Wie Opfer von Vergewaltigungen zu „Kriminellen“ werden - Der Fall einer Norwegerin erregt Aufsehen,
doch er ist nichts Ungewöhnliches am Persischen Golf
von Birgit Cerha
Sie könne nicht schweigen. Ihr Fall solle die Risiken
aufzeigen, die Fremden in Dubai drohen, wenn sie das von der islamischen
Scharia beeinflusste Rechtssystem dieses glitzernden Ölreiches, wie auch der
anderen Teilstaaten der „Vereinigten Arabischen Emirate“ (VAE) nicht richtig begriffen. Mit diesen Worten
begründet die 24-jährige norwegische Innenarchitektin Marte Deborah Dalelv die
Entscheidung, ihre Verurteilung zu 16 Monaten Gefängnis durch ein Gericht in
Dubai publik zu machen. Und ihr Fall löst im Westen, unter Menschenerechtsaktivisten
und vielen Sympathisanten bereits Aufsehen und Empörung aus.
Dalelv war Mittwoch wegen außerehelichen Sex, falscher Aussage
vor dem Gericht und Alkoholkonsums verurteilt worden, nachdem sie sich
vergangenen März nach einer
Vergewaltigung an die Polizei gewandt
hatte. Der Täter, ein Arbeitskollege aus einem Innenarchitektenbüro in Katar,
wo Dalelv seit 2011 arbeitet, erhielt – ebenfalls wegen außerehelichen Sex und
Alkoholkonsums – eine um drei Monate geringere Strafe. Die beiden hatten sich
auf einer Geschäftsreise in Dubai aufgehalten.
Die junge Frau wurde nach eigenen Aussagen von der Polizei
wie eine Kriminelle behandelt, mußte sich einem Alkoholtest und einer medizinischen
Untersuchung unterziehen. Und wurde vier Tage lang ohne Begründung inhaftiert.
Erst am dritten Tag nach ihrer Festnahme konnte sie ihre Eltern
benachrichtigten, die Kontakt zur norwegischen Botschaft aufnahmen. So gelang
es schließlich, sie im „Norwegian Seaman’s
Center“ in Dubai unterzubringen, wo sie sich seither aufhält. Sie darf das Land
bis zu ihrem Berufungsverfahren am 5. September nicht verlassen.
Ihr Fall löste vor allem im Internet heftige Reaktionen aus.
Eine „Dubai Facebook Group“ appelliert für ihre Freilassung, eine andere Gruppe
„Release Marte“ formierte sich und versucht über die sozialen Netzwerke Druck
auf die VAE und die norwegische Regierung auszuüben, diese „Schande für die
Welt“ zu beenden. Insbesondere norwegische BloggerInnen verkünden ihre
Entschlossenheit, unter keinen Umständen Dubai, das seit Jahren intensiv um
Touristen aus aller Welt wirbt, je einen Besuch abzustatten.
Doch Dalelvs Schicksal ist bei weitem kein Einzelfall, weder
in Dubai, noch in den anderen Emiraten und insbesondere nicht in Kuwait oder
Saudi-Arabien. Doch Dubai, das in den
vergangenen Jahren einen rasanten Transformationsprozess durchgemacht hat mit
gigantischen, extrem luxuriösen Bauprojekten, Hotels, Einkaufszentren und glitzernden Apartmentblocks präsentiert
sich weltweit als supermoderner und offener Staat. Doch hinter der westlichen
Fassade steckt eine tiefkonservative islamische Gesellschaft und Kultur, weit
restriktiver sogar als in so manchen anderen arabischen Ländern. Obwohl die
Trennung der Geschlechter nicht so strikt gehandhabt wird wie im benachbarten
Saudi-Arabien, unverheiratete ausländische Paare auch ein gemeinsames
Hotelzimmer beziehen dürfen, ist die Toleranzgrenze in der Öffentlichkeit
höchst niedrig. Schon Händchenhalten unter Paaren oder gar ein Kuß, selbst
versteckt auf der Hinterbank in einem Taxi
kann Paare ins Gefängnis bringen. Schon vor Dalelv mussten andere Frauen
die enormen Risiken durchleiden, die ein Gang zur Polizei nach einer Vergewaltigung
mit sich bringen. Internationale humanitäre Organisationen wie „Human Rights
Watch“ üben seit langem heftige Kritik an dieser in den VAE weitverbreiteten
Praxis der Duldung sexueller Gewalt und drängen auf eine Änderung des
offiziellen Umgangs mit den Opfern.
Immer wieder schafften es ähnlich Fälle wie jener Dalelvs in die Schlagzeilen
westlicher Medien. Weitgehend totgeschwiegen wird hingegen das weitaus
dramatischer Schicksal Tausender ausländischer Arbeiterinnen, insbesondere
Haushaltsgehilfinnen, die vor allem aus Afrika, insbesondere Äthiopien, oder
dem Fernen Osten in den superreichen Golfstaaten einen Ausweg aus verzweifelter
sozialer Not in der Heimat suchen. Die
am Golf geltenden Gesetze zwingen diese Arbeiterinnen zu einem
Sklavendasein, in totaler Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern oder deren
heimische Sponsoren, die häufig ihre Machtposition zu sexueller Ausbeutung
mißbrauchen. Die Opfer finden meist keinen Anwalt und keine internationalen Medien, die sich ihres
verzweifelt ausweglosen Schicksals annehmen.
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