In Bagdad beginnt der Prozeß gegen den „Helden der arabischen Welt“ – Ein Test für das Demokratieverständnis im neuen Irak
Zwei Monate lang saß Muntaser el Saidi in Untersuchungshaft in Bagdad. Nun begann am 19. Februar der Prozess gegen den 29-jährigen irakischen Journalisten, der vergangenen Dezember den scheidenden US-Präsidenten Bush bei einem Abschiedsbesucht in Bagdad mit seinen Schuhen bewarf. Als er dazu auch noch die Worte schrie, „das ist ein Abschiedskuss für dich, du Hund, das ist für dich von den Witwen, Waisen und jenen, die im Irak getötet wurden“, fügte er dem hohen Staatsgast nach arabischem Verständnis eine der schwersten Demütigungen zu. Die Schuhe trafen Bush nicht, der sich rechtzeitig duckte und anschließend die Bedeutung dieses Protestaktes durch Scherze, wie der Schuh habe Größe zehn gehabt, abzuschwächen suchte. Später erklärte der US-Präsident Saidis Akt als Beweis für die demokratischen Werte, die die Amerikaner dem Zweistromland gebracht hätten.
Doch die irakischen Führer reihen Saidis Protest nicht in die Kategorie der Meinungsfreiheit. Wie ein Schwerverbrecher wurde der junge Mann sofort von irakischen und amerikanischen Geheimagenten niedergeschlagen und später nach Aussagen seiner Familie im Gefängnis gefoltert. Nun muss er sich vor Gericht wegen einer „Attacke auf ein zu Besuch weilendes Staatsoberhaupt“ rechtfertigen, ein Delikt, das mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Saidis Anwälte, unterstützt von Zehntausenden irakischen Demonstranten, hatten sich vergeblich für die Freilassung ihres Mandanten eingesetzt, der „lediglich seine Meinung (ausgedrückt) und seinen Protest gegen die (amerikanische) Okkupation“ kundgetan hätte, so der Anwalt Dhiya al Saadi.
Der zentrale Strafgerichtshof in Bagdad, der mit Fällen von Terrorismus befasst ist, wird nun darüber entscheiden, ob der Journalist wegen „vorsätzlicher Aggression“ oder wegen „versuchter Aggression“ abgeurteilt werden soll, auf die die geringere Gefängnisstrafe von einem bis fünf Jahre Gefängnis steht. Saidi zeigt keine Reue und erklärte vor Gericht, Bushs eisiges Lächeln vor der Presse in Bagdad habe ihn angesichts von Hunderttausenden toten Landsleuten in Rage gebracht. Einer seiner Brüder hatte jedoch gegenüber irakischen Medien erklärt, dass der Angeklagte, tief erbittert über die Taten der US-Besatzungstruppen im Irak und die Opfer, die der Krieg gegen Saddam Hussein von der irakischen Bevölkerung forderte, schon lange über einen spektakulären Protestakt nachgesonnen hatte.
Saidi, Mitarbeiter des Al-Baghdadia Fernsehens, war im November 2007 von schiitischen Milizen entführt und drei Tage später wieder entlassen worden. Er gehört nach Aussagen seiner Familie keiner der politischen oder militanten Gruppen des Landes an, zeigte sich jedoch seit langem tief erschüttert über das gigantische Elend, das durch den von den USA geführten Krieg und die Besatzung über sein Heimatland hereingebrochen ist. In der Haft erlitt der Journalist nach Aussagen seiner Familie nicht nur Folter. „Es wurden ihm auch die simpelsten Rechte verwehrt“, klagt der Bruder des Häftlings, Dhargham.
Das 25-köpfige Anwaltsteam stützt seine Verteidigung auf das Argument, dass Saidi Bush keineswegs töten, sondern nur seinen Protest gegen Invasion und Besatzung kundtun wollte. Zudem sei ein Schuh kein Tötungsgerät.
In der gesamten arabischen und islamischen Welt, wo der Krieg im Irak und die US-Besatzung die ohnedies latente anti-amerikanische Stimmung drastisch verschärft hat, wird Saidi als Held gefeiert, als einer, der es endlich wagte, die Würde der so lange gedemütigten Araber wieder herzustellen. Plötzlich machen viele Menschen ihren tiefen Frustrationen durch Witze über Bush, die Zielscheibe des Schuhwerfers, Luft. Der Zwischenfall gab Inspiration für zahlreiche Computerspiele, in denen in kürzester Zeit Millionen von Menschen auf Bildschirmen den auftauchenden und immer wieder verschwindenden Kopf des ausgeschiedenen US-Präsidenten mit einem Schuh zu treffen suchten.
Ein Bronce-Schuh in Sofa-Größe wurde als Tribut für den Stolz des irakischen Volkes (so der Künstler) in Tikrit, Saddam Husseins Geburtsstadt, aufgestellt, musste jedoch nach wenigen Tagen wieder verschwinden.
Und schon fand Saidis Akt Nachahmung, wie etwa Anfang Februar, als ein 27-jähriger Mann Chinas Premier Wen Jiabao bei einem Vortrag an der Universität von Cambridge aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen in China mit einem Schuh bewarf.
Doch unter arabischen Intellektuellen fehlt es nicht an Kritik. So wertet der prominente ägyptische Journalist Salama Ahmed Salama die weit verbreitete Begeisterung über diese Form der Beleidigung Bushs und die nun anhaltenden Witze darüber als kläglichen Ausdruck arabischer Ohnmacht, der Unfähigkeit, sich Gegnern mit Intellekt zu widersetzen.