Das Regime präsentiert sich selbstgefällig – Doch eine an den Rand der Gesellschaft und in die Hoffnungslosigkeit gedrängte Jugend birgt enormen Sprengstoff
von Birgit Cerha
In seinem Land sei eine Rebellion wie in Tunesien und nun in Ägypten kaum denkbar. Denn sein Regime sei „eng verbunden mit den Überzeugungen der Menschen“. Präsident Bashar el Assad präsentiert sich selbstsicher und selbstgefällig gegenüber westlichen Medien. Ägypten und Tunesien hätten erst über Reformen gesprochen, nachdem das Volk zu rebellieren begonnen hatte. In Syrien, so die Andeutung, sei dies wohl anders.
Doch seit die Massen am Nil ihren Präsidenten Mubarak verjagen wollen, hat das Damaszener Regime die schärfsten Sicherheitvorkehrungen getroffen, an die sich seine Bürger zu erinnern vermögen. Die Argusaugen der zahllosen Geheimagenten treffen vor allem die Jugend und die Internetcafes, wiewohl der Zugang zu den Sozialnetzes unterdessen weitgehend blockiert ist.
Die kleine, doch angesichts massiver Repressionen extrem mutige Zahl politischer Aktivisten hat für Samstag nach ägyptischem und tunesischem Vorbild zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen. Er fällt in etwa zusammen mit dem 29. Jahrestag des Massakers von Hama, als Präsident Hafez el Assad 1982 Zehntausende Menschen töten ließ, um einen Aufstand der Moslembruderschaft niederzuschlagen. Die Zahl der Opfer bleibt bis heute geheim, doch die Wunden, die diese Brutalitäten in die Herzen von der Macht ausgeschlossenen sunnitischen Bevölkerungsmehrheit geschlagen hat, sind nicht verheilt.
Der unpolitische Augenarzt Bashar el Assad erbte von seinem 2000 verstorbenen Vater eine der brutalsten Diktaturen der arabischen Welt. Hafez el Assad hatte sie 1971 durch einen Putsch mit Hilfe des Militärs errichtet und Syrien mit eiserner Hand politische Stabilität, doch auch Jahrzehnte der Unterdrückung beschert. Das System stützte er auf die pan-arabische Baath-Partei, doch der Machtapparat beschränkt sich auf einen engen Kreis von Angehörigen der alawitischen Minderheit, die nicht einmal 20 Prozent der Bevölkerung stellt. Nur wenige Nicht-Alawiten erhalten Zugang. Es ist ein System, das Bashar, der als sich demokratisch gebender Reformer die Macht übernahm, weiterhin erhält. Da die sunnitische Bevölkerungsmehrheit von Macht und Privilegien ausgeschlossen ist, war über Jahrzehnte die Gefahr der Rebellion aus diesen kreisen besonders groß. Wie sein Vater, duldet Bashar auch nach der kurzen Periode des „Damaszener Frühlings“ der Freiheit 2000 bis 2001 nicht den leisesten Dissens.
Dennoch wagten 2005 Mitglieder einer Koalition politischer Gruppierungen, darunter auch der verbotenen Moslembruderschaft, sowie zahlreiche Unabhängige, in der „Damaskus Deklaration“ das Regime offen als „autoritär, totalitär und cliquenhaft“ kritisierte und ihre Strategie für einen friedlichen Wandel zur Demokratie festzulegen. Das Regime antwortete in traditioneller Weise. Die meisten prominenten Dissidenten sitzen heute, von Militärgerichten abgeurteilt, im Gefängnis, stehen unter Hausarrest oder brachten sich ins Ausland in Sicherheit. Seit einigen Monaten zielt Bashars dichtes Netz an Geheimdiensten insbesondere auf Anwälte und Menschenrechtsaktivisten. So wurde im Vorjahr der 79-jährige Haitham Maleh“ wegen „Verletzung der nationalen Moral“ (wie die Urteilsbegründung gegen Dissidenten meist lautet) zu drei Jahren Haft verurteilt.
