Inmitten politischer Turbulenzen und Streiks kämpfen 13 Kandidaten in der ersten freien Präsidentschaftswahlkampagne am Nil von Birgit Cerha
Drei Wochen bevor rund 50 Millionen Ägypter aufgerufen sind, zum ersten Mal in der modernen Geschichte Ihres Landes in freien und fairen Wahlen ihr Staatsoberhaupt zu bestimmen, haben sich die Spannungen im Land drastisch verschärft. Unbekannte bewaffnete Männer attackierten Mittwoch sechs Stunden lang mit Steinen, Messern und Gewehrschüssen Demonstranten, die vor dem Verteidigungsministerium in Kairo gegen den herrschenden Militärrat protestierten. Mindestens elf Demonstranten kamen dabei ums Leben und mehr als 150 Menschen wurden verletzt. Zwei führende Präsidentschaftskandidaten, der unabhängige Islamist Abdul Moneim Aboul Fotouh, und der Führer der „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ (PFG) der Moslembruderschaft, Mohammed Mursi suspendierten aus Protest ihre Wahlkampagne, während die salafistische „Nour“-Partei, die gemeinsam mit der PFG 70 Prorzent der Parlamentssitze kontrolliert, den Boykott eines Treffens mit dem Militärrat beschloss. Viele der attackierten Demonstranten sympathisieren mit dem salafistischen Geistlichen Hazem Abu Ismail, der nicht als Präsidentschaftskandidat zugelassen wurde, weil seine Mutter die ägyptisch-amerikanische Doppelstaatsbürgerschaft besitzt und damit die Bestimmung einer nach dem Sturz von Präsident Mubarak im Februar 2011 beschlossenen Verfassungsreform nicht erfüllt. Abu Ismail präsentiert sich nun als Opfer eines „Komplotts“ durch die Militärs, die dem politischen Aufstieg der Safafisten einen Reigel vorschieben wollten. Die Attacken von Schlägertrupps in zivil gegen die Demonstranten folgen einem seit einem Jahr am Nil häufig praktizierten Muster. In weiten Kreisen der Bevölkerung ist man davon überzeugt, dass derartige Angriffe zumindest von Teilen des Regimes unterstützt werden. Meist verfehlte solche Gewalt aber die offenbar angestrebte einschüchternde Wirkung. So dürften sich auch in den kommenden Tagen bis zur ersten Runde der Wahlen am 23. und 24. Mai die Spannungen nur noch weiter verschärfen. Seit er die Macht am Nil vor mehr als einem Jahr übernahm, hat der ursprünglich durchaus populäre Militärrat dramatisch an Sympathie im Volk verloren. Die Liste der Beschwerden ist lang, sie reicht von gewaltsamen Einschüchterungsversuchen Oppositioneller bis zu Massenverhaftungen. Etwa 15.000 Zivilisten wurden bisher von Militärgerichten abgeurteilt, während die Streitkräfte sich de facto keinerlei Rechenschaft unterziehen müssen. Der Militärrat ist mit massiver Kritik an dem chaotischen politischen Übergang von der Diktatur Mubaraks in eine demokratische Zukunft konfrontiert. Der Polizeiapparat wurde bis heute nicht reformiert, während Kriminalität und Rechtlosigkeit immer mehr die Bevölkerung in tiefe Unsicherheit stürzen. Das Chaos verschärft die Wirtschaftskrise und viele Ägypter befürchten, die Militärs würden nicht von der Macht lassen, bevor sie sich nicht vollends durch Sondervollmachten und Privilegien abgesichert hätten. Ein Beispiel dafür ist ein vom Militärrat jüngst im Parlament durchgeboxtes Gesetz, das den Offizieren das Recht gibt, zu entscheiden, welche Verbrechen unter ihre Jurisdiktion fallen, wie etwa von Angehörigen der Streitkräfte verübte Korruption. Bis Ende Juni muss das Militär nach den Übergangsregeln die Macht abgeben, nachdem ein neuer Präsident in vermutlich einem zweiten Wahlgang am 16. Und 17. Juni gewählt wurde. Und auch der Wahlprozess selbst versetzt zwar viele Ägypter in hoffnungsvolle Euphorie, gibt aber zugleich auch Anlass zu tiefer Skepsis. Die Kommission, die die Wahlen überwacht, wurde von den Militärs ernannt. Gegen ihre Entscheidungen kann nicht berufen werden und alte Wahllisten wurden nicht neu überarbeitet. Zehn der 23 Kandidaten wurden von der Wahlkommission disqualifiziert, Prominentester darunter Mubaraks ehemaliger engster Vertrauter und militärischer Geheimdienstchef Omar Suleiman, sowie der ultrakonservative Anwalt Hazem Salah Abu Ismail. Mubaraks letzter Premier Ahmed Shafik wurde zuerst ausgeschlossen und zwei Tage später doch zugelassen, ein Verhaltensmuster der heutigen ägyptischen Führer, das viele in tiefe Unsicherheit und Verwirrung stürzt. Laut Umfragen besitzt der langjährige Außenminister und seit 2001 Chef der Arabischen Liga, Amr Moussa dank seines hohen Bekanntheitsgrades die größten Wahlchancen, gemeinsam mit dem charismatischen islamistischen Arzt und engagierten Gegner des Mubarak-Regimes, Abdel Abol Fotouh, der sich zwar als gemäßigt präsentiert, dennoch die Unterstützung der ultra-konservativen Salafisten und eines beträchtlichen Teils der Moslembrüder gewann. Die beiden dürften in der Stichwahl um den Sieg kämpfen. Doch Umfragen am Nil sind nicht verläßlich und im Land der Pharaonen, so ein alte Weisheit, müsse man immer das Unerwartete erwarten.Mittwoch, 2. Mai 2012
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