Donnerstag, 29. März 2012

Arabischer Gipfel: Ratlos und gespalten

Der arabische Gipfel in Bagdad sollte ein „historisches“ Ereignis werden. Immerhin waren die 22 Führer der Liga zum erstenmal seit die Stürme des „arabischen Frühlings“ vier von ihnen vom Thron gefegt und einen – den Syrer Assad – in Todeskampf gestürzt haben , zu einer Konferenz geladen, um eine gemeinsame Strategie zur Überwindung der auch sie zutiefst beunruhigenden blutigen Turbulenzen der Region zu finden. Schon am ersten Tag stand fest, dass Ohnmacht und tiefe Spaltung, die die Organisation seit Jahrzehnten lähmt, nicht überwunden ist. Nicht einmal die Hälfte der Mitgliedsstaaten fand sich bereit, durch die Teilnahme ihrer Staatschefs, den „neuen Irak“ wieder voll in den Kreis der arabischen Familie aufzunehmen und den Weg zu neuer Führungsrolle in der Region zu ebnen. Nur neun Herrscher waren angereist und eine Serie von Explosionen gleich zu Beginn des Gipfels mit 21 Toten signalisierte deutlich, dass der Irak von Stabilität weit entfernt ist.Insbesondere die sunnitischen Mächte Saudi-Arabien und Katar, die nun in der Liga den Ton angeben, demonstrierten durch die Entsendung von niedrigen Beamten ihr tiefes Misstrauen gegenüber Iraks schiitischen Premier Maliki, dessen repressiver Politik gegenüber der sunnitischen Minderheit und engen Beziehungen zum Iran. Malikis intensive Umwerbung sunnitischer Herrscher verfehlte nur im Falle Kuwaits nicht ihre Wirkung. Nach versöhnlichen Gesten Bagdads gibt der Emir erstmals seit der irakischen Invasion seines Scheichtums dem mächtigen nördlichen Nachbarn die Ehre.
Die tiefe Spaltung der Liga zeigt sich in der Ratlosigkeit gegenüber der Tragödie des vom Gipfel ausgeschlossenen Syrien: Keine erneuten Vermittlungsbemühungen, keine Einigung über Hilfe an die Opposition, kein Ruf nach Rücktritt Assads, lediglich volle Unterstützung für einen Friedensplan des Sonderbeauftragten Kofi Annans. Ein vergrämter Assad stellte längst klar, dass Vorschläge aus Bagdad in Damaskus kein Gehör fänden.

Mittwoch, 28. März 2012

Arabischer Gipfel: Neue Führer im neuen Irak

Warum das Treffen der arabischen Führer inmitten regionalpolitischer Turbulenzen diesmal besondere Bedeutung in mehrfacher Hinsicht besitzt

von Birgit Cerha

Seit Tagen ist Bagdad lahmgelegt. Sogar die Börse wurde geschlossen und ab heute, Donnerstag, ist auch eine Sperre des Flughafens für Zivilverkehr geplant. Teile der Stadt erstrahlen in neuem Glanz. Mindestens 500 Mio. Dollar ließ sich die irakische Führung die Restauration von Luxushotels und anderen repräsentativen Etablissements kosten, während die Stadtverwaltung laut New York Times Blumen und Bäume im Wert von einer Mio. Dollar pflanzte. Denn wenn heute, Donnerstag die Führer der 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga oder deren Repräsentanten am Tigris zum dritten Mal in der Geschichte der Arabischen Liga zu einem Gipfel zusammentreten, will sich der Irak nach Saddam Hussein als ein erneut aufstrebendes Land präsentieren, stabil und stark, um wieder eine regionale Führungsrolle zu übernehmen. Der Krieg ist vorbei, das Leben hat sich normalisiert, die politische Führung ist entschlossen und regionalpolitisch verantwortungsbewußt: so lautet die Botschaft, die Iraks Premier Nuri al Maliki den arabischen Brüdern vermitteln will. Sie sollen das Zweistromland erneut in ihre Herzen schließen. Zweifellos verdient der Bagdader Gipfel den oft mißbrauchten Anspruch „historisch“ zu sein. Denn er unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den meist durch gähnende Langeweile gequälten Routinetreffen arabischer Führer, die sich traditionell weder zu politischer Initiative, noch neuen Strategien durchrangen.
Zunächst sei angemerkt, dass die Bagdader Führung keine Kosten scheute, um die teilweise bitter vergrämten Brüder aus den anderen arabischen Ländern vollends zu versöhnen. Die Herrscher bzw. deren Repräsentanten werden nur wenig, wenn überhaupt etwas davon mitbekommen, dass sie zwar in höchstem Luxus absteigen, doch die Bevölkerung nach Jahren von Kriegen, Sanktionen und Bürgerkrieg immer noch nicht ausreichend mit Strom und sauberen Wasser, sowie einer auch nur halbwegs angemessenen Gesundheitsversorgung gesegnet sind. Den Krieg und dessen Folgen hat das Volk noch lange nicht überwinden, ja nicht einmal den Terror, wie koordinierte Anschläge (vermutlich von Al-Kaida nahestehenden Extremisten) in mehreren Landesteilen in den vergangenen Wochen bewiesen.
Die Sorge um ihre Sicherheit, aber auch Ärger über dies betont anti-sunnitische Politik des Schiitenpremiers Maliki werden denn auch eine starke Beteiligung der Staatschefs verhindern. So wird nicht einmal die Hälfte der Mitgliedsstaaten durch ihre Präsidenten und Monarchen vertreten sein und jene, die sich dennoch nach Bagdad wagen, werden wohl in wenigen Stunden wieder abreisen. Ob der neue Irak damit seine Reintegration in den Schoß der arabischen Welt schaffen kann, ist höchst fraglich.
Zentrales Thema des Gipfels ist die Syrien-Krise und der von Präsident Assad Dienstag gebilligte Plan des Sondergesandten der UNO und der Arabischen Liga, Kofi Annans für einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen mit der Opposition. Assad allerdings stellte Mittwoch klar, dass er jede Initiative der Liga zurückweisen werde, nachdem die Organisation die Mitgliedschaft Syriens suspendiert hatte. Dennoch dürfte die Bagdader Konferenz nach Aussagen des irakischen Außenminister Hoshiyar Zebari nicht offen nach Assads Rücktritt rufen.

