Umfangreichste Personalveränderungen im religiösen Establishment seit zwei Jahrzehnten sollen den Weg der Reformen ebnen
„Es ist unser größtes Anliegen, dass die Stimme des Königreiches die ganze Welt erreicht und ihr die Botschaft von Frieden und Stablität vermittelt, Saudi-Arabien als ein Reich der Mäßigung, der Toleranz und der Flexibilität porträtiert.“ Mit diesen Worten beschreibt der neue Informations- und Kulturminister Aziz al-Khoja in der „Saudi Gazette“ die Gründe für die umfangreichsten Personalveränderungen im Königreich seit mehr als zwei Jahrzehnten.
Seit der heute 85-jährige König Abdullah 2005 die Macht im ölreichsten Staat der Welt übernahm, versprach er seinen bisher stets autoritär geführten Untertanen Reformen, Liberalisierung, ja gar den Ansatz von Demokratie. Doch bis heute zauderte der Monarch, zu stark erwies sich der Widerstand insbesondere des erzkonservativen religiösen Establishments der Wahabiten, auf deren Unterstützung das Königshaus seit seiner Gründung angewiesen ist. Nun aber wagte Abdullah einen höchst mutigen Schritt. Mohammed al-Zulfa, Mitglied des dem König geratend zur Seite stehenden Shura-Rates, spricht gar von einem „Wendepunkt“ in der politischen Entwicklung des autokratischen Königreiches. Denn der Monarch habe „neues Blut“ durch Vertreter der jungen Generation, in zahlreiche wichtige Positionen geholt, rühmt der neue Justizminister Mohamed Issa die Entscheidungen. Auch Jamal Khashoggi, Chefredakteur von „Al-Watan“ und erfahrener Beobachter der saudischen Politik, meint einen „überzeugenden Anfang der versprochenen Reformen“ zu erkennen.
Per Dekret besetzte Abdullah die die Ministerposten für Bildung, Justiz, Information und Gesundheit, sowie die Spitzen der Justiz, der Polizei und der Zentralbank neu. Erstmals sitzt ab nun sogar eine Frau im Kabinett, Nura el Fajes wurde zur stellvertretenden Bildungsministerin ernannt, eine kleine Sensation in einem Staat, der Frauen u.a. bis heute das Steuern von Autos verbietet.
Bemerkenswert ist auch die Entlassung des Chefs der gefürchteten „Sittenpolizei“, genannt Mutawas, Ibrahim al-Ghaith, der mit seinen brutalen Methoden zur Durchsetzung der puritanischen Lebensregeln des Wahabismus in jüngster Zeit ins Schussfeld der Öffentlichkeit geraten war. Der Chef der Justiz, Salih Ibn al-Luhaydan, verlor nach Ansicht von Beobachtern seinen Posten weil er vergangenen September öffentlich die Ermordung von Besitzern von Satelliten-Fernsehkanälen befürwortet hatte, die unmoralische Programme senden. Auch in führenden Positionen des militärischen Establishments setzte der Könige personelle Veränderungen durch. Die Neuen seien durchwegs gemäßigte Personen mit neuen Ideen, betont Khashoggi.
Abdullah geht mit diesen Veränderungen das nicht ungefährliche Risiko eines schweren Konflikts mit den mächtigen erzkonservativen Ulemas ein. Doch der König konnte diesen Schritt nicht ohne breiten Konsens im Hause Saud wagen, das sich unter allen Umständen seine autoritäre Macht zu erhalten sucht. Dafür, so haben die Herrscher längst begriffen, ist es notwendig, das Unvermeidbare – Veränderungen – in Angriff zu nehmen, bevor diese ihre Eigengesetzlichkeit erringen.
Die mächtigsten Positionen in der Regierung – die Ressorts für Wirtschaft, Finanzen, Öl, Außen- und Innenpolitik – bleiben freilich unverändert. Und längst ist noch nicht klar, ob Abdullahs Umbesetzungen den bisher hart verfolgten Liberalen und Demokraten im Königreich ein klein wenig Freiraum schenken werden.