Libyens Revolutionsführer erwies sich in vier Jahrzehnten als politischer Überlebenskünstler ersten Ranges und zugleich als eigenwilliger Wüstentyrann.
Emsig säuberte eine Armee von Arbeitern Straßen und Plätze von allerlei Unrat. Unzählige neu gepflanzte Palmen schmücken die Uferpromenade Tripolis. Libyen ist bereit für das größte Fest aller Zeiten, bei dem der dienstälteste Herrscher der arabischen Welt, ja des gesamten afrikanischen Kontinents ab heute, Dienstag, jenes schicksalhaften Tages vor vier Jahrzehnten gedenkt, als er, ein 27-jähriger Hauptmann, eine neue Ära in diesem Wüstenstaat am Mittelmeer begann. Am Dienstag, dem 1. September 1969 gelang es einer Gruppe von Offizieren unter Leitung von Muammar Gadafi König Idris I. unblutig vom Thron zu stürzen. Sechs Tage lang feiert Libyen dieses Jubiläum mit Banketts, Paraden, Son et Lumieres in spektakulären römischen Ruinen und Konzerten. Die ganze Welt ist geladen, um die Wandlung des einstigen Terrorpatrons zum international anerkannten, ja gar umworbenen Staatsmann zu besiegeln.
Doch eine fatale außenpolitische Fehlkalkulation trübt Gadafis so triumphal erdachtes Freudenfest. Westliche, aber auch russische Führer geben ihm nicht die Ehre. Gadafis Umarmung des in Libyen in der Vorwoche als Helden willkommen geheißenen Abdel Basset al-Megrahi hat in westlichen Regierungsstuben neue schwere Zweifel an der echten Wandlungsfähigkeit und Zuverlässigkeit dieses einst als gefährlichsten „Feind des Westens“, von US-Präsident Reagan in den 80er Jahren gar als „tollwütigen Hund“ beschimpften Wüstensohnes geweckt. Intern war Gadafi durch die Freilassung des sterbenskranken libyschen Agenten aus humanitären Gründen ein wichtiger Coup geglückt. Viele Libyer halten Megrahi für unschuldig und für ein politisches Opfer. Megrahi war 2001 wegen des Terroranschlags auf eine Maschine der US-Fluggesellschaft PanAm über dem schottischen Ort Lockerbie zu lebenslanger Haft verurteilt worden, die er in einem schottischen Gefängnis abzusitzen begann. Er ist der einzige, der für diese Tat zur Rechenschaft gezogen wurde und an seiner Schuld hatte es stets Zweifel gegeben. Libyen hatte 2003 formell die Schuld für den Tod der 270 Menschen übernommen und Entschädigungszahlungen für die Hinterbliebenen zugestimmt, später jedoch zu verstehen gegeben, man hätte sich dazu nur entschieden, um ein Ende von UN-Sanktionen zu erreichen.
Die Freilassung Megrahis dient Gadafi, der sich stets zu einem stolzen Anti-Imperialismus bekannt hatte, dazu, seinem Volk zu beweisen, dass er keine Marionette der Amerikaner und Briten sei. Die heftige internationale Kritik an seiner Haltung in dieser Affäre aber hatte der Libyer offenbar nicht einkalkuliert.
Selbst sein neugewonnener italienischer Freund, Premier Berlusconi, mit dem Gadafi vor einem Jahr einen Freundschaftspakt geschlossen hatte, will den Feiern fern bleiben, wiewohl er Sonntag den Grundstein für ein mehr als 2000 km langes Autobahnprojekt, das Tunesien über Libyen mit Ägypten verbindet, gelegt hatte. Dennoch hat sich der jahrzehntelang als Pariah geächtete Beduinensohn einen wichtigen Platz auf der Weltbühne gesichert, läßt sich als „König Afrikas“ feiern, spielt den Gastgeber für einen Sondergipfel der Afrikanischen Union, wird im September vor der UNO-Generalversammlung sprechen, deren diesjährigen Vorsitz sein einstiger Außenminister und UN-Delegetationschef Ali Treki übernimmt.
Doch was hat der Westen von einer – ökonomisch vielversprechenden – Partnerschaft mit diesem politischen Überlebenskünstler ersten Ranges zu erwarten? Es war schierer Pragmatismus, die Erkenntnis gewesen, dass Libyen nicht länger auf westliche Investitionen und westliches Know-how verzichten könne, die Gadafi 2003 zu einer radikalen Kehrtwende, der Aufgabe seines Massenvernichtungs-Programms, der Unterstützung radikaler Gruppierungen aus aller Welt, zu Entschädigungszahlungen für Terroropfer und zur Zusammenarbeit im Anti-Terrorkampf mit den USA bewogen hatte.
Gerne auf der internationalen Bühne als Clown und Exzentriker abgetan, hat sich Gadafi längst als brillanter politischer Akteur erwiesen, für den die eigene Machterhaltung an allerhöchster Stelle steht. Doch er beglückte sein Volk nicht mit seinem „Massenstaat“ und einer angeblichen direkten Demokratie, in der er offiziell kein Amt ausübt. Doch als selbsternannter „Bruder-Führer“ ist er in Wahrheit ein Autokrat, der seit Jahrzehnten politische Gegner brutal verfolgt, weder Opposition, noch die geringste Kritik an seiner Politik gestattet und das Volk ungeachtet des gigantischen Ölreichtums in Armut und Unterentwicklung hält. Libyen mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern exportiert fast so viel Öl wie Saudi-Arabien, doch die Infrastruktur gleicht jener eines armen Entwicklungslandes, niedriges Bildungsniveau, geringe Löhne machen den Menschen zu schaffen, während Herrscher ein gigantisches Vermögen – manche sprechen v9on 250 Mrd. Dollar, andere von vier Mal so viel – für spektakuläre Prestigeprojekte, Waffen und Zahlungen an „Freunde“ vergeudete und enorme Summen im Sumpf der Korruption versinken.
Das alles soll nun anders werden, verspricht der 67-Jährige immer wieder. Doch Reformen gehen äußerst schleppend voran. Doch die Ankunft westlicher Firmen, der Beginn zahlreicher Bauprojekte weckt unter dem seit vier Jahrzehnten betrogenen Volk neue Hoffnung, dass es endlich ein wenig Anteil am Reichtum des Landes gewinnen könnte.
Montag, 31. August 2009
Birgit Cerha: Gadafi: Vom „Schurken“ zum „Staatsmann“
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