Während Premier Maliki und viele Iraker ein allmähliches Ende der US-Militärpräsenz herbeisehnen, weckt es unter Kurden und manchen Sunniten auch große Ängste
„Gott sei Dank ist es uns gelungen, uns von Rassismus und „blutigem Hass zwischen Angehörigen unterschiedlicher religiöser Gruppen „zu befreien“. Hocherhobenen Hauptes verkündet Iraks schiitischer Premier Maliki dem Volk, dass es gar nichts von einem Abzug der US-Truppen in Phasen, wie ihn US-Präsident Obama vorsieht, zu befürchten hätte. „Wir vertrauen auch voll darauf, dass unsere Streit- und Sicherheitskräfte das Land schützen, Sicherheit und Stabilität konsolidieren werden.“
Maliki präsentiert den Irakern den US-Truppenabzugsplan, nach dem die US-Kampftruppen bis 31. August 2010 den Irak verlassen haben, bis zu 50.000 Mann noch bis 31. Dezember 2011 verbleiben sollen, als klaren Vertrauensbeweis für seine Führungsfähigkeiten, in der Hoffnung, dass sich damit seine Position als neuer starker Mann weiter festigen werde.
Ein Blick in die lokalen Medien und die von Politikern jüngst angeschnittenen Diskussionsthemen läßt auch deutlich erkennen, dass im gequälten Nachkriegsirak tatsächlich eine neue Phase der Zuversicht begonnen hat. Sie wird begleitet von einer starken Wiederbelebung nationaler Gefühle, einer sich mehr und mehr manifestierenden Sehnsucht, ja Ungeduld, endlich selbst und allein Entscheidungen über die Zukunft des Landes zu treffen, dabei ruhig auch Fehler selbst zu machen, vor allem aber Erfolge für sich verbuchen zu können.
So dominieren nun schon länger nicht mehr Mord, Tod und Explosionen das Tagesgespräch. Da verkündet Maliki, man wolle den zweitreichsten Ölstaat der Welt aus der Abhängigkeit vom „schwarzen Gold“ lösen. Nun soll die volle Konzentration auf den Wiederaufbau beginnen. Medien berichten, dass die Stromversorgung (endlich) den Vorkriegsstand erreicht hat. In der zweitgrößten Stadt, Basra, die britische Besatzungs-Truppen im Dezember 2007 verlassen hatten, hat ein einigermaßen normales politisches Geschehen begonnen und auch wirtschaftlicher Fortschritt eingesetzt. Euphorisch, als Beweis endlich gefundener Stabilität, begrüßt Maliki ausländische Staatsgäste, wie den deutschen Außenminister Steinmeier und Frankreichs Präsidenten Sarkozy, den ersten westlichen Führer, der sich nicht an der von den USA geführten Koalition zum Sturz von Diktator Saddam Hussein beteiligt hatte. So manche politische Kreise im Irak stimmen Kommentaren französischer Medien zu, dass neue Beziehungen zu Frankreich den Irakern helfen würden, sich aus der „politischen Vormundschaft“ der USA zu lösen.
Beachtenswerte Fortschritte. Dennoch ist der Irak von Stabilität weit entfernt. Deshalb entschied auch Obama, den Großteil der US-Kampftruppen erst im Januar 2010 abzuziehen, damit sie in der potentiell explosiven Kampagne für die Parlamentswahlen im Dezember noch für Ruhe sorgen können. Ob Iraks von den USA ausgebildeten Streitkräfte tatsächlich ohne US-Hilfe den Herausforderungen gewachsen sind, erscheint höchst fraglich. Nach US-Militärkreisen fehlt es den 600.000 Soldaten und Polizisten an Logistik, erfahrenen Mechanikern, einem effizienten Geheimdienst, Analysten und vor allem einer Luftwaffe. Neu bestellte Kampfflugzeuge werden nicht vor 2013 zur Verfügung stehen und das Training von Piloten wird Jahre dauern. In den vergangenen Monaten hatte sich wiederholt gezeigt, dass die Iraker Kämpfe gegen Rebellen nicht allein siegreich beenden können.
Trotz der einigermaßen erfolgreich durchgeführten Provinzwahlen am 31. Januar bleiben die politischen Fortschritte, insbesondere auch Versuche einer nationalen Versöhnung höchst bescheiden. Unter arabischen Sunniten, manchen Schiiten, vor allem aber unter den Kurden wächst die Sorge über Malikis Machtgelüste. Immer noch konnte man sich auf kein Ölgesetz einigen, die genaue Struktur des Föderalismus bleibt umstritten, über den Status der von den Kurden beanspruchten Ölstadt Kirkuk zeichnet sich keine Einigung ab. Während die Türkei weiterhin nach Lust und Laune im Nord-Irak militärisch agiert, versetzen die US-Abzugspläne die Kurden in Panik. Deren Premierminister Nechirvan Barzani warnt vor Gewalt, sollten die Amerikaner nicht vor ihrem Abzug die wachsenden Probleme zwischen Bagdad und der Regionalregierung Kurdistans regeln.
Zwar haben sich so manche arabisch-sunnitische Gruppen, die lange die neue Ordnung bekämpft hatten, nun von den Vorzügen der Demokratie überzeugen lassen, die sie – etwa in Mosul – wieder in die Lokalverwaltung brachte. Doch jüngste Terrorakte gegen schiitische Pilger gelten als düstere Warnung, dass die Ursachen der Gewalt längst nicht behoben sind.