Donnerstag, 31. März 2011

LIBYEN: Gadafis „Bote des Todes“

Libyens abgesprungener Außenminister Musa Kusa ist Träger der grausigsten Geheimnisse des Diktators

von Birgit Cerha

Er war gefürchtet in Libyen als der „Höchste Boss der Henker“ und man gab ihn den schaurigen Spitznamen „Bote des Todes“. Nur wenige glauben, dass die Gründe, die den libyschen Außenminister Musa Kusa, sich nun von Muammar Gadafi zu distanzieren und nach London zu flüchten, edel sein können. Die Achtung von Menschenleben zählte nicht zu den Vorzügen dieses in den USA ausgebildeten Soziologen, der lange als „die rechte Hand“ des Diktators gegolten hatte. Er ist der Prominenteste aus dem Kreis um Gadafi, der sich seit Beginn der Rebellion abgesetzt hat. Seine Entscheidung nährt die Hoffnung der Gegner des Diktators, dass das Regime von innen auseinander bricht.
Zum erstenmal trat Kusa ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, als er kurz nach seiner Ernennung zum libyschen Missionschef in London 1979 nicht nur offen seine Bewunderung für die irischen Terroristen der IRA bekundete, sondern in einem Interview mit der Londoner Times im Namen des „Libyschen Volksbüros“ die Ermordung von zwei libyschen Oppositionellen auf britischem Boden ankündigte. Die „Revolutionskomitees“ hätten dies beschlossen und „ich stimme der Entscheidung zu“, da diese Leute „gegen unsere Revolution“ gearbeitet hätten. Kusa wurde darauf hin zur „persona non grata“ erklärt. Zahlreiche libysche Dissidenten, darunter auch ein BBC-Journalist, wurden in den 80er Jahren in England und anderen europäischen Staaten ermordet und Kusa dürfte dafür weitgehend die Verantwortung tragen. Denn nach seiner Rückkehr nach Libyen übernahm er die Leitung des Auslandsgeheimdienstes, der für die Unterstützung von Guerillagruppen der Dritten Welt – ein besonderes Anliegen Gadafis – und zahlreicher Terrororganisationen verantwortlich war und den er 16 Jahre lang leitete. Er trug lange die Hauptverantwortung für Exekutionen und Folterungen an politischen Gegnern, insbesondere aus Ost-Libyen.

Kusa gilt auch als der „Vater von Lockerbie“, dem schlimmsten Terrorakt auf britischem Boden, bei dem durch eine Bombe in einer Pan Am-Maschine, die über der schottischen Stadt Lockerbie 1988 explodierte, 270 Menschen ums Leben kamen. Ebenso soll er der Drahtzieher eines Anschlags auf ein französisches Passierflugzeug, UTA 772 gewesen sein, das 1989 über Niger abstürzte und 170 Menschen das Leben kostete.

Später erwies sich Kusa als kluger Diplomat und äußerst geschickter Unterhändler. So war er es gewesen, der nach Jahrzehnten der Isolation die erneute Integration Libyens in die internationale Gemeinschaft leitete, in engen Verhandlungen mit den USA Gadafis Verzicht auf ein Programm zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen bekräftigte, eine Entscheidung, die schließlich zur Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen Libyen führte. Ebenso leitete Kusa Verhandlungen für Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe an die Opfer von Lockerbie und des UTA-Anschlags, sowie für die Überstellung des wegen des Lockerbie-Attentats verurteilten Libyer Abdelbaset Ali Mohamed al-Megrahi aus einem schottischen Gefängnis nach Libyen im August 2009. Kusa wurde wegen der Planung von Terrorakten im Westen aber nie formell angeklagt.

Lange einer der wichtigsten Vertrauten Gadafis, soll der Diktator den Außenminister, jüngst jedoch aus dem innersten Kreis seines Regimes ausgestoßen haben. Der BBC-Journalist John Simpson, der Kusa getroffen hatte, ist davon überzeugt, dass sein Stern schon länger verblasst ist. So habe der Diktator dem Lockerbie-Deal misstraut, ihn für schlecht gehalten und nur widerwillig den libyschen Part erfüllt. Auch mit einem von Gadafis Söhnen soll es zu einem Streit mit Kusa gekommen sein. Anzeichen von schweren Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Diktator und seinem Außenminister verstärkten sich, nachdem der Weltsicherheitsrat vor zwei Wochen Militäraktionen gegen Gadafis Streitkräfte gebilligt hatte. Gadafi schwor unmittelbar vor einer Großoffensive auf Benghazi den Rebellen „keine Gnade“ zu schenken, während Kusa wenig später einen Waffenstillstand verkündete. Nach Augenzeugenberichten zitterten seine Hände, als er von der Notwendigkeit sprach, Libyens Wirtschaft, soziale Infrastruktur und die Zivilbevölkerung zu schützen.

Dass das Volk ihn hasst, wie Gadafi, kann für Kusa kein Geheimnis sein, ebenso wenig kann er sich sicher sein, dass der zunehmend bedrängte Diktator sich nicht gewaltsam auch gegen ihn wendet.

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Mittwoch, 30. März 2011

SYRIEN: Assad beschwört „Einheit der Syrer“

Warnung vor „ausländischer Verschwörung“ und keine Rede von erhoffter Aufhebung der Notstandsgesetze

von Birgit Cerha

Ein dicht besetztes Parlament in Damaskus lieferte Bashar el Assad Mittwoch emphatischen Applaus, als Syriens Präsident die erste Rede an die Nation seit Beginn der Unruhen vor zwei Wochen begann. Sie sollte „historisch“ werden, schicksalhaft für den Präsidenten und für Syrien, hatten politische Kreise in Damaskus aufgrund von Andeutungen durch Regimevertreter erwartet. Doch jene, die sich die sofortige Aufhebung der fast 50-jährigen Notstandsgesetze erhofft hatten, wurden bitter enttäuscht.
Unter den Rufen der Abgeordneten „wir wollen Bashar als Präsident“ bezichtigte der durch eine anschwellende Welle von Demonstrationen schwer bedrängte Herrscher „ausländische“ Elemente der Verschwörung gegen das Regime. Deraa, die von sunnitischen Stämmen bewohnte Stadt im Süden des Landes, wo vor zwei Wochen Proteste und deren blutige Niederschlagung mit mehr als 60 Toten begonnen hatten, sei eine „Grenzprovinz“, eine „Trutzburg gegen den israelischen Feind“, der – so implizierte Assad – Syriens Stabilität zu untergraben trachte. Hingegen hatten israelische Politiker und Kommentatoren in den vergangenen Tagen tief besorgt über die Ereignisse im Nachbarland Assad als ihren „liebsten“ arabischen Diktator bezeichnet, dessen Sturz unabsehbare Folgen haben könnte.

Während Assad nach traditioneller Methode arabischer Despoten (der gestürzte ägyptische tat es ebenso, wie der libysche, jemenitische und der König Bahrains) die Ursache für die Unruhe äußeren Kräften zuschob, gestand er immerhin die Berechtigung einiger Reformforderungen der Demonstranten ein, die sich jedoch von subversiven äußeren Kräften hätten manipulieren lassen.

Es war ein sorgfältig inszenierter Auftritt, bei dem sich Assad in der wohl kritischsten Stunde seiner elfjährigen Präsidentschaft als unerschütterlich stark zu präsentieren suchte, nicht zu beeindrucken durch die Turbulenzen der Region, sowie diplomatischen Druck von außen. Während seiner relativ kurzen Rede flimmerten über die Bildschirme Szenen von Massendemonstrationen, bei denen Hunderttausende in mehreren syrischen Städten Dienstag „Gott, Syrien und nur Bashar“ gebrüllt hatten. Dazu Assads Korrktur: „Gott Syrien und nur das Volk.“ So bekräftigte Assad seine Loyalität zur syrischen Bevölkerung und die Entschlossenheit zum Dialog über alle Arten von Reformen. Er gestand ein, dass Reformversprechungen, die er bereits 2005 gemacht habe, aufgrund äußerer Entwicklungen (Irak- und Libanon-Krise insbesondere) aufgeschoben werden mussten, jetzt aber energisch in die Tat gesetzt würden. Nur einmal erwähnte er allerdings kurz die Notstandsgesetze, über deren Aufhebung beraten würde.

Diese Gesetze aus dem Jahr 1963 bilden die Basis für die syrische Diktatur. Ihre abrupte Aufhebung könnte das Schicksal des Regimes besiegeln. Wenn er, wie die Demokrastie-Aktivisten fordern, Rede- und Versammlungsfreiheit gestattet und die zahllosen mächtigen Geheimdienste auflöst, wird der Ruf nach Freiheit, einem Ende der systemimmanenten Korruption dramatisch anschwellen. Wenn er politischen Pluralismus zulässt, werden die Syrer bei den vier für dieses Jahr geplanten nationalen und regionalen Wahlen das Machtmonopol der Baath brechen. Starke Kräfte im Regime wehren sich deshalb entschieden gegen solche Schritte.

Assads Rede stieß Mittwoch auf gegensätzliche Reaktionen. Während unabhängige Syrer auf der einen Seite sich in ihrer Hoffnung, dieser junge Präsident werde das Land tatsächlich mehr und mehr liberalisieren, bestärkt fühlen und zugleich die enormen Hindernisse, auf die er stößt, anerkennen, zeigen sich andere, insbesondere in Deraa bitter enttäuscht und zutiefst empört. „Er sprach nicht über Syrien, über irgend ein anderes Land“, wetterte ein durch die Zahl der Toten und schwer Verwundeten aufgebrachter Arzt in der Stadt. Assads Versprechen, dass die Sicherheitskräfte auf keine Demonstranten mehr schießen würden, reicht den schockierten Menschen nicht. “Wir werden weiter protestieren“, betonte der Mediziner, der seinen Namen nicht zu nennen wagt.

Die Facebook-Bewegung „Revolution 2011“, die die Serie von Demonstrationen vom Zaum gebrochen hatte, rief für kommenden Freitag alle „freien Menschen Syriens“ zu Sitzstreiks im ganzen Land auf. In welchem Ausmaß dieser Appell befolgt und welche Reaktion der Sicherheitskräfte er auslösen wird, sollte Aufschluss darüber geben, ob die Syrer Assad noch eine Gnadenfrist für die Durchsetzung von Reformen setzen wollen und können.

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Dienstag, 29. März 2011

Syrer warten auf entscheidende Reformen

Eine neue Regierung soll Assads Ernsthaftigkeit beweisen – Hunderttausende demonstrieren für den Präsidenten

von Birgit Cerha

Vor dem Hintergrund von Massendemonstrationen zur Unterstützung von Präsident Bashar el-Assad wartet Syrien auf die von einem hohen Vertreter des Regimes zugesagte Bildung einer neuen Regierung. Die Regierung trat Dienstag zurück. Assad erfüllte damit eine wichtige Forderung der der Demokratie-Bewegung, die zunehmend die Barriere der Furcht durchstoßt und dafür große Opfer in Kauf nimmt. Mehr als 130 Menschen wurden in den vergangenen zehn Tagen nach Angaben von Aktivisten bei brutalen Attacken der Sicherheitskräfte auf friedliche Demonstrationen getötet. Und dies, obwohl Assad Gewaltlosigkeit des Regimes zugesagt hatte.
Proteste gegen das Regime hatten sich in den vergangenen Tagen vom Süden, wo sie begonnen hatten, auf Damaskus, die wichtige Hafenstadt Latakia und andere Landesteile ausgebreitet. Doch, vom Regime dazu aufgerufen, brüllten Dienstag Hunderttausende Syrer in den Straßen von Damaskus und anderen Städten, Bilder des Präsidenten in die Höhe schwenkend: „Die Menschen wollen Bashar“ und „Kein Konflikt zwischen den Religionsgruppen, kein Bürgerkrieg.“ Ungeachtet aller Repressionen hegen viele Syrer immer noch Hoffnung, dass Bashar das Land endlich reformieren werde.

