Dienstag, 18. Mai 2010

SAUDI-ARABIEN/JEMEN: Saudis befreien deutsche Kinder im Jemen

Ungewissheit über das Schicksal weiterer drei Geiseln in einer unkontrollierbaren Krisenregion

von Birgit Cerha

Nach fast einem Jahr sind zwei im Nordjemen festgehaltene deutsche Mädchen wieder in Freiheit. Über das Schicksal der Eltern der fünfjährigen Lydia und der um ein Jahr jüngeren Anne, sowie deren zweijährigen Bruders Simon herrscht aber weiterhin Ungewissheit. Saudische Sicherheitskräfte hatten Montag die beiden Mädchen im Grenzgebiet in Empfang genommen. Welche Rolle die Saudis tatsächlich bei der Aktion gespielt haben, bleibt vorerst unklar. Ein Sprecher des Innenministeriums in Riad teilte mit, die Kinder seien „auf der Basis von Geheimdienstinformationen“ befreit worden. In jemenitischen Stammeskreisen heißt es, die Saudis hätten die Mädchen in einem Grenzdorf in der nordwestlichen Provinz Saada gefunden. Über dem Gebiet seien saudische Apache-Helikopter gesichtet worden.
Die fünfköpfige Familie aus Sachsen war im Juni 2009 gemeinsam mit einem Briten, zwei jungen Bibelschülerinnen aus Niedersachsen und einer Süd-Koreanerin in Saada entführt worden. Drei Tage später waren die drei jungen Frauen tot aufgefunden worden. Kurz vor Weihnachten tauchte ein Video auf, das die drei Kinder zeigte. Der kleine Simon allerdings machte einen erschöpften Eindruck. Es wird befürchtet, dass er inzwischen tot ist.

Über Hintergründe der Entführung herrscht völlige Unklarheit. Der Gewaltakt ereignete sich in einem Land, das immer tiefer ins Chaos rutscht. Präsident Saleh kontrolliert fast nur noch die Region um die Hauptstadt Sanaa. Außerhalb, insbesondere im Norden, üben die mächtigen Stämme ihre traditionelle Herrschaft aus, zu der auch Geiselnahmen zählen, meist um die Regierung zu erpressen. Die Opfer werden traditionell fast wie Gäste behandelt. Doch mit der wachsenden Radikalisierung angesichts der eskalierenden sozialen und ökonomischen Krisen werden die gewaltlosen Traditionen zunehmend verletzt, umso mehr als der skrupellose al-Kaida-Terrorismus hier immer stärker Fuß fasst.

Zudem herrscht im Gebiet der Geiselnahmen seit 2004 ein von der Welt weitgehend irgnorierter Krieg zwischen den Houthi-Milizen, die der sich von der Zentralregierung diskriminiert fühlenden schiitischen Strömung der Zaiditen angehören, und den Regierungstruppen, der bisher Tausende Tote forderte und mehr als hunderttausend Menschen in die Flucht getrieben hatte. Die entführten Eltern Hentschel, die in einem Krankenhaus in Saada gearbeitet hatten, waren von der Reise außerhalb der Hauptstadt gewarnt worden. Insbesondere deutsche Staatsbürger sind seit dem Engagement der Bundeswehr in Afghanistan potentielles Ziel von Al-Kaida-Terroristen. Das Regime in Sanaa hat denn auch Al-Kaida für die Entführung verantwortlich gemacht und die Houthis als Mittäter bezichtigt. Tatsächlich gab es Gerüchte, die beiden Deutschen seien von den fast völlig isolierten Houthis gezwungen worden, Kriegsverletzte zu versorgen. Internationale humanitäre Hilfe bleibt den zivilen Opfer dieses Krieges fast völlig verwehrt.

Die Houthis aber weisen jede Verantwortung für die Entführungen energisch zurück. Es wäre widersinnig ausgerechnet Deutsche zu entführen, da doch ein Bruder ihres Anführers Abdulmalek al Houthi als Flüchtling in Deutschland lebe. Der Tod der drei jungen Frauen könnte auch mit eventuellen Missionierungsversuchen in Zusammenhang stehen. Die Abwerbung vom Islam wird in solch tiefreligiös-traditionlistischen Regionen auch dem Nord-Jemen, als schweres Vergehen empfunden.

Saudi-Arabien betrachtet seit langem die Stabilität im Jemen als entscheidend für seine eigene Sicherheit, um die es zunehmend fürchtet seit sich Al-Kaida Terroristen beider Länder im Vorjahr zu einer schlagkräftigen Gruppen mit Sitz im Jemen zusammengeschlossen haben und von dort aus wiederholt in saudisches Territorium eindringen. So wäre ihnen vor einem Jahr beinahe ein Attentatsversuch gegen den höchsten Antiterrorchef des Königreiches, Prinz Mohammed bin Nayef gelungen. Seit Jahren unterstützt Riad finanziell und zunehmend auch tatkräftig Saleh in dessen militärischem Kampf um die Kontrolle über sein Land, insbesondere auch gegen die Houthis. So hatte Riad vergangenen November die nord-jemenitische Rebellenregion massiv und wahllos bombardiert, mit dem Ziel, das Grenzgebiet zu entvölkern, um dort eine „Sicherheitszone“ zu schaffen. Denn die fast 1.800 km lange Grenze, die sich teilweise durch gebirgiges Territorium zieht, lässt sich nicht hermethisch abriegeln. Während die Saudis die Houthis – möglicherweise zu unrecht – der Kollaboration mit Al-Kaida bezichtigen, herrscht doch kein Zweifel, dass dieses unzugängliche Kriegsgebiet den Terroristen herrvorragenden Unterschlupf bietet. Für das Königshaus steht hier seine eigene Stabilität auf dem Spiel und Übergriffe auf die territoriale Hoheit des Jemen erscheinen ihm da wohl vergleichsweise als irrelevant. So fanden sich die Saudis nun auch wohl in der Lage, ihre guten, humanitären Dienste anzubieten.


Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 19.5.010

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