So blieben Bashars wiederholte Versprechen von politischer Reform unerfüllt. Weit mehr als in Ägypten ist die Zivilgesellschaft eingeschüchtert und wird wohl kaum ähnlichen Druck auf den Diktator auszuüben vermögen. Angesichts der Repressionen lässt sich auch die Organisationskraft und Stärke der Opposition nicht einschätzen. Die Moslembrüder dürften allerdings wohl über eine beträchtliche Anhängerschar verfügen, insbesondere seit sie den bewaffneten Kampf aufgaben, sich mit den Zielen der „Damaskus Deklaration“ identifizierten und sich der vom ausgeschiedenen Vizepräsidenten Abdel Karim Khaddam gegründeten „Nationalen Rettungsfront“ diverser politischer Gruppierungen anschlossen. Doch ihre Bereitschaft, in einem Klima des Pluralismus mit dem Regime zu kooperieren, erntete nicht den erhofften Dank. Weiterhin gilt die Mitgliedschaft bei den Brüdern als Kapitalverbrechen. Dass Assad die sich nun gemäßigt präsentierenden Islamisten ausgrenzt, droht zumindest Randgruppen wieder in den Radikalismus zu treiben.
In der syrischen Gesellschaft aber gibt es starke säkulare Kräfte. Die Moscheen und ihre Imame stehen voll unter Kontrolle des Staates, der die Verbreitung radikalen Gedankenguts nicht duldet.
Als Ägyptens Jugend begann, in die Straßen zu ziehen, kündigten die staatlich gelenkten syrischen Medien rasch die Verteilung von Geldzuwendungen an 420.000 bitterarme syrische Familien an, mit der Anfang Februar begonnen wird. Gesamtaufwand 250 Mio.Dollar. Denn während eine Clique der Privilegierten (hohe alawitische Beamte, Militäroffiziere, sunnitische Großgrundbesitzer und wohlhabende Geschäftsleute) sich durch massive Korruption und Vetternwirtschaft enorm bereichert hat, versinkt die Masse in bitterer Armut. Besonders betroffen ist die Jugend, die heute mehr als 50 Prozent der Arbeitslosen stellt. Fast 45 Prozent der 22,5-Millionen-Bevölkerung ist unter 14. 20 Prozent der Syrer leben unter der Armutsgrenze. Auf dem Land liegt die Analphabetenrate der Erwachsenen immer noch bei 28 Prozent. Zaghaft begonnen wirtschaftliche Liberalisierung hat die Not der Massen noch verschlimmert.
Besonders betroffen von Armut und Repression ist die kurdische Minderheit, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung stellt. An die 300.000 von ihnen sind vollends aus der Gesellschaft ausgeschlossen, weil der Staat ihnen seit den 60er Jahren die Personalpapiere verwehrt. Die ethnischen Spannungen haben sich in jüngster Zeit drastisch verschärft und das Regime reagiert mit immer brutalerer Unterdrückung.
Seit dem israelischen Gaza-Krieg 2008 herrscht nach einer kurzen Phase von Geheimverhandlungen, in denen die Türkei den Gastgeber gespielt hatte, wieder weitgehende Funkstille mit dem einstigen Kriegsgegner. Das Problem der immer noch besetzten Golanhöhen bleibt ungelöst und damit beharrt Syrien auch weiterhin auf der Unterstützung radikaler Palästinenser und der libanesischen Hisbollah. Doch Assad gelang es, aus der internationalen Isolation auszubrechen, enge freundschaftliche Bande mit der Türkei zu schließen, die Beziehungen mit den USA weitgehend zu normalisieren, eine Entwicklung, die ihm viele Syrer ebenso danken, wie die entschlossene Unterstützung der Palästinenser.
„Die größte Gefahr droht dem Regime von der Jugend“, stellt der syrische Dissident Abdul Hamid fest. „Sie ist frustriert über den Mangel an Freiheit, an Arbeitsplätzen und sie hat ihr eigenes Kommunikationssystem im Untergrund eingerichtet. Und diese führungslosen Netzwerke können leicht politisiert werden, wenn die Zeit dazu reif ist.“
Mittwoch, 2. Februar 2011
Auch die Syrer rufen zum „Tag des Zorns“
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