Blutige Zusammenstöße in Latakia hatten am Wochenende die latente Angst vor gewaltsamen Konflikten in diesem Land heraufbeschworen, wo die alawitische Minderheit von kaum zwölf Prozent mit Härte und Brutalität seit fast fünf Jahrzehnten über die sunnitische Mehrheit herrscht. Das Damoklesschwert einer Wiederholung von Hama, wo das Regime 1981 einen Aufstand der (sunnitischen) Moslembrüder barbarisch niederschlug (an die 20.000 Menschen starben) hängt seither über der Bevölkerung. Brutale Attacken von Sicherheitskräften auf friedliche Demonstranten in der südlichen Stadt Deraa, die in der Vorwoche mehr als hundert Tote gefordert hatten, zerstreuten unter der Bevölkerung jede Zweifel, dass das Regime weiterhin seine Macht mit allen Mitteln verteidigen will.

Verzweifelt bemüht, einen Ausweg aus der schwersten Krise seiner elfjährigen Amtszeit zu finden, erscheint Bashar nun entschlossen lange angekündigte Reformen endlich in die Tat zu setzen und weiterzuführen. Das Parlament soll noch Dienstag abend ein Paket billigen und eine neue Regierung soll den Neuanfang besiegeln. Als Signal der tatsächlichen Veränderung wurden nun 260 politische Gefangene aus dem berüchtigten Saydnaya Gefängnis nördlich von Damaskus – überwiegend Islamisten und 14 Kurden – freigelassen – das größte bisherige Zugeständnis an die Demokratie-Aktivisten, die Freiheit für alle – Tausende – politische Häftlinge fordern.

Mit Hochspannung warten die Syrer, ob Bashar in einer bereits angekündigten Rede die Aufhebung der fast 50-jährigen Notstandsgesetze verkündet, die den autokratischen Charakter der Assad-Dynastie zementierten, Meinungs- und Versammlungsfreiheit verhindern und willkürliche Verhaftungen , wie die Überwachung persönlicher Kommunikation ermöglichen.

Das Verhalten des Regimes in den vergangenen zehn Tagen – aktive und verbale Konzessionen an die Demonstranten durch den Präsidenten, bei gleichzeitig blutiger Niederschlagung von Demonstrationen lässt auf schwere Auseinandersetzungen zwischen Assad und seinen Beratern und den Hardlinern an der Spitze des Staates schließen. Eine starke Gruppe im Regime ist davon überzeugt, dass auch nur die kleinsten Lockerungen den Sturz der alawitischen Herrschaft und vielleicht blutige Rache der so lange von der Macht ferngehaltenen sunnitischen Mehrheit einleiten werde. Gegen diese Hardliner konnte sich Bashar, der immer wieder Liberalisierungen versprochen hatte, bisher nicht durchsetzen. Wenn es ihm diesmal gelingt, besitzt er die Chance, sich längerfristig die Macht zu erhalten.

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Freitag, 25. März 2011

SYRIEN: „Eine Bombe, zur Explosion bereit“

Ungeachtet Versprechen der Gewaltlosigkeit, attackieren syrische Sicherheitskräfte wieder friedliche Demonstranten – Ein Test für Assads Glaubwürdigkeit

von Birgit Cerha

Die Demonstrationen, zu denen syrische Aktivisten für Freitag aufgerufen hatten, waren der erste Test für die Glaubwürdigkeit der Reformversprechen Präsident Assads. Und er bestand ihn nicht. In großer Sorge vor einer dramatischen Ausweitung der zunächst auf die südsyrische Stadt Deraa konzentrierten Unruhen auf das ganze Land ließ Assad Donnerstag abend durch seine Beraterin Butahaina Shaaban weitreichende Reformen verkünden. Dazu zählt vorrangig Gewaltlosigkeit. Kein einziger Schuss dürfe auf friedliche Demonstranten abgefeuert werden, beteuerte die Politikerin.
Ein Blutbad in Deraa, wo Zehntausende Menschen seit einer Woche für die Durchsetzung von Reformen demonstriertn, forderte möglicherweise mehr als hundert Tote. Unzählige Menschen sind noch vermisst. Nach Angaben des Dissidenten Ammar Abdulhamid hatte Assad Einheiten seiner für den Schutz des Regimes verantwortlichen Republikanischen Garden unter dem Kommando seines jüngeren Bruders Maher nach Deraa entsandt, um den Demonstrationen ein gewaltsames Ende zu setzen. Offiziell beteuert das Regime, Verbrechergruppen hätten in Deraa gemordet. Dies sollte sich nicht mehr wiederholen.

Freitag kam es in Deraa tatsächlich bei erneuten Protesten zu keinen Zwischenfällen. Anders jedoch in Damaskus. Laut Augenzeugen gingen Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstranten vor. Unzählige Personen wurden festgenommen, wiewohl Shaaban Donnerstag abend die Freilassung Dutzender in den vergangenen Tagen Verhafteter zugesagt hatte. In mehreren Landesteilen ließen sich die Menschen nicht mehr einschüchtern und demonstrierten, ungeachtet der Reformversprechen, gegen das Regime.

In den elf Jahren seiner Macht hatte Assad, der als Modernisierer und Reformer angetreten war, unzählige Male den Syrern mehr Freiheit verheißen, doch sie – abgesehen von einer kurzen Epoche des „Damaszener Frühlings“ 2000/2001 - nicht in die Tat gesetzt. Seine Modernisierung beschränkte sich auf ökonomische Reformen. Deshalb reagierten die Syrer auch nun skeptisch. Das Reformpaket klingt zwar eindrucksvoll und kommt den Forderungen der Opposition weitgehend entgegen. Soziale Nöte sollen durch eine 20- bis 30-prozentige Gehaltserhöhung für Staatsangestellten gelindert, neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Ein Komitee aus führenden Mitgliedern des Regimes soll Untersuchungen der Katastrophe von Deraa einleiten. Als Beweis, dass er es ernst meint, entließ Assad den unpopulären Gouverneur und schreckt auch vor Aktionen gegen seine eigene Familie nicht zurück. Der Kommandanten des militärischen Geheimdienstes von Deraa, Zuelhelma Shalish, ein Vetter des Präsidenten, muss seinen Posten in der Stadt räumen.

Doch dass er die anderen Versprechen tatsächlich in die Tat setzt, erscheint vielen Syrern unwahrscheinlich, würde dies doch ein Ende des Machtmonopols der Baath-Partei bedeuten: ein neues Gesetz zum Kampf gegen Korruption (das starke Kräfte im Regime empfindlich treffen würde und deshalb kaum durchzusetzen ist); die Zulassung politischer Parteien, Pressefreiheit und ein Ende willkürlicher Verhaftungen. Doch vom größten Anliegen der Opposition – der Freilassung Tausender politischer Gefangener – ist keine Rede und auch nicht von einer raschen Aufhebung des seit fast 40 Jahren herrschenden Notstandsgesetze, die willkürliche Verhaftung und gewaltsame Zerschlagungen von Protestkundgebungen ermöglichen.

Wenn sich Assad nicht vorbehaltlos für den Weg der Reformen entscheidet, diesen auch gegen die Hardliner im Regime durchzusetzen vermag, und zwar rasch, wird er die zunächst erst zaghaft begonnene Welle der Rebellion nicht stoppen können. Die politische Opposition ist führerlos, zersplittert, ohne Einfluss. Es sind die jungen Syrer, die wie in anderen arabischen Ländern Unfreiheit, Armut, politische Stagnation und Perspektivlosigkeit nicht länger hinnehmen wollen und die mehr und mehr Menschen mit sich reißen könnten. „Syrien gleicht einer Bombe, zur Explosion bereit“, meint denn auch der prominente Dissident Haitham al-Maleh.

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Donnerstag, 24. März 2011

Die Motoren der libyschen Revolution

Abgesprungene Minister, ehemalige Mitstreiter und freiheitshungrige Idealisten überwiegend aus Ost-Libyen versuchen sich als Alternative zum despotischen Regime aufzubauen

Als eines der größten Probleme beim Militäreinsatz gegen das ums Überleben kämpfende libysche Regime stellte sich westlichen Regierungen die völlige Ungewissheit, wer denn die um ihre Freiheit kämpfenden Menschen überhaupt repräsentiert. Eine wachsende Zahl von Personen tritt nun in den Vordergrund. Sie konzentrieren sich um den am 6. März in der ostlibyschen Stadt Benghazi ins Leben gerufenen Nationalen Übergangsrat (NÜR), der bisher offiziell von Frankreich, Portugal und der Arabischen Liga anerkannt wurde. Nach einigem Zögern entschloss sich der Rat, eine Übergangsregierung zu bilden. Nach Aussagen des Vorsitzenden Mustafa Abdul Jalil bleiben die Namen einiger der unabhängig ihrer politischen Überzeugung bestellten 31 Mitglieder des NÜR aus Sicherheitsgründen geheim. Viele verbergen sich denn auch in den Höhen der „Grünen Berge“, östlich von Benghasi. Diktator Gadafi versuchte zunächst, die Aufständischen als „schmierige Ratten“ und Drogenjunkies abzuqualifizieren, behauptet nun aber, der Rat sei von Al-Kaida-Terroristen unterwandert.

Tatsächlich jedoch bekräftigen die Führer der Opposition ihre Absicht, Libyen so rasch wie möglich zu einer säkularen Demokratie zu führen und diese von der Hauptstadt Tripolis aus zu regieren. Gadafis Gegner legen größten Wert darauf, sich als Repräsentanten aller Libyer zu präsentieren. Doch dies ist nicht die ganze Wahrheit. Die wichtigsten bisher bekannten Köpfe des Rates, wie der Übergangsregierung gehören der im Nordosten beheimateten Harabi-Stammeskonföderation an, die schon aus der Zeit vor dem von Gadafi geführten Putsch 1969 enge Beziehungen mit Benghazi unterhalten. Auch die beiden abgesprungenen Minister sind Mitglieder dieses Stammesverbandes.

Mustafa Mohammed Abdul Jalil ist Vorsitzender des NÜR und wohl das populärste langjährige Mitglied der Regierung Gadafis. Empört über die Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten schloss sich der 59-jährige Justizminister bereits am 21. Februar den Aufständischen an. 1052 in der ostlibyschen Stadt Bayda geboren, studierte Jalil Arabisch und Islamwissenschaft, arbeitete anschließend als Anwalt im Büro des Staatsanwaltes von Bayda, wurde 1978 Richter und 2002 Präsident des Berufungsgerichts. 2007 wurde er von Gadafi zum Justizminister bestellt. Für Libyer kam sein rascher Abfall vom Diktator keineswegs überraschend, denn dieser zierliche, stille Mann hatte sich im Laufe seiner Karriere insbesondere als Minister nicht vor offener Kritik am Herrscher gescheut. Er bemängelte politisch motivierte Behinderungen der Justiz, klärte hunderte Fälle von unkorrekt durchgeführten staatlichen Landenteignungen auf und vertrat Angehörige von 1.200 politischen Gefangenen, die das Regime 1996 an einem Tag ermordet und deren Leichen einbetoniert hatte. Er setzte Entschädigungen für die Angehörigen durch. Gadafi hat auf diesen „Spion“ ein Kopfgeld von 400.000 Dollar ausgesetzt. Jalil ist kein Revolutionär, er genießt Unterstützung traditioneller Honoratioren und Geistlicher im Osten des Landes. Seine Erfahrung im Regierungsamt und sein Einsatz gegen Ungerechtigkeit verleihen ihm eine gewisse Vertrauenswürdigkeit auch im Westen. Manche sehen in ihm den „Retter Libyens.“

General Abdel Fattah Younis , der zweite Minister, der sich der Opposition anschloß, genießt weit weniger Vertrauen unter den Libyern. Der ehemalige Innenminister gilt als alter „Gadafi-Mann“, lange Zeit die „rechte Hand“ des Diktators und zögert nicht, zu den selben Mitteln zu greifen, die sein Kampfgefährte einzusetzen liebt. So verjagte er auch ausländische Journalisten in seinem Benghazi-Umfeld oder ließ Hotels schließen, um neugierige Ausländer los zu werden. Wegen seiner zwiespältigen Persönlichkeit wurde er auch nicht in den politischen NÜR aufgenommen, sondern, sondern mit dem Kommando über die militärische Einheit des Rates betraut. Seine Aufgabe ist wohl die schwierigste. Er muss aus den Tausenden militärisch untrainierten jungen Männern eine Kampftruppe aufstellen, die eine Invasion West-Libyens durchführen kann. In dieser Funktion steht er auch in ständigem Kontakt mit den Briten.

