Streit der rivalisierenden Politiker eröffnet radikalen Kräfte und den Nachbarn neue Möglichkeiten zulasten irakischer Stabilität und Souveränität
von Birgit Cerha
Werden die schlimmsten Befürchtungen wahr? Mehr als zwei Monate nach den Parlamentswahlen sind Iraks Politiker der Bildung einer neuen Regierung immer noch weit entfernt. Ihre erbitterten Streitereien öffneten ein Machtvakuum, das, wie von unabhängigen Beobachtern schon lange vorhergesagt, das Land erneut in blutiges Chaos zu reißen droht. Weit mehr als hundert Tote und an die 400 Verletzte forderten Montag koordinierte Terrorattacken in mehreren Teilen des Iraks. Es war der weitaus blutigste Tag dieses Jahres, und dies obwohl den Sicherheitskräften mit US-Unterstützung eben erst die Verhaftung mehrerer Al-Kaida-Führer und anderer Terroristen gelungen war.Wieder blockiert die Welle der Gewalt die wirtschaftliche Entwicklung und den so dringend nötigen Wiederaufbau des zerstörten Landes. Wieder steigen die Zukunftsängste. Denn es sind die sich stetig verschärfenden politischen Konflikte, Machtgier und fehlende Bereitschaft zu nationaler Versöhnung, die eine stabile und sichere Zukunft des Landes wie nichts sonst gefährden und den Nachbarn, insbesondere dem Iran, die Tore zu Manipulation im Eigeninteresse weit öffnen.
Nouri al Maliki, Premier seit 2005, klammert sich fest an die Macht. Er weigert sich, das Ergebnis der Parlamentswahlen, das ihm nicht die erwarteten 110, sondern nur 89 Sitze - um zwei weniger noch dazu, als seinem Erzrivalen Iyad Allawi - bescherten, zu akzeptieren. Durch eine Reihe von höchst fragwürdigen politischen Manövern gelang es ihm tatsächlich, Allawis Chance zur Bildung einer Regierung zu vereiteln. So setzte er eine händische Neuauszählung der Stimmen insbesondere im größten Wahlkreis, Bagdad durch, obwohl die UNO und andere internationale Beobachter die weitgehende Fairness der Wahlen bescheinigt hatten. Die Neuauszählung von bisher etwa 50 Prozent der Stimmen lässt jedoch keine wesentlichen Veränderungen des Ergebnisses erkennen. Schwerwiegender aber sind Malikis Versuche, seine Rivalen der von der von einer starken arabisch-sunnitischen Mehrheit unterstützten „Irakiyya“-Allianz Allawis unter dem Vorwurf der Nähe zur gestürzten Baath-Partei auszuschalten. Das dafür zuständige Komitee für „Rechenschaft und Gerechtigkeit“ hat bereits 52 Kandidaten disqualifiziert und mindestens acht gewählte „Irakiyya“-Kandidaten sind nun vom Ausschluß bedroht.
Es sind vor allem persönliche Animositäten zwischen Allawi und Maliki und beider Machtgier, die den Irak erneut ins Schlamassel zu reißen drohen. Beide Schiiten stehen einander politisch nahe, beide verfechten eine zentralistische Politik. Maliki, lange führendes Mitglied der islamistischen Daawa-Partei, hat sich im vergangenen Jahr einer säkularen, irakisch-nationalistischen Linie, wie sie der pro-westliche Allawi vertritt, stark angenähert. Doch keiner will den Anspruch auf das Amt des Premiers aufgeben und aggressive Attacken der „Irakiyya“, insbesondere Allawis im Wahlkampf gegen Maliki haben das Gesprächsklima zwischen den beiden Politikern vergiftet.
So wirft Allawi nun Maliki vor, er treibe das Land erneut in einen konfessionell motivierten blutigen Konflikt, der dem Irak bereits 2004/05 zum Verhängnis geworden war. „Sie (die islamistischen Schiiten und Maliki) kehren zurück zu ihren ursprünglichen konfessionell motivierten politischen Methoden“, obwohl die Wähler diesen eine Absage erteilt hätten, klagt Allawi in einem Interview mit dem britischen „Guardian“. Tatsächlich droht die neue schiitische Allianz, der sich Malikis „Rechtsstaat“-Bewegung anschloß, die Uhr zurück zu drehen. Nach langem Werben war es der „Irakischen Nationalallianz“ (INA) aus religiös orientierten, eng mit dem Iran verbündeten schiitischen Parteien gelungen, einen Bund mit der „Rechtsstaat“-Bewegung zu schließen und damit den größten Block im Parlament zu bilden. Um eine Regierung auf die Beine zu stellen, fehlen ihr nur vier Mandate, die sie sich leicht durch einen Pakt mit der Kurdischen Allianz oder/und diversen Kleinparteien sichern kann. Iran könnte damit seinen Verbündeten die volle Macht sichern und großen Einfluß über den Nacharstaat, sobald die US-Truppen endgültig abgezogen sind.
Doch noch ist Teherans Triumph keineswegs sicher, noch stehen einer Regierungsbildung große Hürden im Wege. Der neue Schiitenblock hat weder einen Namen, noch einen Führer. Die diversen darin vereinten Parteien – wie jene des anti-amerikanischen Geistlichen Moqtada Sadrs, des „Islamischen Höchsten Rates des Iraks“ (SIIC) oder Malikis „Rechtsstaat“ - eint fast nur die Zugehörigkeit zum selben Glauben. Und auch innerhalb dieser Allianz, insbesondere unter den Sadristen, ist die Animosität gegenüber Maliki stark ausgeprägt. Noch ist keineswegs sicher, ob der derart ungeliebte Maliki, der sich als Wahlsieger fühlt, auf das Premierministeramt verzichten will, um eine Regierungsbildung zu ermöglichen. In irakischen Medien kursieren diverse Szenarien, wie die neue Schiitenallianz einen Premier auswählen könnte. Ibrahim Jaafari, der von der Daawa abgespaltene ehemalige Regierungschef wurde in einem von Sadr ausgerufenen Referendum, ungeachtet seiner bewiesenen Amtsunfähigkeit zum populärsten Kompromisskandidaten gekürt, womit die Rückkehr zu der von blutigem Terror beherrschten politischen Szene 2004/05 fast vollständig vollzogen wäre. Denn eine Regierungskoalition der Schiitenallianz mit Kurden oder kleineren Parteien würde wieder fatal die arabischen Sunniten von der Macht ausschließen. Ein solches Szenario könnte sich erneut für den Irak als Katastrophe erweisen. Bleibt nur die Hoffnung, dass der Terrorschock vom Montag die beiden Wahlsieger doch noch zur Vernunft und zu ernsthaften Versuchen nationaler Versöhnung auch zwischen Sunniten und Schiiten zwingt.
(Siehe auch LEXIKON: "ENT-BAATHIFIZIERUNG")
Bildquelle: Al-Jezira am 11.05.2010
Dienstag, 11. Mai 2010
IRAK: Machtvakuum gefährdet Iraks Zukunft
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen