Sonntag, 6. November 2011

Assads schwindende Optionen

Den Syrern steht ein langer, blutiger Zermürbungskrieg bevor bis das Regime zusammenbricht – Die Gefahr eines Bürgerkriegs nimmt stetig zu

Bild: Homs, derzeitiges Zentrum des Widerstands

von Birgit Cerha

Lange hatte die Arabische Liga gebraucht, bis sie Anfang November endlich dem schwer bedrängten syrischen Diktator Baschar el Assad einen Friedensplan präsentierte, der das Land nach acht Monaten des Blutvergießens zur Ruhe bringen sollte. Und Assad akzeptierte. Er versprach, Panzer und Soldaten von den Straßen zurückzuziehen, seit Beginn der Revolte Festgenommene (vielleicht 20.000, niemand weiß es genau) freizulassen und Verhandlungen mit der Opposition zu beginnen. Doch das Sterben geht weiter. In Homs, dem derzeitigen Zentrum des Widerstandes gegen das Regime, seien ganze Gebäude durch Panzerkanonen zerstört worden, berichtet ein Augenzeuge aus der heißumkämpften zentralsyrischen Stadt. „Es gibt kein Brot mehr und Zivilisten, die in den Straßen verwundet werden bleiben liegen und sterben, weil sie niemand retten kann.“ Erneut rief am Wochenende der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, das syrische Regime eindringlich auf, das Blutvergießen sofort zu beenden. Ein Scheitern des arabischen Friedensplans werde „katastrophale Folgen für Syrien und die Region“ nach sich ziehen.

Tatsächlich spricht nichts dafür, dass Assad oder auch seine Gegner diesem Plan eine Chance geben wollen. Er kommt viel zu spät. Das Tor zu nationaler Versöhnung ist nach dem Tod von mehr als 3.000 Menschen längst zugeschlagen. Wiewohl über die Zukunft Syriens immer noch weitgehend uneins, ist sich die interne und im Exil lebende Opposition in einem Punkt einig: Baschar el Assad hat durch seine zahllosen unerfüllten Versprechen der vergangenen acht Monate jegliches Vertrauen und durch die mörderische Brutalität seiner Schergen gegen unbewaffnete Demonstranten jegliche Kompromissbereitschaft seiner Gegner verspielt. Für diese gibt es nur mehr ein Ziel: Sturz des Regimes. „Nach Gadafi (Libyens getöteten Diktator) bist du dran, Baschar“, lauten die jüngsten Rufe der trotz aller Gewalt unerschrocken protestierenden Syrer. Die Freilassung von 553 Gefangenen aus Anlaß des muslimischen Festes Eid al-Adha mag die Opposition ebenso wenig umzustimmen, wie die einwöchige Amnestie für Rebellen, die sich den Behörden stellen und ihre Waffen abliefern. Eine Warnung des US-Außenministeriums, das Angebot des Regimes nicht ernst zu nehmen, löste unter den Damaszener Führern helle Empörung über solche „Einmischung“ der Supermacht aus.

Unterdessen sind sich Experten in der Region weitgehend einig, dass den Syrern nun ein langer Zermürbungskrieg bevorsteht, bis das Regime Assad endgültig zusammenbrechen werde. In acht Monaten ist es Assad nicht gelungen, trotz skrupelloser Gewalt, trotz der Bombardierung und Belagerung größerer Städte wie Homs, Hama und Latakia, den Aufstand niederzuschlagen. Doch auch seine Gegner haben nicht die Kraft die Diktatur zu Fall zu bringen. Die Gewalt aber hat unterdessen ein Maß an Eigengesetzlichkeit erreicht, dass Assad kaum noch Optionen offenläßt. Durch die Bombardierung von Städten, die wahllose Tötung von Zivilisten schaufelt sich das Regime sein eigenes Grab und treibt das Land in den Ruin, darin sind sich Analysten in der Region einig.

Unterdessen verstärken sich die ersten Anzeichen eines beginnenden Bürgerkrieges. Am Rande von Aleppo, dem bisher weitgehend ruhig gebliebenen, von Assads Sicherheitskräften umringten kommerziellen Zentrum Syriens, seien, so lokale Kreise, vor wenigen Tagen Angehörige der alawitischen Minderheit ermordet worden. Beginnt nun die blutige Rache der seit Jahrzehnten teils blutig vom Alawiten-Regime unterdrückten sunnitischen Mehrheit? Schon dringen Berichte nach außen, Assad unterstützendes medizinisches Personal weigere sich, verwundete Rebellen zu behandeln.

Seit April, so berichtet das „Internationale Institut für Strategische Studien“ würden Waffen nach Syrien geschmuggelt und „dieser illegale Handel blüht nun, wiewohl vor allem an Zivilisten zur Selbstverteidigung“ und nicht als gezielte Aktion ausländischer Mächte, wie das Regime gerne zur Rechtfertigung seiner eigenen Gewalt behauptet. Die große Mehrheit der Opposition besteht dennoch weiterhin auf Gewaltlosigkeit. So hat der jüngst in der Türkei nach langen turbulenten Verhandlungen als Dachverband der Opposition gegründete „Syrische Nationale Rat“ (SNR), ein Waffen-Angebot des „Libyschen Übergangsrates“ entschieden abgelehnt. Dennoch dürfte auch nach unabhängigen Quellen die vo abgesprungen Offizier Riad Asaad unter türkischem Schutz gegründete „Freie syrische Armee“ stetig wachsen. Asaad behauptete jüngst in einem Interview er kommandiere nun 10.000 desertierte syrische Soldaten. „Wir sind die Zukunft Syriens. Wir schlagen gegen Assads Regime und seine Armee an vielen Orten“. Er wolle, so erklärte Assad, in Nord-Syrien nach dem Vorbild Benghazis in Libyen, eine befreite Zone schaffen, um von dort aus das Regime zu Fall zu bringen. Doch es fehlt an Waffen und Männern, um die rund 200.000 Mann starken syrischen Armee in die Knie zu zwingen. Die Militarisierung des Konflikts aber droht Syrien in einen Bürgerkrieg zu reißen. Schon jetzt sollen nach unabhängigen Quellen im Schnitt pro Tag ebenso viele Soldaten sterben, wie Rebellen.

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