Mahmoud Jibril wurde vom NÜR zum Premierminister der Übergangsregierung bestellt. Der 59-jährige, der in Kairo und Pittsburgh Ökonomie und Politologie studiert hatte, zählt zu den führenden Intellektuellen der Opposition. Lange Zeit engagierte er sich für das Projekt „Libysche Vision“, das die Grundlage für die Bildung eines demokratischen Staates schaffen sollte. Er unterrichtete an der Universität von Pittsburg einige Zeit strategische Planung, schrieb mehrere Bücher und organisierte Trainingsprogram,e auch über Entscheidungsprozesse in verschiedenen arabischen Landern. 2009 wurde er zum Vorsitzenden der Nationallen Wirtschaftsentwicklungsbehörde ernannt, die direkt dem Premierminister unterstellt ist. Er spielte eine entscheidende Rolle jüngst bei einem gemeinsamen Treffen mit einem anderen NÜR-Mitglied, dem ehemaligen Botschafter in Indien Ali Issawi, Frankreichs Präsidenten Sarkosi zur Anerkennung des NÜR zu überreden.

Ali Tarhouni ist ein prominenter Exil-Libyer, der nun zum Finanzminister der Übergangsregierung ernannt wurde. 35 Jahre lang studierte und lebte er in den USA, wo er bis vor einem Monat an der Universität von Washington Ökonomie unterrichtete. Er resignierte von seiner Professur und schloß sich der Opposition in Benghazi an, um diese in ökonomischen Fragen zu beraten. Er wird unter Gadafis Gegnern besonders geschätzt, weil er nach deren Ansicht wie kein anderer die westliche Mentalität versteht. So sprach er auch als bisher einziger unbequeme Wahrheiten über die Revolutionäre aus, denen es zwar nicht an Geld mangle, doch deren Aktionen er als „chaotisch“ bezeichnet und die sich lediglich auf tausend trainierte und ausgebildete Männer stützen könnten.

Omar Hariri ist als Art Verteidigungsminister im NÜR Younis überstellt. Der heute 67-jährige zählte zu den jungen Offizieren, die gemeinsam mit Gadafi 1969 König Idris stürzten. In einem Interview mit „Globe and Mail“ erinnerte er jüngst an die gemeinsame Jugend in den Streitkräften, als er Gadafi das Autofahren beibrachte. Die autoritären Methoden des jungen Herrschers bewogen ihn jedoch 1975, von Gadafi zum Generalsekretär des Revolutionskabinetts ernannt, mit Offizierskollegen einen Putsch zu organisieren. Der Plan wurde vorzeitig aufgedeckt und von 300 Verhafteten wurden 21, darunter Hariri, zum Tode verurteilt.Es folgten 15 Jahre Gefängnis in Erwartung der Exekution, viereinhalb davon in Einzelhaft. 1990 Hariri in Tobruk unerwartet unter Hausarrest gestellt. Viele Libyer verehren ihn als Helden. Er setzt sich energisch dafür ein libysches Blut zu schonen, das Regime werde schließlich zusammenbrechen, doch Gadafi, so betont er, werde nicht stillschweigend ausscheiden.

Abdul Hafez Ghoga ist Jurist, der sich auf die Verteidigung politischer Gefangener spezialisiert hat. Ehemaliger Präsident des libyschen Anwaltsvereins, wurde er am 19 Februar kurz nach Beginn der Massenproteste verhaftet, einige Tage später jedoch wieder freigelassen. Er zählte zu einer Gruppe von Intellektuellen, die Gadafi nach dem Sturz Ben Alis in Tunesien und Hosni Mubaraks in Ägypten in sein Zelt nach Tripolis rief, um ihnen in einer 90-minutigen Audienz seine Position darzulegen: Die beiden langjährigen Herrscher hätten den Sturz verdient, doch in Libyen stünde das Volk voll hinter seinem Führer und hege keinerlei Wunsch nach derartigen Freiheiten wie sie die Libyer oder Tunesier forderten. Ghoga trat gleich nach Gründung des NÜR als deren Sprecher hervor. Seine Kollegen schätzen ihn als ehrlichen Mann mit persönlichem Charisma, der sich um Umgang mit dem Regime nie kompromittiert hätte.

Ahmed al Senussi zuständig für politische Gefangene, ist er im NÜR eine Art Innenminister. Er hatte sich 1970 an einem Putschversuch gegen Gadafi beteiligt und verbrachte 31 Jahre im Gefängnis, viele davon in Einzelhaft. 2001 wurde er aus Anlaß des 32. Jahrestages der Revolution freigelassen. Kein politischer Dissident musste derart lang in Haft ausharren.

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Mittwoch, 23. März 2011

Syriens Regime schlägt blutig zu

Tod von Demonstranten in einer Moschee könnte die „Barriere der Angst“ durchstoßen – Auch Assad kämpft gegen eine anschwellenden Protestwelle

Birgit Cerha

Wochenlang schien es, als sei Syrien, eine der brutalsten Diktaturen des Orients, immun gegen die Stürme des „arabischen Frühlings“ der Freiheit. Der junge Präsident Assad, der seinem Volk seiner seiner Machtübernahme vor elf Jahren immer und immer wieder Reformen verspricht, ist weit populärer als andere Diktatoren der Region. Doch nun könnte er rasch die Reste von Vertrauensvorschuss verlieren, die ihm die Syrer zu schenken bereit waren. Denn in der Nacht auf Mittwoch folgten die Sicherheitskräfte jahrzehntelanger Tradition und richteten unter einer protestierenden Menge ein Blutbad an. Die Folgen könnten sich als dramatisch erweisen.
Hunderte von Menschen hatten sich in der Omari-Moschee in der normalerweise schläfrigen süd-syrischen Stadt Deraa versammelt, um eine Serie von Forderungen durchzusetzen, für die sie seit der Vorwoche in den Straßen der 300.000 Einwohner zählenden Stadt demonstriert hatten. Dabei waren bereits fünf Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche verhaftet worden. In der Nacht auf Mittwoch stürmten Sicherheitskräfte die Moschee und schossen mit scharfer Munition in die friedliche Menge. Mindestens sechs Personen starben. Dieses von der empörten Bevölkerung als „Massaker“ bezeichnete Blutbad könnte den Entwicklungen in Syrien eine entscheidende Wende geben, die freiheitshungrigen Menschen ermutigen, die durch jahrzehntelange massive Repression mit Hilfe eines mehr als 40-jährigen Kriegsrechts um das Regime errichtete, allerdings sehr hohe, Barriere der Furcht durchstoßen. „Keine Angst mehr“ lautet denn auch einer der Slogans der in Deraa Demonstrierenden.

Die Syrer quälen die selben Nöte und Frustrationen, die Menschen in anderen Teilen der arabischen Welt in die Revolution trieben und immer noch treiben: weitverbreitete Armut inmitten himmelschreiender Korruption, massive Repression, Arbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit der Jugend. Ausgelöst wurden die Proteste in Deraa nachdem mehr als ein Dutzend Teenager in der Vorwoche Plakate mit Assads Konterfei überkritzelten und Anti-Regime Slogans an Wände malten. Zunächst wurden zwei Frauen und spätere unzählige Menschen mehr, darunter auch Kinder und Jugendliche verhaftet. Als die Polizei in eine protestierende Menge schoß, schlossen sich an die 20.000 zornige Bürger den Begräbnisfeierlichkeiten der Opfer an.

Die Demonstranten fordern bisher nicht den Sturz Assads, sondern ein Ende der Korruption, demokratische Freiheiten, die Aufhebung des Kriegsrechts, die Freilassung aller politischen Gefangenen. Und sie betonen ihre Entschlossenheit, sich auf friedliche Weise für Veränderung zu engagieren. Doch Assad antwortete mit einer Mischung aus Härte und Entgegenkommen. Er erfüllte das Verlangen der Demonstranten nach Absetzung des Regionalgouverneurs, auch der lokale Polizeichef wurde offenbar abberufen und Gefangene, darunter auch Dutzende Teenager, wurden freigelassen. Doch die Menschen in Deraa ließen sich damit nicht beschwichtigen. Sie fordern grundlegende Veränderungen.

Eine Anwältin, die sich in Damaskus für politisch Verfolgte engagiert aber lieber ungenannt bleiben will, beschreibt die Lage als äußerst angespannt. „Niemand hier wagt es seine Stimme zu erheben“ und dennoch sei es in den vergangenen Wochen in mehreren Teilen des Lands wiederholt zu Protesten gekommen, die jedoch nach alter Tradition rasch von einem massiven Aufgebot der Sicherheitskräfte unterdrückt worden seien.

Deraa liegt in einer Region, in der die sunnitischen Stämme lange weitgehend für Ruhe sorgten und sich – im Gegensatz zu den kurdischen und sunnitisch-islamistischen Unruheregionen nördlich von Damaskus - mit dem alawitischen Minderheitenregime gut arrangierten. Assad versucht nun wohl wieder, die Stammesführer zu beschwichtigen und baut auf deren stabilisierenden Einfluss. Doch ob ihm dies nun gelingt, ist höchst fraglich.

Schon vor den blutigen Ereignissen in Deraa hatten westliche Diplomaten in Damaskus die Ansicht vertreten, dass Assad größeres Unheil für sein Regime nur dann abwenden könne, wenn er endlich rasch so lange wiederholte und nie erfüllte Reformversprechen in die Tat setzt. Dazu könnte es nach dem Blutbad in der Moschee zu spät sein. Zorn und Frustration der Menschen könnte sich auf andere Landesteile ausbreiten.

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Jemens Parlament billigt radikale Notstandsgesetze

Während der Präsident verzweifelt um die Macht kämpft, beginnt Al-Kaida das Chaos für sich zu nutzen

von Birgit Cerha

Jemens schwer bedrängter Präsident Saleh gewann Mittwoch die Unterstützung des Parlaments für radikale Notstandsgesetze, die ihn de facto zum unumschränkten Diktator machen. Die Sicherheitskräfte werden mit weitreichenden Befugnissen für Verhaftungen und gewaltsame Verhinderung von Demonstrationen ausgestattet. Allerdings waren bei der Abstimmung nur 160 der 301 Abgeordneten anwesend. Der Rest hatte sich bereits offiziell von Saleh distanziert.

