehen viele das technologische Know-how auch im Bereich der Atomenergie als wichtigen Faktor in der Entwicklung des Irans zu einem modernen, mächtigen Staat. Zudem würde der Iran als Atommacht in den sehr exklusiven internationalen Club aufsteigen und damit auch endlich auf der Weltbühne die ihm gebührende Anerkennung genießen, eine Aussicht, die auch für regimekritische Bevölkerungskreise Attraktivität besitzt.
Das iranische Regime hingegen stützt sein Streben nach regionalpolitischer Macht nicht primär auf ökonomische Entwicklung, die es jahrzehntelang sträflich vernachlässigt hat, sondern auf Ideologie und militärische Kraft. Der Besitz der Fähigkeit zum raschen Bau der Atombombe, so hofft man in Teheran, werde dem „Gottesstaat“ endlich die heißersehnte Anerkennung als Führungsmacht durch die Regionalstaaten einbringen. Dafür scheut Ahmadinedschad auch nicht den offenen, vielleicht gar militärischen Konflikt mit dem Westen. Irans Präsident, darin sind sich Beobachter einig, hat vielmehr längst erkannt, dass Khomeinis islamisch-revolutionäres Gedankengut nur noch wenige zu befeuern vermag und er setzt verstärkt auf einen auflebenden iranischen Nationalismus, der sich mit dem Islamismus des Regimes verschmelzen und diesem neue Kraft schenken könnte.
Viele seiner zahlreichen Gegner innerhalb der herrschenden Elite konnte der Präsident bisher für seinen kompromisslosen Kurs gewinnen, weil der Iran dafür bis heute keinen schmerzlichen Preis bezahlen, sondern durch den Verbalkrieg vielmehr – so sieht man es zumindest in Teheran – international an Statur gewonnen habe. Doch herrschende Kreise im „Gottesstaat“ haben auch einen Hang zum Pragmatismus. Steigt der Preis für ihre Atomstrategie über die Schmerzgrenze, dann könnte sich ihre Position rasch entscheidend verändern.