von Birgit Cerha
Der Grieche Herodot beschrieb Ägypten als „Geschenk des Nils“. Tatsächlich bezieht das volkreichste arabische Land 95 Prozent seines Wasserbedarfs aus diesem mit 6.670 km längsten Fluß der Welt. Wiewohl der Nil durch zehn Staates fließt erheben die Nachkommen der Pharaonen bis heute einen einzigartigen Anspruch auf diese Quellen des Lebens, die eine der größten Zivilisationen des Globus hervorgebracht hatten. So ist in Kairo viel von „historischen Rechten“ die Rede, wenn sich politische Kreise und Medien über die anderen Flussanrainer empören, die sich nun sogar so weit vorwagen, eine „Nilfluß-Krise“ zu provozieren, wettern ägyptische Tageszeitungen. Auf keinen Tropfen dieses Lebenselexiers werde Ägypten verzichten. Die „nationale Sicherheit“ stehe auf dem Spiel. Dieser Tenor der Kommentare über ein Abkommen, das vier der Anrainer-Staaten – Tansania, Uganda, Rwanda und Äthiopien - zur Neuverteilung des Nilwassers im ugandischen Entebbe am 14. Mai unterzeichnet hatten, illustriert deutlich Kairos Entschlossenheit, unter allen Umständen seine fast totalen Ansprüche auf diesen Fluß nicht aufzugeben, gleichgültig, wie berechtigt das Verlangen der Nachbarn am Oberlauf des Nils auch sein mag. Manche Politiker zeigen sich gar militant, wenn es um die Frage der Bedürfnisse ihrer Bevölkerung geht. So meint ein Parlamentsabgeordneter, „wir würden sogar einen Krieg (um den Nil) begrüßen, wenn er uns aufgezwungen wird“.
Es ist keineswegs das erste Mal, dass in Ägypten in der Frage des Nils kriegerische Töne laut werden. Hatte Präsident Nasser einst durch seine antikolonialistische Charmeoffensive in Afrika enge Freunde und viel Solidarität gewonnen, so setzte sein Nachfolger Sadat mehr auf Einschüchterung und Ägyptens dominierende Militärmacht. Diese Zeiten freilich sind längst vorbei. Mehr und mehr verliert Ägypten in Afrika, ja sogar in der arabischen Welt an Führungskraft, ein Faktum, das – so sehen es zumindest kritische Stimmen in Kairo – wohl die Nilanrainer nach mehr als zehn Jahren fruchtloser Verhandlungen zum Alleingang ermutigt hatte. Eine Kommission soll eingesetzt werden, die das Wasser neu aufteilt. „Wir versuchen dabei“, so beschwichtigt ein Regierungssprecher in Addis Abeba, „Ägyptens Interessen nicht zu verletzen“.
Offiziell versucht Kairo das Entebbe-Abkommen, das ein Jahr lang zur Unterschrift für die anderen betroffenen Staaten, insbesondere Ägypten, ausliegen soll, herunterzuspielen, Man erkenne es nicht an, es besitze überhaupt keine Bedeutung, sei durch internationales Recht nicht abgesichert. Zugleich erwägen Ägyptens und Sudans Führer, Mubarak und Bashir, die Bildung einer „Hohen Präsidentenkommission“, die die Konflikte mit den anderen Nilstaaten regeln und über gemeinsame Projekte entscheiden soll.
Der Konflikt hat seinen Ursprung in einem zwischen Ägypten und Großbritannien, der damaligen Kolonialmacht der anderen Anrainer, 1929 abgeschlossenen Vertrag, der Kairo das Vetorecht gegen all jene Bauvorhaben am Oberen Nil einräumt, die den ihm zustehenden Wasseranteil schmälern könnten. Sudan, sobald in die Unabhängigkeit entlassen, forderte Nachverhandlungen, die 1959 zum Abschluss eines bilateralen Abkommens führten, in dem Kairo das Recht erhält, 55,5 Mrd. qm Wasser aus dem Nil abzuleiten und der Sudan 18,5 Mrd, insgesamt mehr als 90 Prozent der Gesamtmenge.
Die anderen Nilstaaten – Äthiopien, Burundi, Kongo, Eritrea, Kenia, Rwanda, Tansania und Uganda – empfinden diese koloniale Regelung – insbesondere das Vetorecht, das alle Bewässerungs- und Energieprojekte in ihren Staaten blockiert - seit langem als zutiefst ungerecht und argumentieren heute zudem, dass auch die veränderten klimatischen und demographischen Verhältnisse in ihren Ländern eine Neuregelung dringend erforderten.
Was Ägypten besonders empört ist jeder in dem neuen Vertragswerk fehlende Hinweis auf seine im Kolonialvertrag von 1929 verbrieften „historischen Rechte“. Ägypten und Sudan, so betont man in Kairo, sind die einzigen Wüstenstaaten am Nil, alle anderen könnten auf reiche Regenfälle zählen, ein Argument allerdings, dass angesichts der Klimaerwärmung längst nicht mehr zutrifft, insbesondere nicht in dem immer wieder von katastrophalen Dürren heimgesuchten Äthiopien. Dort liegen in Dürreperioden die Felder brach, während daneben der Blaue Nil, der insgesamt 85 Prozent des durch Ägypten fließendes Wassers liefert, fast unberührt dahinströmt. Äthiopien darf nur ein Prozent seines Wasserbedarfs vom Nil abzweigen, Kenia zwei, Tansania drei, Kongo ein und Burundi fünf.
Während Ägypten die totale Abhängigkeit vom Nil für die Landwirtschaft betont, die etwa 40 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Beschäftigung bietet, verweisen unabhängige Experten auf die äußerst mangelhafte Wasserstrategie Kairos, auf die sehr wasseraufwendigen Projekte in der Wüste, wie etwa im Sinai, wo die sich auf Tausende ha erstreckende größte Biofarm Afrikas nicht hungrige Ägypter, sondern europäische Supermärkte mit Obst und Gemüse versorgt. Äthiopien werde gleichzeitig „das Recht verweigert, sich selbst zu ernähren“, klagt Ministerpräsident Meles Zenawi verärgert und will sich von Kairo nicht länger einschüchtern lassen. „Ich glaube, es ist ein offenes Geheimnis, dass Ägypten über Truppen verfügt, die für den Dschungelkrieg spezialisiert sind.“ Da es fast nur Wüste in Ägypten gäbe, „werden sie wohl für Kämpfe in den Dschungels Ostafrikas trainiert“. Doch ein solcher Krieg, so Zenawi, sei chancenlos. „Wenn Ägypten uns von der Nutzung des Nils abhalten will, dann müsste es Äthiopien besetzen und keinem Land der Welt ist dies bisher gelungen.“
In Ägypten fließen heute acht von zehn Liter Nilwasser in die Landwirtschaft. Zwar hat man mit Bemühungen begonnen, den Wasserbedarf zu reduzieren, wie etwa die weitgehende Einstellung des Reis- und Verringerung des Maisanbaus. Doch, so klagt Asit Biswas, Direktor des „Third World Centre for Water Management“, das Regime „blickt leider in sehr traditionalistischer Weise in die Zukunft.“ Bis heute hat man keine Alternativquellen für den Nil erschlossen, wie etwa Meerwasser-Entsalzungsanlagen, die sich insbesondere entlang der Rote-Meer-Küste als ökonomisch und nachhaltig erweisen würden, da man sich den langen Transportweg vom Nil in diese Region ersparen würde. Auch wurde bisher nicht mit der systematischen Anwendung neuer Technologien und dem Anbau neuer wassersparender Getreide- und Reissorten begonnen. Auch fehlen drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Wasserverschwendung. Mehr als 40 Prozent des Haushaltswassers wird in Ägypten vergeudet.
Aber, so kritisieren Experten, auch in den anderen Nilanrainerstaaten bedarf es effizienteren Wassermanagements. Im Schnitt nämlich gingen dort an die 30 Prozent der Regenfälle für die Landwirtschaft verloren.
Experten halten die Krise für „sehr ernst“. Vorerst setzt Kairo aber auf seine guten Beziehungen zur westlichen Welt, auf die Strategie der Weltbank und anderer internationaler Finanzinstitutionen, die keine Projekte in den Nil-Anrainerstaaten finanzieren wollen, wenn Ägypten nicht zustimmt. Doch schon zeigen sich Israel und China bereit, Energie- und Bewässerungs-Projekte am Oberlauf des Nils durchzuführen. Die Spannungen könnten sich auch noch weiter verschärfen, wenn der Südsudan seine Unabhängigkeit erklärt und eigene Ansprüche auf den Lebensquell Nil stellt.
Ägypten hat keine Wahl, als eine Ära der Verständigung und Partnerschaft mit den anderen Nilländern einzuläuten zum gemeinsamen Vorteil aller, bevor der Streit um den längsten Fluß der Erde außer Kontrolle gerät.
Bildquelle: http://media-cdn.tripadvisor.com/media/photo-s/01/03/f1/44/nile-shore-in-aswan.jpg
Siehe auch LEXIKON "Konfliktzone Nil"
Montag, 17. Mai 2010
ÄGYPTEN: „Leben oder Tod“ am Nil
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