Demonstranten auf dem Hauptplatz von Sanaa zeigten sich Mittwoch unbeeindruckt. „Es geht um das Schicksal unserer Nation und wir kümmern uns um diese Maßnahmen nicht“, betonte einer der Sprecher der Oppositions-Allianz. Ebenso unbeeindruckt von der jüngsten Warnung Salehs vor einem drohenden Bürgerkrieg, sollten seine Gegner das jüngste Angebot – Ausscheiden des verhassten Präsidenten nicht erst mit dessem Tod, wie ursprünglich geplant, oder zum Ende der verfassungsmäßigen Amtsperiode 2013, sondern in einem Jahr – weiterhin ablehnen, rief die Freiheitsbewegung für Freitag zu einer Massendemonstration auf, in deren Verlauf sie auch zum Präsidentenpalast marschieren will. Die Gefahr eines Blutbades steigt damit beängstigend. Denn der Palast ist von Angehörigen der Elitetruppe der von Salehs Sohn kommandierten Republikanischen Garden umzingelt, während der abgesprungene, mächtige General Ali Mohseln al-Ahmar mit seiner Einheit die Protestierenden beschützt. Ein Sprecher der oppositionellen Islamisten erklärte Mittwoch: „Wir sind bereit in der Konfrontation mit Saleh zu sterben. Wir werden mit offener Brust zum Präsidentenpalast kriechen und du (Saleh) kannst töten, wen immer du willst.“

Unterdessen lassen sich erste Anzeichen erkennen, dass die „Al Kaida in der Arabischen Halbinsel“, die im Jemen ihre Hauptstützpunkte errichtet hat, die zunehmende Instabilität nützt, um verstärkt Sicherheitskräfte zu attackieren und ihre Positionen weiter auszubauen. Bei Gefechten mit jemenitischen Streitkräften kamen in der Provinz Abyan laut „Yemen Observer“ mindestens zwölf Terroristen ums Leben.

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Dienstag, 22. März 2011

JEMEN: Im Jemen wächst die Angst vor einem Bürgerkrieg

Ein zunehmend einsamer Präsident Saleh klammert sich an die Macht – Das Militär ist gespalten, Vermittlungsversuche scheitern

von Birgit Cerha

Gerüchte von einem Militärputsch schwirren durch Sanaa, auf den Straßen der jemenitischen Hauptstadt halten Panzer und bewaffnete Soldaten Positionen, die Angst vor einem Bürgerkrieg steigt, während eine Allianz von Reformaktivisten, die seit Januar in der Hauptstadt hartnäckig Veränderung fordert, sich auch von einem am Wochenende verhängten Ausnahmezustand nicht von weiteren Demonstrationen gegen Präsident Ali Abdullah Saleh abschrecken lässt.

Die Allianz aus Islamisten, reformhungrigen Studenten, Sozialisten und erzkonservativen Stammesführern, die nur der Sturz des Diktators und die Ahnungslosigkeit über die Gestaltung des „neuen Jemen“ eint, lehnte Dienstag den jüngsten Kompromissvorschlag des massiv bedrängten Präsidenten ab. „Die kommenden Stunden sind entscheidend“, erklärte Mohammed al-Sabry, Sprecher der Oppositionsbewegung. Deshalb wolle man von Salehs Vorschlag, nach von ihm organisierten Parlamentswahlen bis Januar 2012 von der Macht abzutreten, nichts wissen. Bisher hatte Saleh darauf beharrt, erst nach Ablauf seiner Amtsperiode 2013 von der Politik auszuscheiden.

„Wir stehen felsenfest, wie die Berge von Nukum und Ayban (die höchsten Gipfel um Sanaa), und die Mehrheit des Volkes ist für Sicherheit und Stabilität“, also für den Präsidenten, bekräftigte Saleh Dienstag seine unerschütterliche Entschlossenheit, im Amt auszuharren, und dies, obwohl er nach einem Massaker an friedlichen Demonstranten vergangenen Freitag fast seinen gesamten Rückhalt in Politik und Militär verloren hat. Nach dem Rücktritt von Ministern, der Entscheidung von drei hohen Generälen und zahlreichen einflussreichen Militärkommandanten, die Opposition und nicht mehr den Präsidenten zu unterstützen, kann sich Saleh militärisch nur noch auf seinen Verteidigungsminister General Mohammed Nasser Ali stützen, sowie auf seinen Sohn und Neffen, die die Elitetruppe der Republikanischen Garden, den Geheimdienst kommandieren. Das Militär, Salehs wichtigste Hausmacht, ist gespalten, auch wenn der Verteidigungsminister Dienstag die Treue der Streitkräfte „zum Staat, zur politischen Führung und zu Bruder Präsdient Ali Abdullah Saleh“ beschwor.

Mit seiner Entscheidung, künftig die friedliche Oppositionsbewegung zu unterstützen, hatte General Ali Mohsen al-Ahmar, ein Verwandter des Präsidenten und jahrzehntelang enger Vertrauter, Salehs Schicksal entscheidend gewendet. Der General ist der zweitmächtigste Mann in den Streitkräften , andere Offiziere und viele Soldaten folgten ihm und bezogen mit Panzern zum Schutz der Demonstranten Stellung in den Straßen Sanaas, während Panzer der Republikanischen Garden den Präsidentenpalast und einige andere wichtige Gebäude des Staates umstellten.

Ahmar hatte sich Montag offiziell von Saleh distanziert, in der Hoffnung, offenbar mit saudischer Vermittlung einen „würdevollen Abtritt“ des Präsidenten zu erreichen. Der General liebäugelte wohl mit einer ägyptischen Lösung, in der er nach dem Ausscheiden Salehs und dessen engster Familie eine zentrale Rolle spielen, gleichzeitig aber die Privilegien und Machtpositionen seines Clans erhalten würde. Doch Saleh klammert sich weiter an die Macht und die Oppositionsbewegung würde sich durch Ahmars Szenario um die Früchte ihrer Revolution betrogen fühlen, da die Machtelite und damit der Status quo erhalten blieben. Zudem ist Ahmar für die demokratiehungrige Jemeniten inakzeptabel, eng verflochten mit dem korrupten System, gilt er selbst als zutiefst korrupt und steht den erzkonservativen Islamistenströmung der saudischen Wahabiten nahe. Von demokratischen Werten dürfte der General wenig halten.

Viele Jemeniten befürchten nun, da sich Saleh an die Macht klammert und große Teile der Armee sich von ihm distanzieren, dass der Jemen erneut, wie mehrmals in seiner Geschichte in einen Bürgerkrieg versinken könnte.

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Montag, 21. März 2011

„Langsamer Coup“ gegen Präsident Saleh


Nach Massaker an friedlichen Demonstranten verliert Jemens autokratischer Führer einige der wichtigsten Stützen seines Regimes


von Birgit Cerha

Während die Weltöffentlichkeit gebannt auf Libyen und Japan blickt, haben sich in den vergangenen Tagen im Jemen die Proteste gegen Präsident Ali Abdullah Saleh dramatisch zugespitzt. Jemenitische Beobachter sprechen von einem „langsamen Coup“, der das Schicksal des autokratischen Herrschers nach zwei Monaten friedlicher Proteste besiegeln wird.

Die Situation für den bedrängten Staatschef eskalierte Montag, als mehrere führende Armee-Kommandanten Saleh ihre weitere Unterstützung verweigerten und den protestierenden Demokratie-Aktivisten Hilfe und Schutz versprachen. Besonders einschneidend für den Präsidenten ist die Entscheidung eines seiner engsten Vertrauten, des mächtigsten Mannes im Militär, General Ali Muhsin al-Ahmar, der die 1. Bewaffnete Division kommandiert. Seiner Entscheidung, die „Jugendrevolution“ mit „friedlichen“ Methoden zu unterstützen, folgten rasch zwei weitere Generäle, die das „Fehlen eines Dialogs und die Unterdrückung friedlicher Demonstranten“ für die „umfassende und gefährliche Krise“ des Landes verantwortlich machen. „Ali Mohammed öffnete die Schleusentore“, meint ein Beobachter. Die Stütze des Regimes bröckelt.

Tausende Jemeniten, zutiefst frustriert über die 32-jährige autokratische Herrschaft Salehs, die weitverbreitete Korruption, Vettern- und Misswirtschaft, die das Armenhaus Jemen an den Rand eines „gescheiterten Staates“ trieb, waren im Januar dem tunesischen und ägyptischen Beispiel gefolgt und versuchen seither durch konsequente friedliche Demonstrationen demokratische Reformen durchzusetzen. Sie zwangen Saleh zunächst auf eine Präsidentschaft auf Lebenszeit, wie die Nachfolge für seinen Sohn zu verzichten. Er verspricht, 2013 abzutreten. Doch von einer demokratischen Öffnung, einer neuen Verfassung, einem Kampf gegen Korruption will der Präsident ebenso wenig wissen, wie von einem Dialog mit der von einer Jugendbewegung geführten Protestbewegung.

Die entscheidende Wende für Saleh kam jedoch vergangenen Freitag, als Anhänger des Präsidenten in zivil in die friedlich demonstrierende Menge in Sanaa schossen, 50 Menschen töteten und Hunderte verletzten. Ob Saleh selbst den Befehl zu diesem Massaker gegeben hatte, ist unklar. Er vermochte jedoch durch eine anschließende Rede, in der er die Opfer als „Märtyrer für die Demokratie“ würdigte und jede Verantwortung für das Blutbad zurückwies, die aufgebrachte Bevölkerung nicht zu beschwichtigen. Am Wochenende setzte aus Protest gegen die Brutalitäten eine Rücktrittswelle ein, die zunächst drei Minister und mehrere Diplomaten, wie zahlreiche andere hohe Beamte des Regimes erfasste. Um einer für ihn äußerst peinlichen Resignation seines ganzen Kabinetts zuvorzukommen, entließ Saleh Sonntag die Regierung. Die Proteste im Militär aus dessen Reihen der einstige General kam und das seither die wichtigste Stütze seiner Macht war, treffen den Präsidenten am härtesten. Alle drei Generäle gehören dem mächtigen Haschid-Stamm Salehs an, der ebenso wie hohe Geistliche am Wochenende den Rücktritt des Präsidenten forderte.

„60 Prozent der Armee ist nun mit der Protestbewegung verbündet“, meint Hakim Al Masmari, Chefredakteur der „Yemen Post“. „Für Saleh ist das Spiel aus.“ Noch hat der Präsident allerdings die hochtrainierten und gut ausgerüsteten Republikanischen Garden auf seiner Seite, da diese von seinem Sohn kommandiert werden. „Wir stehen nun in der Mitte zwischen zwei militärischen Kräften – die eine, die sich den Demonstranten angeschlossen hat und die andere, die noch unter Salehs Autorität steht“, meint Gabul al Mutawakil, einer der jungen Aktivisten. „Die Angst vor einem Bürgerkrieg wächst, aber wir bestehen auf einer friedlichen Revolution.“

Indem er sich in kritischer Stunde von Saleh distanzierte, versucht sich General Muhsin als neuer starker Mann des Jemen zu positionieren und gleichzeitig das Ausscheiden der engsten Familienmitglieder Salehs aus höchsten Posten in den Sicherheitskräften und in der Administration zu betreiben, den Angehörigen des mächtigen Stammeskonföderatioin aber weiterhin ihre privilegierte Stellungen, die sie dem Präsidenten verdanken, zu erhalten. Wie Saleh, gilt auch Mushin im Jemen als korrupt und wird deshalb wohl von der Demokratie-Bewegung abgelehnt.

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Sonntag, 20. März 2011

LIBYEN: Wenig arabische Sympathie für Gadafi

Golfstaaten bekräftigen aktive Beteiligung an westlicher Militäraktion, doch zu einem Preis

von Birgit Cerha

Während Briten und Franzosen Sonntag mit ihren Attacken auf die Militärmaschinerie des libyschen Diktators Gadafi begannen, blieben in der arabischen Welt Massenproteste, wie sie die Region vor acht Jahren zum Auftakt des von den USA geführten Krieges gegen den Iraker Saddam Hussein erlebt hatte, aus. Der exzentrische libysche Despot findet weder unter den Herrschern, noch unter der Bevölkerung der Region viel Sympathie. Einzig Algerien, das um seine eigene Stabilität fürchtet und die Diktatoren des Jemen und Syriens sprachen sich offen gegen eine internationale Militäraktion aus. Der Syrer Assad und sein selbst schwer bedrängter jemenitischer Amtskollege Saleh befürchten die Beispielwirkung Libyens auf ihr Schicksal.
Alle anderen Mitglieder der Arabischen Liga wichen von der traditionellen Position ab, dass arabische Probleme einzig arabischer Lösungen bedürften: Katar bekräftigte Sonntag seine Entschlossenheit, sich militärisch aktiv zu beteiligen. Dies sagten auch die Vereinigten Arabischen Emirate zu. Eine arabische Unterstützung raubt Gadafis Argument, der „Kolonialismus kehrt nach Libyen zurück“, durch das er „Mitstreiter gegen den westlichen Kreuzzug“ auf seine Seite zu ziehen hofft, jegliche Glaubwürdigkeit.

Kuwait, wie insbesondere Saudi-Arabien, dessen erzkonservatives Königshaus seit langem den Gadafis verbalen Attacken ausgesetzt ist, hegen großes Interesse am Sturz des Libyers. Doch unterdessen verstärken sich die Anzeichen, der Westen musste einen Preis für die Hilfe der Golfaraber bezahlen. Denn während Saudi-Arabiens König Abdullah die libyschen Demokratie-Aktivisten unterstützt, eilt er mit Hunderten seiner Soldaten seinem Amtskollegen in Bahrain zu Hilfe, um dessen autokratische Herrschaft abzusichern, ohne Widerstand des Westens zu befürchten. Muss Bahrains demokratische Opposition für die Rettung der libyschen Rebellen bezahlen?

Ägypten, das historisch starken Einfluss auf Libyens Ostregion ausgeübt hatte, hofft einerseits, dass ein Sturz Gadafis oder eine Spaltung Libyens ihm eine Rückkehr zu seiner alten Position in diesem Gebiet ermöglicht. Anderseits können sich anhaltende Turbulenzen im Nachbarstaat als äußerst gefährlich für Ägyptens eigene Stabilität gerade in der labilen Periode des Übergangs von Diktatur zu einem demokratischen System erweisen. Stillschweigend haben die ägyptischen Streitkräfte offenbar mit US-Billigung begonnen, libyschen Rebellen mit Waffen, Training, Nahrungsmittel und medizinischer Versorgung zu helfen. Bisher gibt es keine Hinweise ägyptischer Truppenmassierungen an der Grenze zu Libyen. Offiziell heißt es vorerst noch, eine direkte Militärintervention Ägyptens komme nicht infrage.

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Freitag, 18. März 2011

Saudischer König verteilt Milliarden von Dollar

„Zuckerbrot“ aber auch eine wesentlich vergrößerte „Peitsche“ soll die Rebellion vom Königreich fernhalten

von Birgit Cerha

Er galt lange als Reformer im saudischen Königreich. Nun - verängstigt durch die Demokratieströmungen in der arabischen Welt, insbesondere jene in Bahrain, direkt vor den Toren seines eigenen Wüstenstaates - schwenkt der 86-jährige kränkelnde König Abdullah voll auf die Seite der Hardliner in diesem Staat, in dem die Al-Sauds in Allianz mit den Ulemas (Religionsgelehrten) der puritanisch-fundamentalistischen Wahabiten die Monarchie vollends beherrschen. Um Saudi-Arabien von der rebellischen Demokratie-Strömung abzuschirmen bot der Monarch in einer seltenen Fernsehansprache an sein Volk Freitag den Untertanen reichlich „Zuckerbrot“ an.
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen öffnete der Monarch, dessen Staat über Auslandsreserven von mehr als 400 Mrd. Dollar verfügt, die Schatullen weit und versuchte seine Bürger durch soziale Vergünstigungen in Milliardenhöhe zu beglücken. Erstmals setzte er einen Mindestlohn für Staatsangestellte von umgerechnet 800 Dollar im Monat fest, Arbeitslose erhalten höhere Zuschüsse, 500.000 neue Wohneinheiten im Wert von 67 Mrd. Dollar sollen errichtet werden und das Königshaus will die Gesundheitsversorgung verbessern. Bereits im Februar hatte der König den Saudis Vergünstigungen im Wert von 37 Mrd. Dollar versprochen.

Doch zugleich setzt Abdullah auf erbarmungslose Härte gegenüber Reformern und all jenen, die sich im Protest gegen das Königshaus und dessen Politik in die Straßen wagen sollten. Nachdem er seit Jahren eine – wiewohl zaghafte – politische Öffnung dieser absoluten Monarchie versprochen hatte, ist davon nun keine Rede. Weder vollzog er die lange erwartete Umbildung der Regierung, in der die Al-Saud-Prinzen alle wichtigen Positionen bekleiden, noch erwähnte er irgendwelche politischen Reformen. Vielmehr nahm er zu scharfen Worten Zuflucht. Die Sicherheitskräfte des Landes würden auf all jene „losschlagen“, von denen sie „glauben“, dass sie die Sicherheit und Stabilität des Königreiches untergraben. Um diese Absicht noch effizienter als bisher in die Tat zu setzen, soll Militär- und Sicherheitskräfte um 60.000 Mann aufgestockt werden. Zugleich versprach er auch die Einsetzung eines Anti-Korruptions-Komitees.

Besonders irritiert Oppositionskreise aber die mit ungewöhnlich starker religiöse Sprache versetzte Rede des Königs, der bis heute den wahabitischen Ultras eher ferner gestanden war. Erst vor wenigen Tagen hatten die Ulemas Proteste als „unislamisch“ verdammt. Nun entschloß sich der König, die verhassten Mutawas, (die wild zuschlagende Sittenpolizei) finanziell wesentlich zu stärken. Die Botschaft ist klar: Nicht der leiseste Dissens wird geduldet.

Massive Sicherheitsvorkehrungen hatten am 11. März verhindert, dass Massen frustrierter Saudis dem über Internet und Facebook verbreiteten Aufruf von Aktivisten zu Demonstrationen gefolgt waren. Allerdings kam es in der Schiitenregion im ölreichen Osten des Königreiches mehrmals zu kleineren Solidaritätsbezeugungen mit den in Bahrain protestierenden Glaubensbrüdern, die durch direkte saudische Militärintervention massiv in Bedrängnis gerieten.

In ersten Reaktionen zeigten sich Demokratie-Aktivisten über Twitter bitter enttäuscht über die Rede des Königs. Kurzfristig wird der Monarch mit „Bestechung“, wie es die saudische Analytikerin Mai Yamani nennt, und unerbittlicher Härte sein Volk ruhig zu halten vermögen. Doch das Risiko einer starken Radikalisierung der Opposition wird damit immer größer.

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ÄGYPTEN: Von der Revolte zum Referendum

Ägyptens Demokratie-Aktivisten befürchten die Wiederbelebung des Mubarak-Regimes, mit Unterstützung der Moslembruderschaft

vin Birgit Cerha

Kaum mehr als ein Monat nach dem Sturz Präsident Mubaraks sind 40 Millionen Ägypter vom herrschenden Militärrat aufgerufen, den ersten entscheidenden Schritt zu einem „neuen Ägypten“ zu setzen. Eine Verfassungsreform wird heute, Samstag, dem Volk zur Abstimmung präsentiert. Sie soll den Weg zu Parlaments- und anschließenden Präsidentschaftswahlen ebnen und ein Ausscheiden der Streitkräfte aus dem politischen Geschehen garantieren.

Das Referendum aber spaltet die Massenbewegung, die in nur wenigen Wochen den Autokraten, der Ägypten drei Jahrzehnte beherrscht hatte, von der Macht fegte. 50 politische Gruppen informierten den Militärrat in einem Brief von ihrer Kampagne für ein „Nein“ zu den Verfassungsreformen. In ihren Websites, in Facebooks, die so eine entscheidende Rolle bei der Mobilisierung der Massen gegen den Diktator gespielt hatten, dominieren nun Videos und Kommentare, die das Volk vor einer Neubelebung des autokratischen Systems warnen. Fast alle prominenten Persönlichkeiten der Opposition, von Mohammed el-Baradei über Amr Moussa, die beide ihre Kandidatur für die Präsidentschaft angemeldet haben, bis säkulare Demokraten wie Ayman Nour haben ihr „Nein“ zu den Reformen angekündigt.

Hingegen wirbt Ägyptens bestorganisierte Oppositionsbewegung, die Moslembruderschaft, entschieden für ein „Ja“, ebenso stimmen Menschenrechtsaktivisten und Wirtschaftskreise den Reformen zu. Ein Teil der ägyptischen Geschäftswelt beklagt die starke Zunahme der Kriminalität seit dem Sturz Mubaraks und sehnt sich nach einem Ende des politischen Vakuums und einer raschen Rückkehr zur Normalität. Moslembrüder argumentieren, ebenso wie Menschenrechtsaktivisten mit der Notwendigkeit eines raschen Endes der Militärherrschaft. Einflussreiche Blogger wie Alaa Abedelfattah oder der Anwalt Ahmed Seif klagen, dass die Streitkräfte ihre Machtbefugnisse verletzt haben, insbesondere, da sie Zivilisten durch Militärgerichte aburteilen. Ein „Ja“ zu den Verfassungsreformen würde die Macht der Armee rasch beenden.

Ein vom Militär bestelltes Komitee hat in nur zehn Tagen die Änderung von neun Verfassungsartikeln erarbeitet. Diese Reformen, die einen der Grundsteine für ein neues Ägypten legen sollen, wurden der Bevölkerung drei Wochen lang zur Diskussion vorgelegt. Viel zu kurz klagt die Opposition, die zudem den Ausschluss vieler Sektoren der Gesellschaft aus dem Komitee bemängelt. Die Hauptkritik konzentriert sich aber darauf, dass nur wenige von der Opposition geforderte Veränderungen durchgeführt wurden, wie die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Vierjahres-Perioden (Mubarak hatte drei Jahrzehnte lang geherrscht), eine Lockerung der krassen Einschränkungen von Kandidaturen, sowie Überwachung der Wahlen durch Juristenteams. Vor allem aber wurden die außerordentlichen Machtbefugnisse des Präsidenten beibehalten. „Es ist die Verfassung einer Diktatur“, klagt Baradei. Sie werde einen „neuen Mubarak“ hervorbringen. Und die Demokratie-Aktivisten werten das neue Dokument als „Verrat an ihrer Revolution“.

„Facebook“, das sich zu einem wichtigen Stimmungsbarometer am Nil entwickelt hat, wird überschwemmt von Kommentaren, die die Sorge darüber ausdrücken, dass sich der Militärrat zu einer Machtkonstellation aus Mitgliedern der drei Jahrzehnte lang herrschenden „Nationalen Demokratie-Partei“ (NDP) Mubaraks und der Moslembruderschaft entschlossen hat, weil er darin eine größere Chance auf Stabilität sieht als in einem Aufstieg der jungen Demokratie-Aktivisten, die keinerlei politische Erfahrung besaßen und deren wahre Absichten nicht klar seien.

Tatsächlich würde nach dem vom Militärrat vorgesehenen, von vielen Aktivisten, von Baradei, wie Amr-Moussa heftig kritisierten Szenarium die binnen einen halben Jahres geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die Chancen neuer Parteien, die sich erst organisierten müssten gegenüber der NDP und den Moslembrüdern enorm schwächen. Aus den Wahlen würde ein von den „Brüdern“ dominiertes Parlament hervorgehen, das weitere geplante Verfassungsreformen nach seinen Vorstellungen gestalten und die Chancen auf eine liberale, säkulare Demokratie zunichte machen würde.

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Donnerstag, 17. März 2011

BAHRAIN: Bahrains König beschwört regionale Krise herauf

Entschlossenheit, demokratische Proteste der schiitischen Mehrheit mit Gewalt und saudischer Intervention zu beenden, heizt den Konflikt gefährlich auf

von Birgit Cerha

Das Beispiel Muammar Gadafis, des libyschen Despoten, der mit hemmungsloser Gewalt seine Macht rettet, macht Schule. Nicht die friedliche Revolution der Ägypter, sondern die brutale Kontrarevolution der Despoten breitet sich mehr und mehr aus in der demokratiehungrigen arabischen Welt.

Nachdem die Sicherheitskräfte des seit einem Monat durch friedliche Demonstrationen bedrängten bahrainischen Königshauses Mittwoch früh gewaltsam den zentralen Perlenplatz von friedlich Protestierenden mit aller Gewalt geräumt hatten, setzten sie Donnerstag die brutale Niederschlagung des Aufstandes fort. Zahlreiche Personen kamen ums Leben, unzählige wurden verletzt und mindestens sechs Oppositionsführer, davon überwiegend Aktivisten der diskriminierten schiitischen Bevölkerungsmehrheit, aber auch der Führer einer säkularen Sunnitenpartei, Ibrahim Sharif, wurden festgenommen.


Die UN-Menschenrechtsorganisation verurteilte Donnerstag die „schockierende“ Anwendung der Gewalt durch die Sicherheitskräfte aufs Schärfste. Besonders empört Menschenrechtsaktivisten die Übernahme des größten Hospitals von Manama, sowie kleinerer Gesundheitszentren durch die Sicherheitskräfte, die medizinisches Personal den der Behandlung von Verwundeten hinderten. „Solches illegales Verhalten ist schockierend“ heißt es in einer Aussendung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte.
Das Beispiel Muammar Gadafis, des libyschen Despoten, der mit hemmungsloser Gewalt seine Macht rettet, macht Schule. Nicht die friedliche Revolution der Ägypter, sondern die brutale Kontrarevolution der Despoten breitet sich mehr und mehr aus in der demokratiehungrigen arabischen Welt.

Nachdem die Sicherheitskräfte des seit einem Monat durch friedliche Demonstrationen bedrängten bahrainischen Königshauses Mittwoch früh gewaltsam den zentralen Perlenplatz von friedlich Protestierenden mit aller Gewalt geräumt hatten, setzten sie Donnerstag die brutale Niederschlagung des Aufstandes fort. Zahlreiche Personen kamen ums Leben, unzählige wurden verletzt und mindestens sechs Oppositionsführer, davon überwiegend Aktivisten der diskriminierten schiitischen Bevölkerungsmehrheit, aber auch der Führer einer säkularen Sunnitenpartei, Ibrahim Sharif, wurden festgenommen. Die UN-Menschenrechtsorganisation verurteilte Donnerstag die „schockierende“ Anwendung der Gewalt durch die Sicherheitskräfte aufs Schärfste. Besonders empört Menschenrechtsaktivisten die Übernahme des größten Hospitals von Manama, sowie kleinerer Gesundheitszentren durch die Sicherheitskräfte, die medizinisches Personal den der Behandlung von Verwundeten hinderten. „Solches illegales Verhalten ist schockierend“ heißt es in einer Aussendung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte.

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Sonntag, 13. März 2011

Die treibende Kraft des arabischen Aufbruchs

Frauen stehen an der vordersten Front der Revolten – Werden sie wieder, wie so oft in der Geschichte, um die Früchte ihres Kampfes betrogen?

von Birgit Cerha

In T-Shirts und engen Jeans oder in langen, schwarzen Roben ändern Zehntausende arabische Frauen von Tunis bis Kairo, von Manama bis Sanaa den Lauf der Geschichte. „Frauen spielten und spielen weiterhin eine wesentliche Rolle bei den Revolten (gegen autokratische Herrscher) in der Region. Von größter Bedeutung ist die Tatsache, dass sie in den Straßen in großer Zahl physisch präsent sind. Das ist ein Signal der Hoffnung“, analysiert Nadim Houry von Human Rights Watch die dramatischen Entwicklungen der vergangenen Wochen im arabischen Raum.


In Tunesien gehörte die erste Stimme der „Jasmin-Revolution“, und eine der kräftigsten zudem, der Schwester von Mohammed Bonazizi, der durch seinen Selbstmord die Revolte gegen Diktator Ben Ali entfacht hatte. Im erzkonservativen Jemen und in Libyen durchbrachen die Frauen soziale Tabus und marschierten mit ihren männlichen Mitbürgern gegen die Diktatoren. „Gemeinsam mit den Männern haben wir geweint und uns über den Sieg gefreut“, sagt die Anwältin Hanaa al-Gallal, die mit zwei anderen Frauen dem im befreiten Benghazi gegründeten oppositionellen Revolutionsrat angehört.

Im Jemen trägt die friedliche Revolte gegen Präsident Saleh das Gesicht der Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Tawakkul Karman, die sich schon lange gegen Unterdrückung und für Meinungsfreiheit in diesem arabischen Armenhaus engagiert. Seit 2007 setzte sich die dreifache Mutter jeden Dienstag mit Gleichgesinnten vor das Regierungsgebäude auf dem Platz der Freiheit in Sanaa, um das Regime daran zu gemahnen, dass die Zeit des Wandels gekommen ist. Per SMS verbreitete sie Berichte über Menschenrechtsverletzungen an Hunderte Jemeniten, versuchte durch Proteste die Freilassung von Gefangenen zu erwirken und wurde wiederholt selbst inhaftiert. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Organisierung regelmäßiger Protestkundgebungen gegen das Regime über Twitter und Facebook. Im erzkonservativen, unterentwickelten Jemen, wo die Analphabetenrate der Frauen bei 67 Prozent liegt, dominieren die Männer die Demonstrationen. Doch eine staatliche Gruppe von Menschenrechtsaktivistinnen, Journalistinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen, Frauen politischer Gefangener spielen eine wichtige und inspirierende Rolle in diesem Saleh und sein Regime immer mehr in die Enge treibenden Aufbruch.

Auch in Bahrain haben sich Tausende Frauen aller Altersgruppen in schwarzen Roben den Reformrufen angeschlossen und enormen Mut gegenüber den brutal zuschlagenden Sicherheitskräften bewiesen. In Ägypten, wo der Kampf um die Rechte der Frauen in der arabischen Welt schon in den frühen 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinen Anfang nahm, haben sich zahlreiche junge Aktivistinnen bei der Organisation der Proteste über Facebook und Handy, bei der Hilfe für Verwundete, bei dem unermüdlichen Ruf nach Achtung der Würde ägyptischer Bürger, nach Gerechtigkeit, Freiheit und sozialen Chancen eindrucksvoll hervorgetan.

All diese eindrucksvollen arabischen Persönlichkeiten, diese Aktivistinnen des Aufbruchs widerlegen die von manchen westlichen Medien propagierten Klischees der unterwürfigen, politisch apathischen und stimmlosen arabischen Frau. „Mit der Realität hat eine solches Bild nichts zu tun“, empört sich etwa die ägyptische Politologin Rabab el-Mahdi. Ägyptens Frauen setzten nur fort, was sie von Langem begonnen hätten. „Wir befinden uns mitten in einem Prozeß des Wandels“, einem Modernisierungsprozeß, der allerdings mit kleinen Schritten voran geht. Wissenschafter sprechen seit längerem von einer Trendwende, die sich nicht zuletzt in steigenden Zahlen, wie Alphabetisierung, Dauer der Schulbildung, Frauenerwerbsquote und sinkenden Geburtenraten abzeichnet. 1975 etwa gebar eine Frau in der arabischen Welt im Durchschnitt 7,5 Kinder, 2005 nur noch 3,5. In Ägypten sind mehr als die Hälfte der Universitätsstudenten Frauen. Es sind vor allem jene gut ausgebildeten Frauen, die eine aktivere Rolle in ihren Gesellschaften einnehmen wollen und vor Kritik an autokratischen Herrschern nicht mehr zurückschrecken. Kein Zweifel der arabische Aufbruch wäre ohne die Frauen nicht möglich. Doch ist der Sturz des Autokraten – wie in Tunesien und Ägypten – erreicht, dann beginnt für die Frauen erst der eigentliche Kampf, dann müssen sie hartnäckig einfordern, was sie zunächst nicht tun: ihr Recht auf Partizipation in einem neuen, modernen, demokratischen System. Und dabei gilt es gigantische Hindernisse zu überwinden. Ein Blick in die Geschichte zeigt dies nur all zu deutlich.

In Ägypten hatten die Frauen schon 1919 und dann 1952 entscheidend an Revolutionen mitgewirkt, nur um bei der anschließenden Aufteilung der Macht auf die Seite geschoben zu werden. Ein anderes krasses Beispiel bietet Algerien, wo sich die Frauen in Krieg gegen die französische Kolonialmacht (1954 bis 1962) als Kämpferinnen, Spioninnen, Krankenschwestern, Kommunkationsoffiziere intensiv engagiert hatten. Nach der Befreiung drängten die „revolutionären“ Männer sie wieder zurück in die Heime. Die Iranerinnen, die sich 1978/79 in großen Zahl Khomeinis Revolution gegen den Schah angeschlossen hatten, erlitten ein ähnliches Schicksal. Sie allerdings erkämpften anschließend mit ungeheurem Mut und großer Zähigkeit so manche Freiräume.

Wird sich die Geschichte wiederholen? Werden die Patriarchen des Orients die soziale Revolution, die der politischen unweigerlich folgen müßte, blockieren? In Ägypten lassen sich Alarmsignale erkennen.

(Bild: Nawal al Saadawi)

Noch ist die 80-jährige Nawaal el Sadawi, die ein Leben lang für die Rechte der Frauen in ihrer Heimat gekämpft, nun am Kairoer Tahrir-Platz die Stellung gehalten und die jungen Frauen mit ungebrochener Energie angeleitet hatte, euphorisch. Während der Demonstrationen gegen Mubarak habe sie „zum erstenmal“ in Ägypten gespürt, „dass Frauen den Männern gleich sind. Die Männer haben sie behandelt wie Kolleginnen, nicht als seien sie nur ein Körper.“ Junge Aktivistinnen bestätigen, dass sie keinerlei sexuellen Belästigungen ausgesetzt worden seien – eine bemerkenswerte Entwicklung in einem Land, wo laut ägyptischer Menschenrechtsorganisation 83 Prozent der arbeitenden Frauen über derartige Erfahrungen klagen, eine Entwicklung, die in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen hat. Doch kaum war Mubarak abgetreten, fielen so manche Männer nach den Wochen des gleichberechtigten Zusammenlebens auf dem Platz wieder in ihr altes Verhaltensmuster. Ermutigt durch das Errungene schritten junge Aktivistinnen zur Selbsthilfe, gründeten, unterstützt von gleichgesinnten Männern, eine Frauenpolizei. „Wir wollen mit ihrer Hilfe aufklären und auf sexuelle Belästigungen aufmerksam machen“, erläutert die Anwältin Riem Schahin.“Es diszipliniert die Männer, wenn sie merken, dass sie eine starke Reaktion auslösen.“

Doch um das Verhalten der Ägypter nachhaltig zu verändern, bedarf es einer Reform der Gesetze., die immer noch Sexualbelästigungen nicht, „Ehrenmorde“ und Genitalverstümmelungen (die 95 Prozent der Ägypterinnen treffen) nur milde bestrafen und im Familienrecht den Männern die Entscheidungsgewalt über die Frauen einräumen. „Ich wünsche mir, dass der einfache ägyptische Bürger weiß, dass die Rolle der Frau nicht weniger wichtig ist, als die des Mannes in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, betont Schahin. Deshalb auch planen Aktivistinnen nun eine intensive Alphabetisierungskampagne, denn mehr als 40 Prozent der Frauen im Land können immer noch nicht lesen und schreiben und es ist vor allem diese Schichte, die sich oft willenlos dem Diktat der Patriarchen beugt.

Eine Koalition von 63 Frauengruppen wehrt sich entschieden gegen erste Versuche, den Frauen auch im neuen Ägypten den ihnen gebührenden Platz im öffentlichen und politischen Leben zu verwehren. Das vom Höchsten Militärrat, der das Land in einer Übergangsperiode führt, eingesetzten Komitee zur Verfassungsreform sei – so Saadawi – ein „Club der alten Männer“, in dem nicht keine einzige Frau sitzt. Auch der neuen Regierung gehört nur eine Ministerin an, die zudem von Mubaraks Kabinett übernommen wurde. Die Frauen fordern die Aufnahme mindestens einer Anwältin in das Verfasssungskomitee und sie zeigen sich höchst irritiert über einen neuen Passus, der die Voraussetzungen für das Amt des Staatspräsidenten so vage formuliert, dass er die Möglichkeit bietet, Frauen von dieser Position auszuschließen.

Es gehe auch darum, betonen die Aktivistinnen, nicht nur mehr Rechte für die Frauen durchzusetzen, sondern sicher zu stellen, dass das bisher Erreichte – Gleichberechtigung im Erbrecht und bei Scheidungen etwa - nicht wieder aufgegeben werde. Der wahre Kampf beginnt erst jetzt, damit der Traum von einem freien, gleichberechtigten Ägypten in Erfüllung geht.

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Freitag, 11. März 2011

SUDAN: The Future Republic of South Sudan

by Christopher Weikert Douglas

The world has lately been preoccupied with unprecedented public uprisings resulting in regime change in North Africa that may yet extend into the Middle East and Arabian Peninsula. Relatively little attention is being paid to the Southern Sudan - soon to become the Republic of South Sudan, Africa’s first new nation since the post-colonial era - that is peacefully shedding the rule of Khartoum’s Islamist authoritarian rule. Against great odds, the people of Southern Sudan conducted an internationally recognized referendum on its future and won for themselves the right to create a new sovereign state that will be proclaimed on July 9th of this year. Independence through electoral means is no small accomplishment in one of the poorest, least developed, most conflict-disrupted regions in the world.
Citizens of the semi-autonomous Southern Sudan made clear their overwhelming preference for separation from the Republic of Sudan, a fact confirmed by monitoring agencies and the Sudanese government in Khartoum. A peaceful referendum vote was held in January 2011, and the Southern Sudan will officially become the independent Republic of South Sudan on July 9, 2011.

This ostensibly simple procedure of casting, counting and implementing the result of a ballot – taken for granted throughout most of the Western world – has been made possible only by years of hardship, sacrifice, hope and endurance on the part of the Southern Sudanese. It is the latest chapter in the nascent country’s history of predation, colonization, civil war, and now liberation and peace.

Independence for the South, while momentous and hard won, has so far happened only on maps, in a draft constitution document and in words. The real work of separating the South from the North entails intensely complicated negotiations not just between the respective governments in Juba and Khartoum, but also Washington, Oslo, Rome and London (whose countries were the guarantors of the 2005 Comprehensive Peace Agreement that ended Sudan’s decades-long civil war) as well as international bodies such as the United Nations, the European Union, the World Bank and the International Monetary Fund.

That there are so many outside actors pushing for the Southern Sudan’s right to self-determination greatly increases chances that outstanding issues such as the final new international border between North and South, ownership of the oil resources, distribution of the national debt, repatriation of each country’s nationals, and the disputed territory of Abyei will be settled without renewed hostilities. Even China, an otherwise vehement critic of separatist movements which has long supported Khartoum with money, military support and political backing in exchange for oil (6% of its total imports come from Sudan), has pushed for allowing the South to separate peacefully.

A return to war is prohibitively expensive, politically and financially. Wary of the active arrest warrant issued by the International Criminal Court and the uprisings in Tunisia, Libya and Egypt, Sudan’s President Bashir is unlikely to seek a costly, bloody and unpopular return to war. What’s more, the North has always shown more interest in the South’s resources - particularly its vast oil reserves which sustain the North’s economy and the patronage networks that keep President Bashir and his National Congress Party in power - than in its citizens. Although an independent South would legally own the petroleum after independence, the North will receive a share of revenues for many years: not just as a peace offering, but because the sole export pipeline running up to the Red Sea is owned and operated by Khartoum.

Though cause for humanitarian concern, a renewal of violence in Darfur will not affect the South’s bid for independence. It is true that the Southern People’s Liberation Movement shares the antipathy of Darfuri rebel groups the Justice and Equality Movement (JEM) and the Sudan Liberation Movement (SLA) towards the North, and benefits from Khartoum’s preoccupation with the troubled Western province. However, the Government of Southern Sudan will not risk their survival by antagonizing Khartoum for the sake of Darfur, and has now publicly promised not to support the JEM or let it use the South as a base of operations.

There are several reasons for this. First, Darfur lacks the advantages of ample natural resources as well as geographical, ethnic and religious distance from the central government in Khartoum enjoyed by the South. Second, the North’s interests in Darfur are too great, the rebel movements appear too disorganized and the cause of Darfuri independence lacks enough international support for there to be much hope for a permanent ceasefire and pathway to independence as enjoyed by the South. Third, the Darfuris are not considered “Southern”, and the Southern Sudanese remember that Muslim tribes from Darfur were among those that historically participated in the killing, robbing or enslavement of their people. Although it is an unhappy fact, most Darfuris are by now either dead or living in refugee camps outside their homeland.

All evidence thus seems to indicate that the South will be allowed to become independent. But history shows that a new nation’s greatest challenge is not achieving independence, but surviving and prospering once independent.

The country possesses a number of advantages at its genesis. History aside, the Southern Sudan is a clean, green slate. Its kilometers of forest, jungle, grassland, and waterways have never seen the industrialization or concentrations of wealth which spawn such pollution or corruption as one finds in Nigeria, Democratic Republic of Congo or Kenya. Having never been industrialized, its soil and rivers are clean. Thousands of acres of arable land and plentiful water could provide ample food for itself and its neighbors in a part of the world that is constantly at risk for famine, as they had done before the disruption and death of war. Vast wildernesses hosting surprisingly large populations of animals could become one of the world’s premier ecotourist destinations. Forest, mineral and petroleum resources - properly controlled and regulated as in Botswana – could provide valuable capital for stability and growth. Most importantly the country has a large civilian pool of young citizens, many educated overseas during the war and now returning to their homeland, eager to work and learn new skills, and build a prosperous, free and democratic country.

It isn’t only the Southern Sudanese who look forward to such a future. An economically prosperous South Sudan could be a strong trading partner and a balm for East Africa’s economic woes.

While this innocence and untamed state is the basis of South Sudan’s promise, it is also the source of its greatest threats. The new country is ill prepared for life as a sovereign state bearing sovereign responsibilities in these difficult and dangerous times.

For one, the Government of Southern Sudan (GOSS) does not have long to learn how to satisfy or manage the expectations of its 8 million constituents. The Southern Sudanese were largely ignored or left to fend for themselves – when not actively victimized – under the foreign rule of Ottoman, then British rule The neglect and exploitation of the South increased in intensity under Khartoum. As a consequence of their history, the South lacks the necessary experience with civil administration, sovereign governance, finance and foreign affairs.

The Southern Sudanese have worked together to win their right to democratic self-determination, but ethnic fault lines are notoriously dangerous in this part of the world. The scarred histories of neighboring Uganda, Rwanda and Kenya warn what may happen when development proceeds too slowly or unequally, and too much wealth and political power is perceived to be in the wrong hands. There are abundant publicized accounts of inter-ethnic fighting between groups such as the Dinka, Murle and Nuer over land and cattle. While yet to reach the same intensity, there is growing criticism and harassment of Ugandans, Kenyans, Ethiopians, Eritreans, Somalis, Indians and Chinese because they are perceived as taking too many of the jobs and natural resources, robbing Southern Sudan of its future.

Then there is the well documented absence of physical and personnel infrastructure. While much of the country’s leadership received university educations in Khartoum, overseas or elsewhere in Africa, most Southern Sudanese are lucky to have more than an elementary education, and almost all vocational schools and the traditional oral transference of skills were crippled by decades of war. Municipal services such as trash collection, sewage, electricity and telecommunication are virtually impossible to find outside of major cities such as Juba or Bor. Most essential materials, such as building supplies and wooden utility poles, are imported at great cost.

Foreign aid, charities, and an inconsistent share of oil revenues from Khartoum have until now been just enough to sustain the Southern Sudanese and their government, keep the unpaved roads minimally traversable, the hospitals and schools nominally functional. Foreign government assistance efforts and others private and religious based groups will not leave immediately after independence Sovereign ownership of the oil resources will bring money to the government, but the global economic crisis has tightened budgets throughout North America and Europe, and constructing a civil society or a prosperous economy requires more than charity and petrodollars.

The Southern Sudanese need partners, not just donors. Invaluable efforts are being made to train the country’s civil servants, police, lawyers and doctors – the administrative lifeblood of a state – but they will need mentorship and guidance beyond any short term or limited seminars and training programs. Businesses in the United States, Canada, Germany, France, the U.K. and elsewhere must help grow the private sector in cities like Juba, Bor and Malakal, and advise a new generation of entrepreneurs. The Southern Sudan’s health and prosperity is imperative to the stability of East Africa.

Money will pour into Southern Sudan, and many journalists are already describing the “boom town” atmosphere of the capitol city Juba. Without the capacity to educate and train its own people, grow its own industries and carefully develop its own business ethics, there is the risk it will drown in the billions of dollars and unscrupulous interests that chase gold, oil and land in Africa and throughout the developing world. Oil wells, strip mines and factories can quickly become fountains of pollution and corruption, civil discontent, poverty and misery.

The Southern Sudanese are well aware of their situation, the price they’ve paid to get this far, and the challenges ahead. But having only begun to manage their own lives after years of oppression and guerilla warfare, there is almost too much to learn in too little time. They have earned more attention and engagement from Europe and America but only time will tell if we have the ability to selectively reward the countries that most deserve our support.

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Christopher Weikert Douglas is a founding partner and director of Kinyeti Development, a private company engaged in the economic development of South Sudan. He has travelled extensively throughout Europe, Southeast Asia, China and the Middle East. He received his B.A. from The University of the South, Sewanee, and M.A. from the Patterson School of Diplomacy and International Commerce of the University of Kentucky and an M.A. in German also in 2008.”

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Der „Mandela der Kurden“

Ismail Besikci stellte sein Leben in den Dienst der Wahrheit und nimmt dafür enorme Opfer auf sich – Eben wurde er wieder zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt

von Birgit Cerha

Ismail Besikci liebt nicht das Rampenlicht. Er meidet Interviews und pflegt eine ungewöhnliche persönliche Bescheidenheit. Seine körperliche Zartheit, die sanfte Stimme und die ausgeprägte Freundlichkeit im Umgang mit seinen Mitmenschen können längst nicht mehr einen unbeugsamen Charakter verdecken, Hartnäckigkeit, Mut und Entschlossenheit, für seine Überzeugung alles, sein ganzes Leben in Freiheit, aufs Spiel zu setzen. Keiner hat je den mächtigen türkischen Staat derart herausgefordert wie dieser heute 71-jährige Wissenschafter, den Gerichte in insgesamt mehr als 40 Prozessen mit weit über hundert Jahren Gefängnis und rund einer Million Lira (etwa 510.000 Euro) bestraften.
Anfang März wurde Besikci wieder zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt. „Propaganda“ für die verbotene „Kurdische Arbeiterpartei“ PKK wirft ihm das Gericht vor. Und die Anklage bezog sich auf einen Artikel in der Zeitschrift der „Contemporary Lawyers Association“ zu dem Thema „Die Rechte der Völker auf Selbstbestimmung und die Kurden“. Der anstößige Absatz lautete: „Die Kurden haben in den vergangenen 200 Jahren für ihre Freiheit, für ein freies Land gekämpft; und sie zahlen dafür heute den Preis….Syrien, Iran und die Türkei beherrschen die Kurden mit eiserner Hand…….. Diese Staaten waren stets in der Lage, ihre politische, ideologische, diplomatische und militärische Macht gegen sie zu vereinen. Es liegt auf der Hand, dass diese gemeinsame Kontrolle nicht Gerechtigkeit hervorbringt, sondern deren konstante Verletzung. Unter diesen Bedingungen ist Widerstand gegen Unterdrückung ein legitimes Recht….“.

