Der Sturm der Freiheit auch Libyen erfasst – Das Land ist reif für die Revolution, doch der Diktator ist ein Meister politischer Überlebenskunst
von Birgit Cerha
Ungeachtet hemmungsloser Brutalität der libyschen Sicherheitskräfte wagten sich auch Freitag wieder Tausende Menschen in die Straßen der zweitgrößten Stadt Benghazi. Sie protestierten gegen den Tod von etwa 14 Menschen, die Donnerstag bei einer friedlichen Demonstration gegen die Diktatur von Sicherheitskräften erschossen worden waren. Was sich seit Wochenbeginn tatsächlich in dem ölreichen Wüstenstaat ereignet, lässt sich nur in groben Umrissen erkennen. Unter der 41-jährigen Herrschaft Muammar Gadafis ist der Ölstaat fast völlig isoliert. Authentische Informationen über die wahren politischen Zustände in dem „Staat der Massen“, in dem sich nach Gadafis Lesart das Volk selbst regiert, in Wahrheit doch der Oberst mit voller Härte und Brutalität seine eigene Macht absichert, dringen nur sporadisch an die westliche Öffentlichkeit. Denn die kleinste Regung des Widerstandes, ja der Kritik wird im Reich Gadafis mit Freiheit, mitunter gar mit dem Leben bestraft.
Umso bemerkenswerter erscheint es, dass der von den beiden Nachbarstaaten – Tunesien und Ägypten – ausgehende Sturm der Freiheit – nun auch Libyen erfasst hat. Und dies, obwohl ein angesichts des Sturzes der tunesischen und ägyptischen Herrscher sichtlich nervöser Gadafi rasch Trostpflaster an sein Volk verteilte, insbesondere die Lebensmittelpreise senkte. Doch – im Gegensatz insbesondere zu Ägypten – sind es nicht primär soziale Nöte, die die Libyer gegen ihren Diktator aufbringen. Immerhin konnte sich Gadafi mit Hilfe reicher Öleinnahmen doch wiederholt die Ruhe seines nur sechseinhalb Millionen Menschen zählenden Volkes erkaufen, wiewohl die Arbeitslosenrate bei 30 Prozent liegen dürfte. Die Libyer, insbesondere die junge Generation, haben nach mehr als vier Jahrzehnten der Diktatur „genug“ von ihrem Diktator. Sie wehren sich gegen die massive Repression.
Davon bekamen sie in der Nacht auf Freitag erneut eine blutige Kostprobe. Um ein Ausbreiten der Proteste zu vermeiden hatte Gadafi seine Sicherheitskräfte auf Häuserdächern stationiert, von wo sie mit scharfer Munition in die Menge feuerten. Kampfhelikopter kreisten über den Städten. In Benghazi und einigen anderen Städten wurden laut Human Rights Watch mindestens 24 Menschen getötet und Hunderte verletzt. Libyer klagen über Facebook, dass Ärzte in Spitälern es nicht wagen, sich einem Befehl Gadafis zu widersetzen und Verletzte zu behandeln. Nach Aussagen libyscher Oppositioneller hat der Oberst in Erwartung von Unruhen schon vor Tagen Sicherheitskräfte aus dem benachbarten Tschad zu Hilfe geholt, die geringere Hemmungen zeigen dürften, gegen gewaltlose libysche Zivilisten vorzugehen.
Die Proteste hatten vor zwei Tagen mit der Forderung einer kleinen Schar von Juristen in Benghazi begonnen, die sich für eine demokratische Verfassung und eine unabhängige Justiz einsetzten. Eine immer größere Menschenmenge, offensichtlich ermutigt durch die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, schloss sich ihnen an. Benghazi, 1000 km von Gadafis Machtbasis in Tripolis und Sirte entfernt, galt stets als Unruhepol. Das nahegelegene Gebiet des Jabal Akhdar (Grüner Berg) gilt als Brutstätte des Widerstandes gegen Gadafi. Hier rekrutierte die bekannteste Rebellengruppe, die “Islamische Kampfgruppe Libyens“, in der Vergangenheit viele ihrer Mitglieder. Einst mit der Al-Kaida verbündet, hat sie sich inzwischen von dem Terrornetz distanziert und Gadafi entließ auch Dutzende ihrer Angehörigen in den vergangenen Tagen aus dem Gefängnis.
Es ist Libyens Jugend, die ähnlich wie in Ägypten, mit Hilfe von dem in Libyen allerdings weit unterentwickelten Internet und Sozialnetzwerken den Mut zum Widerstand aufbringen
Rund 33 Prozent der Bevölkerung ist unter 14 und trotz massiver Beschränkungen begierig, sich über elektronische Medien den Zugang zur Welt zu öffnen. „Allein in den vergangenen zwei Monaten“, erläutert der libysche Schriftsteller Guma el-Gamaty, „hat sich die Zahl der – überwiegend jungen – Libyer, die sich Facebook-Gruppen und Twitter anschlossen mehrfach verdoppelt“. Solange die Proteste nicht die Hauptstadt erreichen, kann sich Gadafi einigermaßen sicher fühlen.
Zudem ist Libyens externe Opposition zersplittert und die interne angesichts der massiven Repression völlig desorganisiert, ohne klare Ziele, einig nur im Zorn über Repression, Korruption der herrschenden Clique, der katastrophalen Gesundheitsversorgung und Infrastruktur. Es gibt keine Institutionen der Zivilgesellschaft, keine Gewerkschaften, keine freie Presse. Libysche Oppositionelle beklagen bitter das geringe Interesse des Westens an den Repressionen in ihrer Heimat. Gadafi hat lange bewusst ein Informationsvakuum geschaffen, um vor allem das westliche Ausland über die wahren Verhältnisse im Wüstenstaat im dunkeln zu lassen. Gelingt es ihm, dies auch jetzt aufrecht zu erhalten, dann könnte dieser Herrscher, der zudem auch noch jahrzehntelange Erfahrung mit einem politischen Überleben in internationaler Isolation gesammelt hat, der wohl größten Herausforderung seiner Herrschaft gewaltsam widerstehen. Nicht zuletzt ist ja auch libysches Öl in der EU heiß begehrt.
Freitag, 18. Februar 2011
LIBYEN: Gadafi zeigt keine Gnade
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Gadafi ist geisteskrank.
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