Dienstag, 22. Februar 2011

LIBYEN: Gadafi hinterlässt ein Machtvakuum

Libyens Diktator unterdrückte die Opposition zur Bedeutungslosigkeit – Die soziale Ordnung stützt sich auf ein altes Stammessystem

von Birgit Cerha


Ein Sturz des Regimes Muammar Gadafi, so drohte der Sohn des schwer bedrängten libyschen Dikators, Saif al Islam Gadafi, am Wochenende, werde das Land in blutiges Chaos stürzen, Angehörige verschiedener Stämme würden „einander in den Straßen töten“. Das Blutbad ist auf Befehl des Herrschers längst Realität geworden und viele Libyer fürchten sich nun vor der Anarchie eines Machtvakuums, das ein Sturz des Herrschers nach 42 Jahren hinterlassen wird.
Seit Gadafi an der Spitze einer Gruppe freier Offiziere 1969 die pro-westliche Monarchie stürzte, verkündete er dem Land zwar eine soziale Revolution, hielt sich jedoch mit hemmungsloser Brutalität an der Macht. Oppositionsbewegungen im Inland wurden systematisch zerschlagen, deren Angehörige inhaftiert und häufig exekutiert, während der Diktator seine Gegner im Ausland viele Jahre lang blutig verfolgte.

Schon bald nach seiner Machtübernahme geriet Gadafi, der seine eigene „grüne“ Version des Islams predigt, in schweren Konflikt mit den traditionellen islamischen Institutionen des Landes, die er schließlich alle zersperren ließ. Zu seinen Erzfeinden erkor er neben den gemäßigteren Moslembrüdern vor allem radikalere islamistische Strömungen, gegen die er er mit besonderer Härte vorging. Erst in den vergangenen Jahren begann Saif al Islam einen Dialog mit islamischen Extremistengruppen, darunter insbesondere der „Libyschen Islamischen Kampfgruppe“, die 1996 einen Attentatsversuch gegen Gadafi unternommen und sich später wiederholte Gefechte mit libyschen Sicherheitkräften geliefert hatte. Zu ihren Mitgliedern zählten heimgekehrten Kämpfer aus dem Krieg gegen die Sowjetunion in Afghanistan, die auch Kontakte zur Al-Kaida pflegten. Im Gefängnis schworen einiger dieser Militanten jedoch nach offiziellen Aussagen Saif al Gadafis dem Terror ab und zu Beginn der Unruhen wurden rund 110 Häftlinge der Gruppe freigelassen.

Islamistische Gruppierungen hatten sich vor allem im Osten des Landes, um Benghazi konzentriert. Doch sie hatten im Laufe der Jahre jegliche Schlagkraft verloren. De facto gibt es heute in Libyen keine organisierte Opposition. Im Exil formierten Gadafis Gegner zwar diverse politische Gruppierungen, sind jedoch stark zersplittert und ebenfalls politisch bedeutungslos. Sieben Oppositionsparteien, darunter die „Nationale Front zur Rettung Libyens“ (NFRL), die größte unter ihnen, schlossen sich 2005 in London zur „Nationalen Konferenz für die libysche Opposition“ zusammen. Jahrelang hatten sie kaum Zugang zur libyschen Bevölkerung, gewannen nun aber dank Internet und sozialer Netzwerke vor allem unter der jungen Bevölkerung ein wenig an Einfluß durch ihr entschiedenes Engagment für den „Tag des Zornes“, der am 17. Februar den Auftakt zur Rebellion setzte. Doch ein künftiger Führer lässt sich in diesen Kreisen nicht erkennen.

Demgegenüber spielen im sozialen Gefüge des Landes die Stämme immer noch eine zentrale Rolle. Die Entscheidung des mächtigen Warfala-Stammes, zu dem sich etwa eine Million Libyer zählen, sich den Gegnern Gadafis anzuschließen, wird in der Bevölkerung zweifellos als entscheidende Schwächung und Autoritätsverlust des Diktators gewertet. Diese Entwicklung wurde noch verstärkt, als es Warfala-Führern gelang, Angehörige der südlichen Tuareg Stämme, die etwa 500.000 Mitglieder umfassen, sich ebenfalls dem Widerstand anzuschließen.

Als sich nach zahnjähriger Herrschaft im Land Opposition gegen Gadafi zu formieren begann, suchte der Revolutionsführer zum alten System des Teile und Herrsche Zuflucht und verstärkte zu diesem Zweck erneut die Stammesstrukturen. Er gründete schließlich 1993 ein „Soziales Führungskomitee“, das sich aus 15 Repräsentanten der größten der insgesamt rund hundert Stämme des Landes zusammensetzt und zugleich auch Repräsentanten der Stämme in den Streitkräften sind. Gadafi hielt die Stammesführer durch Privilegien bzw. durch die stete Drohung deren Entzugs bei der Stange. Auf diese Weise verhinderte er die Entwicklung einer nationalen Identität unter einer Bevölkerung, die außer brutalem iralienischem Kolonialismus keine gemeinsame historische Erfahrung besitzt. Derart nach Stammeszugehörigkeit gespalten kann auch die libysche Armee nicht eine entscheidende Vermittler- und Übergangsrolle übernehmen, wie es ihre Kollegen in Ägypten mit friedlichen Methoden versuchen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen