Während zunehmend gewaltsame
Massenproteste gegen Präsdident Mursi anhalten, stellt die Armee den
politischen Kräften ein 48-stündiges Ultimatum
von Birgit Cerha
Ägyptens
Streitkräfte verlieren die Geduld. Weitgehend unwillig, sich erneut in
das politische Geschehen am Nil einzumischen, sieht die Armeeführung
offenbar den Zeitpunkt gekommen, das Land vor dem Sturz in ein blutiges
Chaos zu retten. Nachdem Montag Massenproteste gegen Präsident Mursi
bereits mehr als 14 Menschen das das Leben gekostet und Bewaffnete das
Hauptquartier der Moslembruderschaft in Kairo gestürmt, teilweise
zerstört und total geplündert hatten, stellte die Führung der
Streitkräfte allen politischen Kräften des Landes ein 48-stündiges
Ultimatum als „letzte
Chance“, um die gegenwärtigen Probleme zu lösen. Sollte dies nicht
gelingen, würde die Armee einen neuen Plan für die Zukunft bekanntgeben
und „gewisse Maßnahmen“ mit Hilfe aller Fraktionen, inklusive der Jugend
durchsetzen. Niemand solle ausgeschlossen bleiben.
Die
“Tamarod”-Bewegung , die die wohl größten Massenproteste in der
Geschichte Ägyptens organisierten, hatten auf solche Schützenhilfe
gehofft. Vorerst bleibt aber unklar, ob damit das Hauptanliegen der
Oppositionsströmung, der Sturz Mursis, erfüllt würde.
Wiewohl die
Tamarod ihre Entschlossenheit zum gewaltlosen Protest gegen den
islamistischen Präsidenten bekundet hatte, kam es Montag zunehmend
häufig zu brutalen Übergriffen gegen Personen und Institutionen der
Moslembrüder und deren islamistische Verbündete. Unter Führung Mursis
beschlossen die Moslembrüder deshalb Montag, Attacken auf ihre
Institutionen nicht länger tatenlos zuzusehen. Damit steigt die
Gefahr vor gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Anhängern der beiden
Lager dramatisch an. Pro-Mursi Aktivisten bekräftigten ihre
Entschlossenheit, Sitzstreiks so lange fortzusetzen, solange nicht die
Opposition ihre Protestaktionen beendet hat. Die von Tamarod geführte
Strömung will davon aber nichts wissen, bis Mursi nicht den
Präsidentenpalast geräumt hat – und dies bis Dienstag 17 Uhr. Tut er
dies nicht, dann wollen Millionen von zornigen Ägyptern durch
Sitzstreiks vor Regierungsgebäuden und dem Präsidentenpalast, sowie
durch eine großangelegte Kampagne des zivilen Ungehorsams das Land
lahmlegen. Ob sich allerdings die Arbeitervertretungen an Massenstreiks
beteiligen würden, ist vorerst unklar.
Das gigantische Ausmaß der
Proteste hat die Moslembrüder offenbar schockiert. Ein Sprecher Mursis
bekräftigte Montag die Bereitschaft zum nationalen Dialog. Doch für die
Protestierenden und deren Führer kommt dies zu spät. Mursi hat
in ihren Augen in einem Jahr unerfüllter Versprechen jegliche
Glaubwürdigkeit verloren. Der Präsident gerät zunehmend in Bedrängnis.
Zwar stehen immer noch Millionen von Ägyptern, insbesondere in
ländlichen Regionen, voll hinter ihm und seiner Moslembruderschaft. Doch
die Massendemonstrationen vom Sonntag, die selbst jene, die im Februar
2011 den Sturz Präsident Mubaraks erzwungen hatten, weit übertrafen,
stärken Argumente der Opposition, dass nicht mehr die Mehrheit des
Volkes hinter Mursi stünde. Er hatte vor einem Jahr mit nur 51,7
Prozent der Stimmen die Spitze des Staates erklommen. Auch unter seinen
Mitstreitern beginnt die Front zu bröckeln. Montag traten , geschockt
durch die Proteste, vier Minister zurück.
Die offensichtliche
Strategie, auf Zeit zu spielen in der Hoffnung, dass wie bei der
vorangegangenen Zorneswelle im Dezember 2012 die Proteste bald erlahmen
würden, insbesondere, da in acht bis neun Tagen der Fastenmonat
Ramadan beginnt und zugleich die Hitze am Nil vollen Einzug nimmt,
erlitt nun durch das Ultimatum der Streitkräfte einen Rückschlag.
Die
Gegner Mursis verstanden es zwar eindrucksvoll, enorme Massen zu
mobilisieren, Doch darüber hinaus haben sie keine gemeinsame Strategie
erarbeitet. Sie sind eine Graswurzelbewegung, die sich aus den
verschiedenen säkularen Gruppen – Liberalen, Nationalisten und Linken -
zusammensetzt und nun auch von Enttäuschten in den unteren Schichten der
Bevölkerung, die lange mit den Moslembrüdern sympathisiert hatten,
unterstützt werden. Eine dritte Gruppe aber wittert in diesem
Kräftemessen eine neue Chance: die Vertreter, Mitstreiter und Anhänger
des alten Regimes, die immer noch Teile des Staatsapparates, den sie
einst mit weit größerer ‚Effizienz, wiewohl autoritär, gelenkt hatten,
besetzen.
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