Freitag, 11. Februar 2011

Die Ägypter machen Geschichte

Der Rücktritt Präsident Mubaraks lässt viele Fragen offen – Wird die Armee auch das autokratische System demontieren?

von Birgit Cerha


„Ganz Ägypten ist ein Freiheitsplatz“, frohlockt eine junge Aktivisten. Und tatsächlich erscheint der Jubel schier grenzenlos, nachdem, zuletzt doch unerwartet, Präsident Mubarak Freitag abend zurückgetreten war. In nur 17 Tagen hat sich das Land der Pharaonen, in dem seit Jahren tiefe politische Apathie, Frustration und Verzweiflung vorgeherrscht hatte, radikal gewandelt. Zum erstenmal in ihrer Geschichte haben die Ägypter ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Das Volk hat seine Macht begriffen, seine Ängste vor den folternden Sicherheitskräften überwunden und in einer eindrucksvoll disziplinierten Art und Weise, konsequent und hartnäckig sein ihm zustehendes Recht auf Mitbestimmung, Freiheit, Demokratie eingefordert. Die Ägypter haben damit ein nie gekanntes kollektives Selbstvertrauen gewonnen, eine Zuversicht, dass eine würdevolle Zukunft auch ihnen beschert sein kann. Die ganze arabische Region wird davon mitgerissen werden.
Die Turbulenzen der vergangenen 24 Stunden übertrafen all die Aufregungen der kaum dreiwöchigen Revolution. Da deuteten die Armeeführung und Führer der regierenden „Nationalen Demokratie-Partei“ (NDP) den bevorstehenden Rücktritt Mubaraks an, der anschließend in einer Rede im staatlichen Fernsehen von all dem nichts wissen wollte. Der Hohe Militärrat benötigte Stunden, um Freitag morgen darauf zu reagieren und sich hinter die Entscheidung des Präsidenten zu stellen. Hinter den Kulissen tobten offensichtlich heftige Auseinandersetzungen und zunächst gelang es dem Überlebenskünstler Mubarak, die Armeeführung zu übervorteilen. Doch er drohte damit das Land an den Rand der Explosion zu treiben. Seine Rede an das Volk heizte den Zorn Hunderttausender massiv auf, stärkte deren Entschlossenheit, weiter auszuharren und Hunderttausende mehr schlossen sich ihnen an. Eine katastrophale Kraftprobe zwischen der Armee und dem Volk schien fast unausweichlich. Denn schon hatten die Demonstranten begonnen, zum Präsidentenpalast zu strömen, um den „Pharao“ zu verjagen.

Es stand fest, dass die Armeeführung ihre Passivität in dieser kritischen Situation nicht länger aufrecht erhalten konnte. Was, wenn Mubarak, der Oberkommandierende der Streitkräfte, vom Volk direkt bedroht würde? Dann hätten die Soldaten nicht länger – wie bisher – tatenlos zusehen können. Doch durch eine direkte Konfrontation mit den Demonstranten hätten sie ein gigantisches Blutbad riskiert, ein unkontrollierbares Chaos und den Sturz nicht nur Mubaraks, sondern des gesamten Systems. Die Armee, die ohnedies durch ihre Weigerung, die friedlichen Demonstranten gegen sie attackierende Anhänger Mubaraks zu schützen, an Sympathie in der Bevölkerung verlor, wäre zum Buhmann geworden. Zudem war der Zusammenhalt der Streitkräfte im Fall einer Konfrontation mit dem Volk längst fraglich geworden. So entschieden sich die Generäle für einen Verfassungsbruch und de facto einen Putsch. Für sie stehen zudem enorme Wirtschaftsinteressen auf dem Spiel.

Mit Mubaraks Rücktritt haben die Ägypter ihr erstes Ziel in erstaunlich kurzer Zeit erreicht. Doch ob sie sich damit begnügen werden, ist höchst fraglich. Freitag abend herrscht Euphorie, doch die Ernüchterung wird rasch einkehren. Denn unendlich viele Fragen gilt es nun zu lösen. Ein Hoher Armee-Rat hat die Macht übernommen. Doch was dies bedeutet, ist unklar. Ist Suleiman der neue Machthaber? Wird die Armee das Parlament aufösen? Werden die Streitkräfte ernsthaft einen Übergang zu einem demokratischen System leiten? Ihr Oberkommandierender General Tantawi gilt als ein Mann, der der nationalen Sicherheit allerhöchste Priorität einräumt. Aufkosten demokratischer Rechte? Wird die fest im System verankerte Armee, gemeinsam mit Suleiman nun versuchen vom alten System und dessen Machtapparaten zu retten, was sich noch retten lässt? Wird sie die NDP auflösen und mit ihr die gesamten korrupten Machtstrukturen zerschlagen? Welches Schicksal wartet Ägypten nun und mit ihm der Rest der arabischen Welt?

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