Die Präsidentschaftswahlen im Iran stellen entscheidende Weichen für die Nachfolge des krebskranken Ayatollah Khamenei
Von Birgit Cerha
Nie in den vergangenen vier Jahren geriet er in ernsthaften Konflikt mit den Mächtigsten im System der „Islamischen Republik“. Doch nun wagt Irans Präsident Rouhani ungewöhnliche Verbalattacken gegen die einflussreichsten Hardliner um den „Geistlichen Führer“ Khamenei: „Wir führen diesen Wahlkampf, um jenen, die Gewalt und Extremismus praktizieren, klarzumachen, dass ihre Zeit vorüber ist.“ Und Rouhani wagt sogar offene, wiewohl indirekte, Kritik an der mächtigsten Institution des Iran, den „Revolutionsgarden“ - ein Tabu im „Gottesstaat“: „Jene, die für die Sicherheit der Bevölkerung bestimmte öffentliche Gelder ausgeben“ sollten nicht „Hoffnungslosigkeit‘“ verbreiten. Die dreiwöchige Kampagne für die Präsidentschaftswahlen am 19. Mai tobt in voller Heftigkeit. Dabei sind diese Wahlen keineswegs frei und fair. Das herrschende theokratische System lenkt sie rigoros nach seinen Machtinteressen. Und dennoch besitzen sie Bedeutung, diesmal eine ganz besondere.
Wiewohl der nichtgewählte, von Erzkonservativen dominierte „Wächterrat“ nur sechs der mehr als 1.600 Bewerber zur Kandidatur zuließ, liefern sich nun zwei Hauptströmungen einen harten Konkurrenzkampf, dessen Ausgang keineswegs feststeht: alternde Khamenei und den radikalen Grundsätzen der islamischen Republik treu ergebene Funktionäre auf der einen und gemäßigt konservative Pragmatiker unter Führung Präsident Rouhanis, der um eine zweite Amtszeit wirbt.Die seit 2009 massiv unterdrückte reformorientierte „Grüne Bewegung“ bleibt freilich, wie alle liberalen und demokratischen Kräfte ausgeschlossen, ihre Führer schmachten seit acht Jahren im Hausarrest.
Zwar müssen alle wichtigen Entscheidungen des Präsidenten vom „Geistlichen Führer“ abgesegnet werden und der Präsident besitzt keine Autorität über das Militär und die von der Quds-Einheit der Revolutionsgarden geleiteten schiitischen Milizen – an die 200.000 die heute in nahöstlichen Kriegsschauplätzen im Einsatz sind. Deshalb sind Irans kriegerische Verwicklungen auch kein Wahlkampfthema. Dennoch haben die diversen Amtsinhaber dem Präsidentenamt im Laufe der Jahre ein nicht unbedeutendes Maß an Macht verliehen und wiederholt das revolutionäre System in neue Richtungen gedrängt. Persönlichkeit und diplomatisches Geschick des Präsidenten, insbesondere in Fragen der konfliktbeladenen Beziehungen zur westlichen Welt ist für den Frieden in der gesamten Region von wesentlicher Bedeutung. So ist der Abschluss des – von Khamenei gebilligten - Atomabkommens mit den Weltmächten 2015 zu einem entscheidenden Teil Rouhani und seinem Außenminister Zarif zu verdanken. Er hat damit den Iran aus einer schweren Krise geführt.
Seine Wiederwahl wäre damit im Grunde eine Selbstverständlichkeit, denn das Abkommen und die damit verbundene Hoffnung auf ein Ende der jahrzehntelangen internationalen Isolation weckte große Begeisterung unter der Bevölkerung. Die Kriegsgefahr schien abgewendet, die Wirtschaft begann sich zu erholen. Laut Internationalem Währungsfonds wuchs die Wirtschaft in dem im März zu Ende gegangenen Finanzjahr um 7,2 Prozent, die Ölexporte schnellten von 200.000 Barrel im Tage vor dem Abkommen auf zwei Mio.Barrel in die Höhe. Alle mit Iran Atomprogramm verbundenen internationalen Sanktionen wurden aufgehoben (jene wegen Menschenrechtsverletzungen verhängten, bleiben allerdings bestehen). Doch immer noch warten die Menschen auf die von Rouhani verheißenen ökonomischen Früchte. Dringend nötige internationale Investitionen bleiben weitgehend wegen der anhaltenden Unsicherheit insbesondere der US-Position unter Präsident Trump aus. Enttäuschung macht sich unter der Bevölkerung breit. Rouhani versucht deshalb nun durch Kritik an Korruption und Repression verlorene Sympathie im Volk wieder zu gewinnen. Zugleich versäumt Khamenei keine Gelegenheit, den Präsidenten wegen seiner versöhnlichen Haltung zu den USA öffentlich zu demütigen, während die Revolutionsgarden gezielt US-Präsident Trump mit Tests von ballistischen Mittelstreckenraketen provozieren, eine gar versehen mit der Aufschrift „Israel muss ausgelöscht werden“.
Washington beginnt mit neuen Sanktionen. Wollen die mächtigen Radikalen eine neue Eiszeit mit dem „großen Satan“? So ist Rouhanis Wiederwahl keineswegs gesichert. Es wäre das erste Mal, dass ein Präsident nicht auch eine zweite Amtsperiode antreten könnte. Warum diese Animosität gegenüber einem Mann, der sich in den vier Jahren seiner Herrschaft, wie kaum ein anderer vor ihm, als unverrückbar verlässlicher Mann des Systems präsentierte?
Hinter den Kulissen dieses Wahlkampfes wird eine weit wichtigere Schlacht geschlagen, in der der „tiefe Staat“, jenes Netzwerk der Khamenei unterstützenden Revolutionsgarden, Sicherheitsorgane und Geheimdienste, den Aufstieg eines neuen „Geistlichen Führers“ vorbereitet, eines Mannes vom Schlage des alten. Mit dem Tod des krebskranken Khamenei ist in den nächsten Jahren zu rechnen. Seine Nachfolge ist völlig offen. Der Präsident dürfte dabei eine wesentliche Rolle spielen. Hatte nicht Khamenei vor 28 Jahren dieses Amt bekleidet, als ihn nach dem Tod von Revolutionsführer Khomeini der für die Nachfolge zuständige Expertenrat in das höchste Amt der „Islamischen Republik“ rief. Ein ähnliches Szenario könnte sich nun wiederholen, zumindest dürfte der Präsident starken Einfluss auf die Wahl des Nachfolgers ausüben. Genau dies will Khamenei mit Hilfe des „tiefen Staates“ verhindern.
Es gilt einen genehmen Nachfolger aufzubauen. Die Wahl fiel auf den politisch unerfahrenen, 57jährigen Geistlichen Ibrahim Raisi, der sich als Generalstaatsanwalt in der islamischen Justiz durch besondere Brutalitäten hervorgetan hat. Raisis dunkle Vergangenheit ist weiten Bevölkerungskreisen bekannt. Als Mitglied der 1988 von Khomeini eingesetzten „Todeskommission“ angehört ist er für die Exekution von mehr als 5000 politischen Gefangenen verantwortlich. Dieses „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ veranlasste Khomeinis designierten Nachfolger Großayatollah Montazeri zum Bruch mit dem Revolutionsführer. Khameneis Strategie könnte sich als Bumerang erweisen, denn Raisi, davon sind iranische Analysten überzeugt, hat in fairen Wahlen keine Chance.
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