Neben Syrien steht die Sorge insbesondere der Golfstaaten und Jordaniens über den expandierenden Iran im Mittelpunkt des Gipfels. Dabei geht es u.a. darum, den Irak unter Maliki aus dem starken Einflußkreis der „Islamischen Republik“ zu ziehen. Maliki hatte in den vergangenen Wochen intensive Annäherungsversuche gestartet, so etwa mit Saudi-Arabien einen Austausch von Gefangenen ausgehandelt, nach dem unzählige saudische Al-Kaida Terroristen in die Heimat zurückgeschickt werden dürften, seit der irakischen Invasion 1990 offene Entschädigungszahlungen an Kuwait zugesagt, wie den Beginn von Verhandlungen über Grenzkonflikte. Doch nur wenn die Bagdader Regierung auf Distanz zu dem im Irak heute dominierenden Iran geht, kann es den Irakern gelingen, das Mißtrauen ihrer mächtigen arabisch-sunnitischen Brüder zu überwinden. „Wenn der Irak zu uns zurückkehrt, dann wird er uns bereit finden, ihn zu umarmen“, umreißt Anwar Eshki, saudischer Analyst und ehemaliger Regierungsberater die Haltung des Königreiches, das nicht durch den Monarchen in Bagdad vertreten ist.
Der Gipfel findet auch an einem entscheidenden Wendepunkt der Arabischen Liga statt. Es ist der erste seit Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ und jene Staatschefs, die diese Treffen traditionell dominiert hatten, fehlend diesmal, allen voran, der gestürzte Ägypter Mubarak und der schwer bedrängte Syrer Assad. Es ist nur vier Jahre her, dass der Libyer Gadafi bei einem Gipfeltreffen seine Amtskollegen warnte, sie könnte das Schicksal des exekutierten Irakers Saddam Hussein ereilen. Die höchsten Delegierten brachen damals in lautes Gelächter aus. Fünf von ihnen fehlen nun in Bagdad. Hier werden zum erstenmal vom Volk gewählte islamistische Repräsentanten neben alteingesessenen arabischen Führern sitzen und der seit Jahrzehnten von einem säkularen arabischen Nationalismus geprägten Organisation einen zunehmend einen neuen Stempel aufdrücken. Die Liga aber ist tief gespalten, zwischen autokratischen Führern die die Freiheitssehnsüchte ihrer Völker in Panik versetzt, und neue durch den Volkswillen an die Macht gespülte Politiker. Vorerst haben sich reformunwillige Autokraten und erbitterten Iran-Gegner unter Führung Saudi-Arabiens mit dem kleinen finanzkräftigen Katar durchgesetzt und durch ihre Entscheidung, den Nato-Einsatz gegen Gadafi zu unterstützen und Assads Sturz voranzutreiben der Liga zu ungewohnter Aktivität verholfen. Doch dass diese Herrscher und deren Politik den „Arabischen Frühling“ zu neuer Blüte verhilft, erscheint höchst fraglich.

Montag, 26. März 2012

Syriens Opposition ringt um einen Nationalpakt

Tief zersplitterte Gegner des Assad Regimes suchen eine gemeinsame Vision für ein „neues Syrien“ im Vorfeld der internationalen“ Konferenz der Freunde Syriens“
(Bild:Burhan Ghalioun)

von Birgit Cerha

Um internationale Frustration über die tief zersplitterte und orientierungslose syrische Opposition zu überwinden, begannen Gegner des Assad-Regimes unter Führung des „Syrischen Nationalrates“ (SNR) Montag auf Drängen der Türkei und der Arabischen Liga in Istanbul eine zweitägige Konferenz. Die Delegierten haben sich ein hohes Ziel gesetzt: einen „Nationalpakt für ein Neues Syrien“ zu entwerfen, in dem sich die Opposition auf gemeinsame Ziele einigt, den Sturz der Diktatur und der Errichtung eines „pluralistischen, zivilen und demokratischen Staates“. Die Zerstrittenheit der Gegner Assads blockiert seit Monaten internationale Unterstützung und die Entscheidung darüber, ob dem Morden des Damaszener Regimes mit militärischen Mitteln Einhalt geboten werden kann und soll. Die Frage, ob hier nicht vielleicht radikalen Kräften der Weg zur Macht in Syrien geöffnet werde und das Land damit in eine noch größere Katastrophe schlittern könnte, bleibt bis heute unbeantwortet.
Der SNR hat es unter Führung des im Pariser Exil lebenden Politologie-Professor s Burhan Ghalioun geschafft, von den USA, europäischen und arabischen Staaten als Vertretung der syrischen Opposition anerkannt zu werden. Doch er verlor weitgehend an Glaubwürdigkeit, als sich immer mehr Oppositionelle in Protest gegen die autoritäre Führung Ghaliouns distanzierten. Zuletzt kehrten fünf prominente Mitglieder dem Rat den Rücken, darunter Haitham al-Maleh und Kamal al-Labwani, zwei der in Syrien bekanntesten und feurigsten Dissidenten. Der SNR stützt sich damit fast nur auf Exil-Syrer , die in ihrer Heimat wenig Rückhalt besitzen. Maleh begründet seine Entscheidung mit der „undemokratischen“ Haltung Ghaliouns. „Die Gruppe ist kein Rat. Sie wird wie die (herrschende syrische) Baath-Partei geführt.“ Die Chance, die Kritiker wieder in den Rat zu integrieren, ist gering.

Die interne wie auch ein Teil der externen Opposition kritisieren Ghaliouns Versagen, den Westen für eine Invasion zum Sturz Assads gewonnen zu haben. Mit zunehmender Brutalität der staatlichen Sicherheitskräfte wurde der Ruf nach bewaffneter Rebellion immer lauter. Als es in jüngster Zeit dem Regime mehr und mehr gelang von seinen Gegnern eroberte Territorien etwa in Homs oder Idlib zurück zu gewinnen, setzte sich in Oppositionskreisen die Überzeugung durch, dass nur entschlossene internationale Militärhilfe dem Blutbad ein Ende setzen könne.

Der SNR hatte sich bisher geweigert, der in der Türkei stationierten, aus Deserteuren zusammengesetzten „Freien syrischen Armee“ (FSA) Waffen, Geld und logistische Unterstützung zu geben. Die FSA ist eine lose Koalition kleiner bewaffneter Gruppen ohne straffer Organisation und Führung. Die Entscheidung des FSA-Kommandanten Riad al-Asaad, mit seinem ebenfalls desertierten Rivalen General Mustafa Ahmad al-Sheikh einen gemeinsamen Militärrat zu bilden, dem alle desertierten Offiziere angehören sollen, soll vor allem internationales Vertrauen in diese militanten Rebellen wecken, die zunehmend unter Waffen- und Munitionsmangel leiden. Man garantiere, verspricht General Ahmad al-Sheikh, dass keine Waffen „in die falschen Hände“ gelangen.
Eine Alternative für den SNR als Repräsentant des syrischen Volkes zeichnet sich nicht ab. Abgesehen von der Spaltung zwischen interner und externer Opposition wird der SNR auch durch ideologische Meinungsverschiedenheiten geschwächt. Zudem gelang es dem Rat fast gar nicht, die Minderheiten Syriens – Kurden, Christen, Drusen, aber auch alewitische Gegner des Regimes – für sich zu gewinnen. Diese Bevölkerungsgruppen beunruhigen ebenso wie säkulare syrische Sunniten die Dominaz der Moslembruderschaft im Rat. Seit ihrem fehlgeschlagenen Aufstand gegen das Assad-Regime Anfang der 1980er Jahre, der mit einem ungeheuerlichen Blutbad in Hama endete, gelten die Moslembrüder als die größten Feinde der Damaszener Herrscher. Allein auf die Mitgliedschaft in der Organisation steht die Todesstrafe. Doch in ihrem türkischen und saudischen Exil haben sich die „Brüder“ gemäßigt, stehen offenbar auch stark unter Einfluß der regierenden türkischen „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“.

Ängstlich besorgt einen misstrauischen Westen zur Unterstützung der syrischen Opposition zu gewinnen bekannte sich Riyadh Shaqfeh, Geistlicher Führer der Moslembruderschaft, Sonntag in Istanbul demonstrativ zu einem „pluralistischen demokratischen Staat“ in Syrien, in dem eine Frau ebenso Präsident werden könne, wie ein Christ, solange sie die Mehrheit der Wählerstimmen gewännen.
Völlig ungeklärt bleibt hingegen die Frage, inwieweit die Gegner Assads von radikalen Nicht-Syrern, Al-Kaida Aktivisten oder einfach Kriminellen unterwandert sind.

Montag, 12. März 2012

SYRIEN: „Szenen des Horrors“ in Idlib

Augenzeugenbericht von „Al Jezira“ in der unter massiver Attacke stehenden nordwest-syrischen Stadt Idlib: „Inhuman und barbarisch“

von Birgit Cerha

„Syrien stirbt. Es ist ein blutiges Geschenk an den schweigenden Westen.“ So betitelt ein syrischer Aktivist in „Youtube“ gestellte, schockierende Aufnahmen vom Leiden der von den Schergen des syrischen Regimes gequälten Zivilbevölkerung. Nach der äußerst brutalen Eroberung von Baba Amr, einem Rebellen-Stadtviertel in Homs, wendet sich die Armee Baschar el Assads nun mit voller Kraft dem nordwest-syrischen Grenzgebiet zu, der an die Türkei angrenzenden Provinz Idlib, wo sich die Opposition gegen das alawitische Regime seit vielen Monaten konzentriert.
Vor einigen Tagen zogen rund 50 Panzer der syrischen Armee einen Ring um die etwa 150.000 Einwohner zählende Stadt Idlib. Eine massive Attacke begann am Wochenende. Ein Team des arabischen Fernsehsenders Al-Jezira hielt sich als einzige internationale Fernsehstation zu diesem Zeitpunkt in der Stadt auf und sendete nun einen zutiefst schockierenden Bericht. Danach befürchten die Bewohner der Provinz noch weit schlimmere Massaker als sie Baba Amr durchlitten hatte.
„Die Realität ist schauerlich“, so Al Jezira. „Tagelang beobachteten die Einwohner, wie die Armee den Ring um die ganze Stadt immer enger zog“, anders als in Homs, wo die Menschen in einigen Stadtvierteln zu Assad stehen und in einigen rebellierten. In Idlib hat sich die Bevölkerung geschlossen gegen das Regime erhoben, fordert Freiheit, ihre eigene Verwaltung und Demokratie. Hier betrachtet das Regime alle als Feinde. „Die Regierungsmaschinerie rollte in die Stadt“, berichtet Al-Jezira, „mit schweren Geschützen und bombardiert mit Panzergranaten, Artillerie, Maschinengewehren von Schützenp0anzern“ wahllos Straßenzüge, Plätze, Geschäfte, Häuser, Menschen. Jeder kann getroffen werden, die Attacken sind unvorhersehbar. „Niemand weiß, wo das nächste Geschütz explodiert. Die Menschen sind total terrorisiert, laufen in alle Richtungen. Es sind Szenen des Horrors, den die internationale Gemeinschaft hätte vorhersehen und vielleicht verhindern können.“

Die Korrespondentin klagt über das gravierende Ungleichgewicht der Kräfte, die „Söhne der Stadt“, die mit ein paar veralteten Gewehren „ihre Heime und Familien“ gegen eine übermächtige relativ modern ausgerüstete Armee zu verteidigen suchen. Tatsächlich haben sich junge Männer der Region schon seit Monaten wohl vor allem zum Schutz gegen solche Attacken auf dem Schwarzmarkt schlecht und recht mit diversen Waffen ausgestattet. Doch die Region ist – im Gegensatz etwa zu den einstigen Rebellenhochburgen in Libyen – bitter arm und die Schwarzmarktpreise für die heißbegehrten Tötungsmaschinerien schnellten in die Höhe. Eine Kalaschnikov kostet heute 1.300, eine einzige Kugel drei Dollar. Der Bevölkerung fehlt dafür das Kapital. Nach dem Bericht eines in die Türkei geflüchteten Offiziers hatte ein saudischer Millionär jüngst Rebellen in der Region 10.000 Dollar für den Kauf von Waffen gespendet. „Doch die Menschen brauchten das Geld, um sich vor Hunger zu schützen“, betonte der Deserteur, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen lieber verschweigt.

Nach Aussagen von „Al Jezira“ kämpfen in Idlib ausschließlich Bürger der Stadt und der Provinz, um ihre Familien zu schützen. „Hier gibt es keine ausländischen Bewaffneten“, keine Terroristen, wie das Regime zu behaupten liebt. Vielmehr „lehnten die Kämpfer vergangenen Samstag von außen angebotene Hilfe ab“, wohl in der vergeblichen Hoffnung, das Assad-Regime nicht noch mehr zu provozieren.
Assad räumt der Region Idlib besondere strategische Bedeutung ein, da hier Rebellen der „Freien syrischen Armee“ , von der Türkei unterstützt, Stützpunkte errichtet haben. Fällt dieses Grenzgebiet in Rebellenhand, könnte es bewaffneten Oppositionellen, ähnlich wie das libysche Benghazi, eine vom Ausland unterstütze Basis für wirkungsvollere Attacken gegen die syrischen Sicherheitskräfte bieten. Syriens Grenzgebiete zur Türkei und zum Libanon voll unter Kontrolle zu bekommen, zählt zu den wichtigsten strategischen Prioritäten Assads.
„Es ist inhuman und bestialisch“ was in Idlib geschehe, sagt die Reporterin. „Das Regime fühlt sich unantastbar und die Menschen in Idlib, werden sich fragen – wenn sie überhaupt in diesem Horror noch den Luxus zum Nachdenken finden – welche Werte die internationale Gemeinschaft noch verteidigt, wenn sie sie so verwundbar, so wehrlos einem gnadenlosen Regime ausliefern.“ Und viele fragen konsterniert: „Kann uns denn wirklich niemand helfen?“

SYRIEN: Keine Friedenschance für Syrien

Immer neue Massaker steigern dramatisch das Dilemma der internationalen Gemeinschaft, der gequälten Bevölkerung und Assads Gegnern beizustehen

von Birgit Cerha

Und wieder flüchteten Montag Hunderte Familien aus der durch wochenlange brutale Bombardements terrorisierten zentralsyrischen Stadt Homs. Berichte über ein erneutes Massaker an 47 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, versetzen die Menschen in Panik. Aussenminister des Weltsicherheitsrates befassen sich Montag mit Syrien, vor allem geht es um die ungelöste Frage, wenigstens internationalen Hilfsorganisationen ungehinderten Zugang zu Verwundeten, Obdachlosen und Bedürftigen zu verschaffen, geschweige denn, ein Ende des Mordens, das bereits mehr als 7000 Opfer gefordert hat, zu erreichen. Bis heute konnte der Weltsicherheitsrat nicht einmal eine Resolution in dieser Frage verabschieden, da Rußland und China mit Veto drohten.Und wieder flüchteten Montag Hunderte Familien aus der durch wochenlange brutale Bombardements terrorisierten zentralsyrischen Stadt Homs. Berichte über ein erneutes Massaker an 47 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, versetzen die Menschen in Panik. Aussenminister des Weltsicherheitsrates befassen sich Montag mit Syrien, vor allem geht es um die ungelöste Frage, wenigstens internationalen Hilfsorganisationen ungehinderten Zugang zu Verwundeten, Obdachlosen und Bedürftigen zu verschaffen, geschweige denn, ein Ende des Mordens, das bereits mehr als 7000 Opfer gefordert hat, zu erreichen. Bis heute konnte der Weltsicherheitsrat nicht einmal eine Resolution in dieser Frage verabschieden, da Rußland und China mit Veto drohten.

Freitag, 9. März 2012

Ahmadinedschad rüstet zu neuer Runde im Machtkampf

Wer waren die eigentlichen Sieger der Parlamentswahlen im Iran? – Seine „taktischen Künste“ geben dem Präsidenten noch neue Chancen

von Birgit Cerha

Allzu voreilig haben westliche Medien in den vergangenen Tagen Irans Präsidenten Ahmadinedschad abgeschrieben, nachdem das dem „Geistlichen Führer“ Khamenei treu ergebene politische Establishment sehr rasch die Parlamentswahlen vom 2. März als Triumph gefeiert hatte. Es dauerte allerdings Tage, bis das amtliche Endergebnis veröffentlicht wurde, und auch dieses gibt keine klare Einsicht in die Kräfteverhältnisse des neuen Parlaments (Madschlis). Dafür gibt es mehrere Gründe. Im politischen System der „Islamischen Republik“ besitzen Parteien eine höchst geringe Bedeutung. Weit wichtiger sind politische Bewegungen, die sich immer wieder – je nach aktueller Situation und Zweckmäßigkeit - neu bilden. Die Bewegungen, die sich diesmal der Wahl gestellt hatten, gab es im vorangegangenen Parlament nicht, was die Einschätzung einer Popularitätsentwicklung äußerst schwierig macht. Und zudem verwischen sich traditionell die Fronten zwischen den Gruppierungen, die auch im Laufe einer Legislaturperiode auseinanderfallen können. Außerdem, Zudem können mehr als 60 Sitze der 290-köpfigen Madschlis erst bei einer Nachwahl im April besetzt werden.
Besondere Bedeutung hatte Khamenei auf die Wahlbeteiligung gelegt, die seine schwer angeschlagene Legitimität – vor allem auch im Atomkonflikt mit der internationalen Gemeinschaft und bei den nun geplanten erneuten Verhandlungen stärken soll. Die offiziell angegebene Beteiligung von 64 Prozent läßt sich durch unabhängige Quellen nicht bestätigen. In Teheran macht in diesen Tagen der Witz die Runde: „Eines der Wunder der Islamischen Republik zeigt sich in den 85 Prozent der Bevölkerung, die von daheim verfolgen, wie 85 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen strömen.“ Viele Iraner, insbesondere Sympathisanten der oppositionellen „Grünen Bewegung“ halten die offizielle Wahlbeteiligung für weit übertrieben, insbesondere, da schon vor den Wahlen angekündigt wurde.
Ein Ergebnis dieser Wahlen steht jedoch fest: Dem Regime gelang es durch Drohung und Einschüchterung, die „Grüne Bewegung“ empfindlich zu spalten. Der Reformer, Ex-Präsident Mohammed Khatami löste selbst unter seinen Anhängern einen schweren Schock aus, als er aus der Oppositionsfront, die zu einem Wahlboykott aufgerufen hatte, ausbrach, seine Stimme abgab und Khamenei damit den Rücken stärkte. Über die sozialen Medien strömt bittere Kritik und Empörung über den „Verrat“ Khatamis an den Reformern und an seinen Prinzipien, denn keine der Vorbedingungen für seine Teilnahme an der Wahl – u.a. vor allem Freilassung der politischen Gefangenen, Presse- und Meinungsfreiheit etc – hatte das Regime erfüllt. Khatami, davon sind auch unabhängige Beobachter überzeugt, wollte nicht riskieren, dass Khamenei auch ihn – wie die anderen Führer der „Grünen Bewegung“, Moussawi und Karrubi, unter Hausarrest stellt und damit zur Bedeutungslosigkeit verdammt.
Freilich, auch die Konservativen sind gespalten – und zwar in nicht weniger als 13 Gruppen, einige für Ahmadinedschad und nach derzeitigem Stand möglicherweise die Mehrheit für Khamenei, doch keineswegs – wie vielfach berichtet – ein klarer Sieger. Wiewohl Khamenei strukturelle Vorteile besitzt, hat Ahmadinedschad hat noch einige Pfeile im Köcher. Es werden ihm gute Chancen eingeräumt, bei der Nachwahl im April seine Position zu stärken. Während eine Reihe prominenter Geistlicher sich durch Wahlboykott demonstrativ nicht hinter Khamenei stellte und einige andere einflußreiche Anhänger des „Geistlichen Führers“ ihr Mandat verloren, stellen nach derzeitigem Stand die „Unabhängigen“ mit 88 Sitzen die größte Gruppierung im neuen Parlament, während die weitgehend Khamenei treue „Einheitsfront“ 48 Mandate eroberte. Ahmadinedschad hat sich in den sieben Jahren seiner Amtszeit als kompromißloser Kämpfer erwiesen, der nicht einfach resigniert. Selbst Kritiker halten ihn für ein „taktisches Genie“, fähig immer wieder durch eine Mischung aus Populismus und Rafinesse Anhänger hinter sich zu scharen. Er könnte im neuen Parlament viele der Unabhängigen auf seine Seite ziehen.
Und schon bewies er erneut seine Entschlossenheit zum Kampf, indem er gegen den ausdrücklichen Willen des mächtigen „Wächterrates“ ein Komitee zur Überwachung der Verfassung gründete. Während das khamenei-treue Establishment seinen „heiligen“ Internetkrieg besonders auch gegen die Anhänger des Präsidenten richtet, wird sich Ahmadinedschad noch vor der ersten für Mai anberaumten Sitzung des neuen Parlaments in den Majlis wegen Amtsmißbrauch und Korruption verantworten müssen. Der Machtkampf geht in neuer Stärke weiter.

Dienstag, 6. März 2012

Syrien: Verliert Assad die Kontrolle über Aleppo?

Joshua Landis, amerikanischer Syrien-Experte, hat in seinem blog "Syria Comment", http://www.joshualandis.com/blog/ den Brief eines Freundes aus Aleppo veröffentlicht, den wir hier wegen seiner Bedeutung für die Entwicklungen in Syrien wiedergeben. Aleppo, Syriens zweitwichtigste Stadt und größtes Handels- und Geschäftszentrum ist seit vielen Monaten umringt von syrischen Sicherheitskräften, die für ein ruhiges und weitgehend normales Leben in der Stadt sorgten.
Aleppo ist ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerungsstruktur. Hier leben Sunniten, Alewiten, Christen, Kurden und andere Minderheiten seit langem friedlich zusammen, Die syrische Geschäftswelt, viele vermögende Sunniten darunter, stand lange treu zu Assad, weil sie ihm einen Garanten für Stabilität sahen, der die Voraussetzung für ein lukratives Geschäftsleben schaffte. Ähnlich ist die Situation im Zentrum von Damaskus. Kenner der syrischen Szene ist seit vielen Monaten klar, solange die Bevölkerung von Damaskus und Aleppo nicht gegen Assad rebelliert, besitzt das Regime eine Überlebenschance. Doch in Aleppo beginnt es - wie der Beitrag aus der Stadt zeigt, zu kriseln.

Landis leitet den Brief mit folgendem Satz ein: "On February 27, a number of local residents were killed by the military, setting off protests and violent confrontations with local security."


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Tuesday, March 6th, 2012

A friend from Aleppo wrote me over the weekend that he believes that the northern suburbs of Aleppo are falling out of government control. In particular, the poorer towns of Azaz, Hreitan, and Anadan, which are on the road to Turkey, have been taken over by opposition groups. On February 27, a number of local residents were killed by the military, setting off protests and violent confrontations with local security. He does not believe the regime’s end is imminent because the armed groups are not centrally organized. All the same, the migration of neighborhoods out of government control is unceasing. Although the government has retaken Homs, it is losing Aleppo and the broader North, an area that has long been fertile ground for Islamist currents.
He writes:

I just had a long conversation with friends and family in Aleppo. It may not be long before the city joins the revolution, I believe. My father could not travel by car to the border with Turkey. No driver dares take the roads north any longer. The drive to Turkey is only a half-hour. The working-class neighborhoods of Azaz, Hreitan and Anadan have largely fallen out of government control. Friends who own factories in the industrial regions outside of Aleppo complain that for a week now they have been unable to visit them. Lack of security, frequent anti-regime demonstrations and clashes between militants and the army make the excursion impossible.
I am a partner in one Aleppo factory that was attacked Sunday night (March 4). The attackers beat up the two night security guards and bound them. They then lifted the whole safe box and carried it out of the factory. Thankfully, the safe only contained syp 350,000 and not more. Also thankfully they did not burn the place down, as has happened to some Aleppo factory owners.
The fact that neighborhoods, such as Azaz, Hreitan and Anadan have fallen out of government control is significant because cars can no longer travel, even in daylight, to Turkey from Aleppo. The entire boarder area is becoming unsafe. This is much worse than Baba Amr or Khaldiye falling out of government control from the point of view of security because Turkey is the base for the Free Syrian Army, arms exports into Syria, and most opposition groups.
To make maters worse, the Syrian Pound has fallen to 83 to the dollar. This means that the net worth of every Syrian has fallen by over 70% since the beginning of the uprising. People do not have enough to eat. More than half the country is living on two dollars a day or less. Hunger and fear are spreading.
Even the middle and upper classes that live in the city centers are beginning to panic and look for a way out of the country. Plane flights to Lebanon from Aleppo are booked for the next month. The exodus has begun.
This is the first real breakdown of Aleppo control. My sister says law and order is deteriorating in the center of Aleppo as well. Armed elements are kidnapping folks for ransom, breaking into houses, and beating people up and stealing their jewelry and money. My wife’s relative, the Gharo family, was invaded in Aleppo today. A guy rang the intercom and said he was from the security service. He was buzzed in and went upstairs to their apartment. When the Gharos opened the door, a group of thugs went in, grabbed their young son and held a knife to his neck and demanded every valuable in the apartment. When they got their loot, they fled!
Government forces are doing their share of damage. Michael Aswad, a patriach of a prominent Christian family, was killed by the security service last week, apparently by accident when he didn’t stop the taxi he was in as he entered the security zone around his apartment. A high-ranking official lives in his apartment. His death has mortified upper-class Aleppines because he was killed in the city center.
The ability of the government to supply basic goods and services has crumbled. Now security is evaporating. More and more Syrians realize that the state is losing control and are taking maters into their own hands.

Sonntag, 4. März 2012

Ahmadinedschads Gegner auf Siegeskurs

Vorläufige Ergebnisse der Parlamentswahlen im Iran lassen auf eine Verschärfung des Machtkampfes schließen

von Birgit Cerha

„Press-TV“, der offizielle englischsprachige Fernsehsender der „Islamische Republik“, meldet Sonntag einen überwältigenden Sieg des Lagers der „Prinzipalisten“ bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Freitag. Allein diese Meldung illustriert die komplizierte und verwirrende politische Landschaft des „Gottesstaates“. Denn die Bedeutung des Begriffs „Prinzipalisten“ verändert sich immer wieder im Kontext der iranischen Politik. Präsident Ahmadinedschad bezeichnet sich selbst als „Prinzipalist“ und meint damit die volle Rückkehr zu den von Revolutionsführer Khomeini festgelegten Grundsätzen der „Islamischen Republik“. Die Gegner des Präsidenten hingegen verstehen unter „Prinzipalisten“ die ultrakonservativen Anhänger des „Geistlichen Führers“ Khamenei. Nach Auszählung von fast 90 Prozent der Stimmen dürften diese aber nach offiziellen Angaben das neue 290-köpfige Parlament dominieren.
Die „Vereinte Fundamentalisten-Front“, eine Dachorganisation gemäßigter und radikalerer Anhänger Khameneis, die ihre Feindseligkeit gegenüber Ahmadinedschad in den vergangenen Monaten eines sich stetig verschärfenden Machtkampfes im politischen Establishment offen bekundeten, konnte nach bisherigem Stand der Stimmenzählung die meisten Parlamentssitze erobern. An zweiter Stelle liegt die „Front der Stabilität der Islamischen Revolution“, die radikalste Kräfte des „Gottesstaates“ vereint, doch Ahmadinedschad gegenüber weit weniger kritisch eingestellt ist. Ahmadinedschads Fraktion liegt vorerst nur an dritter Stelle.

Der Präsident erlitt einen empfindlichen psychologischen Rückschlag durch die Niederlage seiner Schwerster Parvin in der Stadt Garmsar gegen einen konservativen Rivalen. Dies dürfte jedoch nach Einschätzung politischer Analytiker weniger an der Verwandtschaft mit dem Präsidenten liegen, als an der Tatsache, dass Frauen in dieser Hochburg der Konservativen kaum eine politische Chance besitzen.

Inwieweit das Wahlergebnis die Autorität des Präsidenten in seinem letzten Amtsjahr schwächen wird, läßt sich vorerst aber noch nicht absehen. Traditionell verschwimmen die Grenzen zwischen den rivalisierenden Fraktiionen im Iran. Zudem gelang es zahlreichen Kandidaten in insgesamt 30 Wahlkreisen, darunter auch Teheran, nicht, die für einen Einzug ins Parlament nötige 25-Prozent-Marke zu erreichen, was Stichwahlen nötig macht.

Vor allem in kleineren Städten und auf dem Land schnitten unabhängige Kandidaten und Frauen, die sich für die drückenden Probleme der Bevölkerung einsetzen, sehr gut ab. Politische Beobachter vermuten, dass viele der Unabhängigen mit dem Präsidenten sympathisieren oder ihn sogar voll unterstützen könnten, womit noch keineswegs klar ist, ob Ahmadinedschad wirklich eine so schwere Schlappe erlitt, wie offizielle iranische Medien es darzustellen versuchen.
Angehörige der oppositionellen Grünen Bewegung, die, wie andere Reformgruppen zu einem Wahlboykott aufgerufen hatten, bezweifeln auch, dass die Wahlbeteiligung tatsächlich, wie offiziell behauptet, bei 65 Prozent gelegen sei. Khamenei ging es bei diesen Wahlen vor allem auch darum, seine angeschlagene Legitimität im In- und Ausland durch eine hohe Wahlbeteiligung zu stärken.