Sonntag, 21. Juli 2013

Die dunkle Seite Dubais

Wie Opfer von Vergewaltigungen zu „Kriminellen“ werden  - Der Fall einer Norwegerin erregt Aufsehen, doch er ist nichts Ungewöhnliches am Persischen Golf
 
von Birgit Cerha
 
Sie könne nicht schweigen. Ihr Fall solle die Risiken aufzeigen, die Fremden in Dubai drohen, wenn sie das von der islamischen Scharia beeinflusste Rechtssystem dieses glitzernden Ölreiches, wie auch der anderen Teilstaaten der „Vereinigten Arabischen Emirate“ (VAE)  nicht richtig begriffen. Mit diesen Worten begründet die 24-jährige norwegische Innenarchitektin Marte Deborah Dalelv die Entscheidung, ihre Verurteilung zu 16 Monaten Gefängnis durch ein Gericht in Dubai publik zu machen. Und ihr Fall löst im Westen, unter Menschenerechtsaktivisten und vielen Sympathisanten bereits Aufsehen und Empörung aus.
Dalelv war Mittwoch wegen außerehelichen Sex, falscher Aussage vor dem Gericht und Alkoholkonsums verurteilt worden, nachdem sie sich vergangenen März  nach einer Vergewaltigung  an die Polizei gewandt hatte. Der Täter, ein Arbeitskollege aus einem Innenarchitektenbüro in Katar, wo Dalelv seit 2011 arbeitet, erhielt – ebenfalls wegen außerehelichen Sex und Alkoholkonsums – eine um drei Monate geringere Strafe. Die beiden hatten sich auf einer Geschäftsreise in Dubai aufgehalten.
Die junge Frau wurde nach eigenen Aussagen von der Polizei wie eine Kriminelle behandelt, mußte sich einem Alkoholtest und einer medizinischen Untersuchung unterziehen. Und wurde vier Tage lang ohne Begründung inhaftiert. Erst am dritten Tag nach ihrer Festnahme konnte sie ihre Eltern benachrichtigten, die Kontakt zur norwegischen Botschaft aufnahmen. So gelang es schließlich, sie  im „Norwegian Seaman’s Center“ in Dubai unterzubringen, wo sie sich seither aufhält. Sie darf das Land bis zu ihrem Berufungsverfahren am 5. September nicht verlassen.
Ihr Fall löste vor allem im Internet heftige Reaktionen aus. Eine „Dubai Facebook Group“ appelliert für ihre Freilassung, eine andere Gruppe „Release Marte“ formierte sich und versucht über die sozialen Netzwerke Druck auf die VAE und die norwegische Regierung auszuüben, diese „Schande für die Welt“ zu beenden. Insbesondere norwegische BloggerInnen verkünden ihre Entschlossenheit, unter keinen Umständen Dubai, das seit Jahren intensiv um Touristen aus aller Welt wirbt, je einen Besuch abzustatten.
Doch Dalelvs Schicksal ist bei weitem kein Einzelfall, weder in Dubai, noch in den anderen Emiraten und insbesondere nicht in Kuwait oder Saudi-Arabien.  Doch Dubai, das in den vergangenen Jahren einen rasanten Transformationsprozess durchgemacht hat mit gigantischen, extrem luxuriösen Bauprojekten, Hotels, Einkaufszentren  und glitzernden Apartmentblocks präsentiert sich weltweit als supermoderner und offener Staat. Doch hinter der westlichen Fassade steckt eine tiefkonservative islamische Gesellschaft und Kultur, weit restriktiver sogar als in so manchen anderen arabischen Ländern. Obwohl die Trennung der Geschlechter nicht so strikt gehandhabt wird wie im benachbarten Saudi-Arabien, unverheiratete ausländische Paare auch ein gemeinsames Hotelzimmer beziehen dürfen, ist die Toleranzgrenze in der Öffentlichkeit höchst niedrig. Schon Händchenhalten unter Paaren oder gar ein Kuß, selbst versteckt auf der Hinterbank in einem Taxi  kann Paare ins Gefängnis bringen. Schon vor Dalelv mussten andere Frauen die enormen Risiken durchleiden, die ein Gang zur Polizei nach einer Vergewaltigung mit sich bringen. Internationale humanitäre Organisationen wie „Human Rights Watch“ üben seit langem heftige Kritik an dieser in den VAE weitverbreiteten Praxis der Duldung sexueller Gewalt und drängen auf eine Änderung des offiziellen Umgangs mit den Opfern.
Immer wieder schafften es ähnlich Fälle  wie jener Dalelvs in die Schlagzeilen westlicher Medien. Weitgehend totgeschwiegen wird hingegen das weitaus dramatischer Schicksal Tausender ausländischer Arbeiterinnen, insbesondere Haushaltsgehilfinnen, die vor allem aus Afrika, insbesondere Äthiopien, oder dem Fernen Osten in den superreichen Golfstaaten einen Ausweg aus verzweifelter sozialer Not in der Heimat suchen. Die  am Golf geltenden Gesetze zwingen diese Arbeiterinnen zu einem Sklavendasein, in totaler Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern oder deren heimische Sponsoren, die häufig ihre Machtposition zu sexueller Ausbeutung mißbrauchen. Die Opfer finden meist keinen Anwalt und keine  internationalen Medien, die sich ihres verzweifelt ausweglosen Schicksals annehmen.

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