Mit Libanons Großayatollah Fadlallah, einem scharfen Kritiker der US-Nahostpolitik verlor der schiitische Islam eine seiner bedeutendsten Autoritäten
von Birgit Cerha
Er wurde nicht müde, Washingtons Nahostpolitik zu geißeln. Noch in seiner letzten Freitagspredigt, am 2. Juli von einem Vertreter in einer Beiruter Moschee verlesen, während er selbst in einem Hospital der Stadt mit dem Tod rang, verurteilte Großayatollah Mohammed Hossein Fadlallah die fortgesetzte jüdische Siedlungspolitik in Ost-Jerusalem aufs schärfste und kritisierte die USA, die die Aktionen „des Feindes (Israel) decken“.
Die Welt der Schiiten aber betrauert mit Fadlallah, der Samstag im Alter von 74 Jahren verstarb, eine ihrer bedeutendsten religiösen Autoritäten. In den Interpretationen des Lebens und Wirkens dieses Mannes zeigt sich die tiefe Kluft, die die islamische Welt vom Abendland trennt.
Neben der libanesischen Schiitenorganisation Hisbollah und deren Führer Hassan Nasrallah stand Fadlallah nämlich bis zu seinem Tode auf der US-Terrorliste und Israel hasste den Geistlichen als einen seiner radikalsten Feinde. Doch dieser islamische Theologe, den der schwarze Turban und der Titel „Sayyed“ als Nachkommen des Propheten Mohammed ausweist, hinterließ auch ein reiches Erbe an Regeln und Lehren, an der sich seine vom Libanon über den Irak bis nach Zentralasien erstreckende Anhängerschar zur weiteren Gestaltung ihres Lebens orientieren wird.
Von libanesischen Eltern in der heiligen Schiitenstadt Nadschaf im Irak geboren, war Fadlallah nach dem Studium der Jurisprudenz, Logik, Arabistik und Philosophie in der geistlichen Hierarchie rasch aufgestiegen, bis er schließlich mit dem „Marja el Taqlid“ (der „Quelle der Nachahmung“) den höchsten geistlichen Status der schiitischen Welt erreichte. Seit 1966 lebte und wirkte er in seiner libanesischen Heimat, wo er sich entschlossen der traditionell schwer diskriminierten schiitischen Bevölkerungsmehrheit annahm. Damit verfing er sich nicht nur in libanesischer, sondern zunehmend auch in internationaler Politik und wurde zu einem bedeutenden Gegenspieler israelischer und amerikanischer Interessen in der Levante.
Geschockt durch die israelische Invasion des Libanons 1982, hob er gemeinsam mit Abgesandten des iranischen Revolutionsführers Khomeini im Libanon die „Hisbollah“ aus der Taufe und wurde im Westen stets als „Mentor“ dieser Organisation genannt, die sich den Widerstandskampf gegen die israelischen Besatzer zum Ziel gesetzt hatte. Sowohl Hisbollah, als auch Fadlallah aber leugneten stets eine führende Rolle des Geistlichen in der Organisation, wiewohl sich die Ansichten zwischen beiden vor allem in den 80er Jahren meist deckten. Fadlallah war der erste führende Geistliche, der Selbstmordattentate im Widerstandskampf gegen Besatzung sanktioniert und damit wohl eine Serie blutiger Anschläge u.a. gegen Hauptquartiere der amerikanische und französischen Truppen in Beirut ermutigt hatte, die Hunderten Soldaten das Leben kosteten und schließlich zum Abzug der „Multilateralen Friedenstruppe“ aus dem Libanon führten. Fadlallah leugnete aber jede direkte Verwicklung in solche Terrorakte und verurteilte später entschieden Selbstmordattentate gegen Zivilisten. Ebenso verurteilte er auch die Entführungen westlicher Bürger, die den Libanon in den 80er Jahren zu einem Schlachtfeld internationaler Konflikte gemacht hatten.
Nach Recherchen des US-Journalisten Bob Woodward war es der US-Geheimdienst CIA gewesen, der mit denselben Methoden Fadlallah auszuschalten suchte. Eine Autobombe nahe der Wohnung des Geistlichen zerstörte 1985 ein Apartmenthaus und riss 80 Menschen in den Tod. Fadlallah blieb unversehrt, so wie auch bei zahlreichen nachfolgenden Attentatsversuchen.
Zunächst Anhänger Khomeinis und der „Islamischen Revolution“ distanzierte er sich später vom iranischen System des „Gottesstaates“ und lehnte wiederholt entschieden die absolute Autorität der Geistlichen ab: „Kein religiöser Führer besitzt ein Monopol auf die Wahrheit.“ So geriet er auch zunehmend in Konflikt mit Hisbollah, die sich im Laufe der Jahre mehr und mehr dem Iran annäherte.
Im Libanon wird nun ein Nachfolgekampf um die Führung der zahlreichen religiösen, intellektuellen und sozialen Institutionen ausbrechen, die Fadlallah aufgebaut hatte. Und in der Welt der Schiiten wird die liberale Stimmen fehlen, die mit mutigen Fetwas (Rechtsgutachten) orthodoxe Regeln verwarf und sich insbesondere für eine aktive Rolle der Frauen im gesellschaftlichen, ja sogar im religiösen Leben einsetzte.
Zu seinen unter erzkonservativen Geistlichen scharf kritisierten Fetwas zählen das Verbot der Beschneidungen von Mädchen, der „Ehrenmorde“, die Ermutigung der Frauen, sich gegen Gewalt durch den Ehemann zu wehren., insgesamt sein Einsatz für eine Modernisierung des Lebens, sowie die scharfe Verurteilung des „Jihad“ (Heiligen Krieges), zu dem Terrorchef Osama bin Laden immer wieder aufruft.
Bilduquelle: "Al Arabiya"
Sonntag, 4. Juli 2010
LIBANON: Im Westen gehasst, von Schiiten hoch verehrt
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