Freitag, 1. Januar 2010

IRAN: „Töte uns und wir werden stärker“

Irans Oppositionsführer Mussawi erklärt sich bereit, bis zum Tod für die Rechte des iranischen Volkes zu kämpfen

von Birgit Cerha

Unbeeindruckt von zunehmenden massiven Drohungen durch das Regime und dessen radikale Anhänger meldete sich der Führer der „Grünen Bewegung“, Mir Hussein Mussawi Freitag über seine Website zu Wort und verkündete den friedlich rebellierenden Massen in seiner schärfsten Erklärung bisher seine Bereitschaft zum Martyrium. „Ich fürchte mich nicht, einer der Märtyrer zu werden, die das Volk in seinem Kampf um die Erfüllung seiner gerechtfertigten Forderungen opfert,“, schrieb er in seiner Internetseite Kaleme.org. Und er fügte in Anspielung auf die acht Toten der Proteste vom Sonntag, unter denen auch einer seiner Neffen war, hinzu: „Mein Blut ist nicht roter als ihres.“ Es war Mussawis erste öffentliche Stellungnahme seit den bisher blutigsten Demonstrationen vom Sonntag, in deren Anschluss mindestens 500 – die Opposition spricht gar von 800 – Menschen festgenommen worden waren. Energisch forderte Mussawi die Freilassung der Gefangenen, darunter auch mindestens 18 seiner engsten Vertrauten sowie die Schwester der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Sie wird vom Regime als Geisel festgehalten, um die im Ausland verweilende Menschenrechtsaktivistin zur Einstellung ihres Einsatzes gegen die Repressionen im Iran zu bewegen.

Seit Sonntag hat der Machtkampf zwischen den Ultras im Regime unter dem „Geistlichen Führer“ Khamenei und Hunderttausenden nach Freiheit rufenden Menschen dramatisch an Schärfe zugenommen. Besonders erzürnt das Regime die immer lauter werdenden Rufe nach dem Sturz des „Geistlichen Führers“ Khamenei. Kritik an ihm hatte bisher als Tabu gegolten.

Mussawis Erklärung wirkt den immer verzweifelter werdenden Versuchen des Regimes, die Massenbewegung zu demoralisieren, entscheidend entgegen. Dieser einst engste Mitstreiter von Revolutionsführer Khomeini, der selbst in Zeiten scharfer Repressionen der achtziger Jahre acht Jahre lang die Regierungsgeschäfte leitete, hat sich seit den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Juni, bei denen er nach der Überzeugung weiter Kreise um sein Sieg betrogen worden war, zu einem Revolutionär wider Willen gewandelt. Seine „Grüne Bewegung“ hat ihn längst in seiner Zielsetzung überholt. Viele rufen heute nach dem Sturz des Regimes, während Mussawi sich stets zur „Islamischen Republik“ bekannte. Nun wächst er zunehmend in seine neue Rolle, indem er sich bereit erklärt, im eskalierenden Machtkampf bis zum Äußersten zu gehen.

Khomeini zitierend bekräftigte er, „Töte uns, und wir werden stärker.“ Durch harte Worte riskiere das Regime, einen „internen Aufstand“ zu provozieren. Die Regierung begehe immer mehr Fehler, indem sie zu Gewalt und Mord Zuflucht suche. Sie müsse das Recht der Menschen auf friedliche Demonstrationen respektieren. In den vergangenen Tagen hatten die verbalen Drohungen von Vertretern des Regimes dramatisch zugenommen. So qualifizierte Khamenei die Oppositionsführer als „Feinde Gottes“, die exekutiert werden sollten. Mussawi gab sich unbeeindruckt. „Verhaftung oder Tötung“ der Oppositionsführer „wird die Situation nicht beruhigen.

Irans höchster Staatsankläger warnte Donnerstag Mussawi und dessen oppositionellen Mitstreiter Karrubi vor einem Prozeß, sollten sie sich nicht gegen die Massenproteste stellen. Der Geheimdienstchef drohte unterdessen Demonstranten mit gnadenlosen Strafaktionen, während bei vom Regime organisierten Kundgebungen Aktivisten sogar die Hinrichtung Mussawis und Karrubis forderten. Donnerstag zeigte das staatliche Fernsehen Bilder von Regierungsanhängern in weißen Totenhemden, die auf Plakaten ihre Bereitschaft bekundeten, für den „Geistlichen Führer“ zu sterben. Damit knüpften sie an die Symbolik der Anti-Schah-Demonstrationen während der islamsichen Revolution an.

Das Regime steckt in einem enormen Dilemma. Es wagt nicht, Mussawi, Karrubi und dem sich allerdings mehr im Hintergrund haltenden Reformer, Ex-Präsident Khatami, zu verhaften. Ein solcher Schritt würde, ebenso wie deren Ermordung eine derartige Welle des Zornes entfachen, dass die Situation vollends außer Kontrolle geraten würde. Ohnedies verlieren die Ultras zunehmend an Rückhalt selbst im staatlichen und religiösen Establishment. Ein Versuch, die Oppositionsführer zu diskreditieren und damit die „Grüne Bewegung“ zu demoralisiseren scheiterte eben. Die offizielle Nachrichtenagentur IRNA hatte vor zwei Tagen berichtet, Mussawi und Karrubi hätten Teheran verlassen, nachdem Mussawi die Ermordung seines Neffen als direkte verschärfte Bedrohung für sein eigenes Leben werten musste. Doch Karrubis Sohn Taghi widersprach energisch dieser Meldung und Mussawis Erklärung vom Freitag entlarvt die Manipulation durch seine Gegner vollends.

Erschienen am 2.1.2010 im "Kölner Stadt-Anzeiger"

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