Wiewohl sich Besikci, wie kein anderer Türke je, konsequent und dauerhaft für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden eingesetzt hat, und dafür von vielen Kurden auch als Held geachtet und verehrt wird, hat er sich doch stets einen politisch völlig unabhängigen Geist bewahrt. So geriet er denn auch in den vergangenen Jahren in Konflikt mit der PKK, die ihn offen kritisiert. Der Vorwurf der Propaganda für diese Bewegung grenzt damit an Absurdität.

Einige Jahre hatte Besikci nun ruhig in Freiheit gelebt und wissenschaftlich gearbeitet, zurückgezogen in seiner Wohnung in Ankara. Das Gefängnis hatte sein ganzes Erwachsenenleben begleitet, insgesamt 17 Jahre lang hatte er – mit Unterbrechungen – in diversen türkischen Haftanstalten gelitten, weil er immer und immer wieder Wahrheiten aussprach, wissenschaftliche Forschungen betrieb, die in der Republik Atatürks bis heute als Tabu, ja als „Staatsverrat“ gelten.

Ismail stammt aus einer konservativen, nationalistischen Familie aus Iskilip in der nordwestlichen Provinz Corum, studierte Politologie in Ankara, einem Institut, aus dem viele hohe Bürokraten und ein Teil der politischen Elite des Landes hervorgingen. Sein Interesse an den kurdischen Mitbürgern erwachte, als er Studentenjobs in der östlichen Provinz Elazig annahm. Die Beobachtung, dass Bezirksgouverneure sich für die Kommunikation mit der lokalen Bevölkerung der Hilfe von Dolmetschern bedienen mussten, weckten erstmals schwere Zweifel an der orthodoxen Staatsdoktrin der unteilbaren Einheit der Türkei und der Leugnung der Existenz eines kurdischen Volkes. Dazu erläuterte Besikci 1992 in einem Vorwort zu einer Neuauflage seiner Dissertation: „Es hieß, die Kurden seien von ihrem Ursprung her Türken und ihre Sprache habe sich aus der türkischen entwickelt. Doch in Elazig wurde ich…..mit völlig anderen sozialen und kulturellen Realitäten konfrontiert: einer anderen Sprache und einer anderen Kultur. Ich sah, dass die Realitäten auf dem Boden und die Behauptungen, die an den Universitäten und in den Medien aufgestellt wurden in Widerspruch miteinander standen. So wurde die Saat fundamentaler Zweifel gelegt, die später erblühen sollte…..“

Seine Doktorarbeit, die nach eigenen Aussagen trotz seiner ersten Erkenntnisse noch von der tief eingetrichterten kemalistischen Ideologie geprägt war, widmete er einem der letzten kurdischen Nomadenstämme, den Alikan. Von da an ließ ihn die Erforschung des kurdischen Volkes nicht mehr los. Er fand 1965 eine Anstellung als Soziologie-Assistent an der Atatürk-Universität in Erzurum, wo er nicht nur wegen seiner marxistischen Neigungen, sondern vor allem wegen seiner Arbeiten, in denen er ausführlich die Eigenständigkeit der kurdischen Sprache und Kultur beschrieb, auffiel. Der Geist, der die Kollegen prägte, die schließlich 1971 seinen Verbannung aus der Universität bewirkten, tritt in einem offenen Brief erschreckend zutage: „In seinen Schriften befasst sich Besikci mit den Kurden. Er erläutert, dass es, abgesehen von der türkischen Nation, eine eigene Nation gäbe, deren Sprache und Kultur anders als die türkische Sprache und Kultur seien. Die angesehensten Autoren und wissenschaftlichen Autoritäten haben jedoch bewiesen, dass diese Thesen wissenschaftlich nicht haltbar sind…. Kurde sein heißt Türke sein. Es gibt auch keine kurdische Sprache….. Diese Person verletzt unsere Würde als Person und Wissenschaftler. Deshalb sind wir an einer Verurteilung und einer entsprechenden Bestrafung dieser Person interessiert.“

Dieser Brief bildete den Auftakt einer Kette von Anklagen und Verurteilungen, die von da an Besikcis Leben prägen sollten. Der junge, hochbegabte Wissenschaftler verlor seine Lehrbefugnis und begann als freier Schriftsteller zu arbeiten. Besikci fristete ein Dasein zwischen Gefängnismauern und kurzen Freiheitsperioden, die er umgehend dazu nutzte, seine Forschungen über die Kurden fortzusetzen und unbeeindruckt vom Repressionsapparat der atatürk’schen Republik seine „staatsverräterischen“ Erkenntnisse über die Kurden zu Papier brachte.

Besikci publizierte eine Serie von Studien (in insgesamt sieben Bänden) über die kemalistische Politik gegenüber den Kurden. „Dies stellt den ersten systematischen Versuch einer ernsthaften Revision republikanischer Geschichte dar, der in der Türkei erschien“, stellt der niederländische Soziologe Martin van Bruinessen fest. Für jede einzelne Veröffentlichung wurde Besikci vor Gericht gezerrt. Erstmals erhielt er 1971 eine 13-jährige Haftstrafe wegen „Verbrechen gegen die Unteilbarkeit der türkischen Nation“, gelangte aber schon drei Jahre später in den Genuß einer Amnestie. Doch die akademische Laufbahn wurde ihm endgültig verwehrt. So setzte Besikci seine Forschung privat fort und fristete ein ökonomisch äußerst dürftiges Dasein.

Besonders schmerzlich muss es diesen unermüdlichen und so mutigen Kämpfer um die Wahrheit getroffen haben, dass sich die Welt der Wissenschaft in seiner Heimat fast vollständig von ihm abwandte. Besikci wurde gemieden und isoliert, weil selbst jene, die seinen Überzeugungen mit Sympathie gegenüberstanden um ihre eigene Zukunft und Existenz fürchteten. Doch auch diese Härte der Einsamkeit konnte ihn nicht bezwingen. Besikci kämpfte weite, forschte weiter, schrieb und sprach weiter und nahm geduldig die harten Konsequenzen auf sich. Er publizierte insgesamt 36 Bücher. 32 davon wurden in der Türkei sofort verboten. Acht mal wurde er verhaftet. Er war der erste Mensch, der wegen der absurden Behauptung, er hätte eine „Ein-Mann-Organisation“ gegründet, verurteilt wurde. Da er die Geldstrafen, mit denen er für jedes seiner verbotenen Bücher belegt wurde, nicht bezahlen konnte, verlängerte sich seine Haft pro Buch um mindestens drei weitere Jahre. In den 70er Jahren wurde er für die Bücher „Die Zwangsumsiedlung der Kurden“ und „Eine türkische Sicht der Geschichte“ verurteilt und 20 Jahre später erhielt er erneut eine Gefängnisstrafe für dieselben Schriften.

Niemals zuvor in der türkischen Geschichte, stellt Bruinessen fest, hätte ein Wissenschaftler, ein Schriftsteller je eine derart endlose Serie von Prozessen und Urteilen für fast jede öffentliche Äußerungen erdulden müssen, wie Besikci. Mit dieser Odyssee für den unbeugsamen Kämpfer um die Wahrheit wollte der türkische Staat offensichtlich ein Exempel statuieren und die Welt der Wissenschaft einschüchtern, sich doch ja nicht an dieses verbotene Thema zu wagen. Ein eindrucksvoller Erfolg blieb nicht aus!

International fanden sich allmählich Stimmen, die sich für ihn einsetzten. 1987 wurde er auch auf die Liste der Kandidaten für den Friedensnobelpreis gesetzt. Unbeeindruckt setzte Besikci seinen Kampf fort und macht zugleich deutlich: „Ich bin ein Intellektueller. Ich schreibe und forsche. Mit Gefängnis können sie mich nicht fertig machen.“

In einem Brief an den deutschen Friedensaktivisten Andreas Buro klagte Besikci 2008, dass es „keine Parallele auf dieser Welt zum Leid der Kurden und Kurdistans“ gäbe, „deren Identität geleugnet wird und deren territorialen Grenzen auf keiner Landkarte aufscheinen“. Und er stellt fest: „Es ist ironisch, dass die Kurden und Kurdistan gerade zu einer Zeit gespalten und geteilt wurden, als die Bolschewiken ebenso wie (der amerikanische) Präsident Woodrow Wilson enthusiastisch das Recht der Völker auf Selbstbestimmung verkündeten. Die klassische Politik des Teile und Herrsche manifestiert sich in Kurdistan als Teile, Herrsche und Vernichte.“

An anderer Stelle beklagt Besikci den „spezifischen türkischen Rassismus“, der „reaktionärer, inhumaner und destruktiver“ sei als einst Südafrikas Apartheid-Politik. „Während man den Schwarzen in Südafrika beibrachte, dass sie anders, eben schwarz, seien und daher getrennt von den Weißen und Farbigen zu leben hätten, trichterte man den Kurden in der Türkei ein, dass sie mit den Türken leben müssten und daher wie sie sein müssten.“ Es sei viel schlimmer, zum Leugnen seiner eigenen Wurzeln gezwungen zu werden, d.h. zur Assimilation, als getrennt leben zu müssen. „Warum vermag sich der spezifische türkische Rassismus auch der kleinsten Veränderung zu widersetzen, während das Apartheid-Regime radikalem Wandel unterzogen werden konnte?“

Bei Beginn seines jüngsten Prozesses im Juli 2010 betonte Besikci in seiner Verteidigungsrede: Die kurdische Existenz werde zwar in den Medien nicht mehr – im Gegensatz zu früher – geleugnet, aber es fehle weiterhin am Willen für eine politische Lösung. Ohne Meinungsfreiheit sei auch keine Öffnung des politischen Lebens in der Türkei möglich. „Das freie Denken, die freie Kritik ist das wichtigste Kriterium der Demokratie.“

Gegenüber den politischen Reformen, die die Türkei auf Druck der EU in die Wege geleitet hat, insbesondere im Bereich des Strafrechts und der Kurdenpolitik, zeigt sich Besikci – das größte Opfer unveränderter staatlicher Repression – wenig überraschend äußerst skeptisch. Und er kritisiert offen die Politik der PKK, die sich auf „kulturelle Forderungen“ beschränkt und die Ansprüche der Kurden durch „Brüderlichkeitsfloskeln“ übertünche. „Die Kurden betonen ihre Forderungen nach Frieden“, obwohl sie „Gleichheit“ fordern müssten. „Das Verständnis über Brüderlichkeit steht diesen Forderungen im Weg und erstickt sie förmlich. Und schon spielt der Staat mit den Kurden, die ‚Brüderlichkeit’ einfordern“ und mahnt sie: „Ihr fordert beständig Brüderlichkeit, warum gehorcht ihr also nicht eurem älteren Bruder.“

Ungeachtet dieser kurdischen Beteuerungen von „Brüderlichkeit“ mit den Türken, geht ja tatsächlich der türkische Assimilierungsprozeß in unverminderter Härte und Konsequenz weiter. Zwar ist jetzt kurdisches Fernsehen erlaubt, dürfen kurdischen Sänger in aller Öffentlichkeit Lieder in Kurdisch singen. Doch kein kurdisches Kind darf bis heute seine Muttersprache in der Schule erlernen.

Besikci drängt die Kurden, ihre politischen Forderungen konsequent vorzubringen, unentwegt auf ihren natürlichen Rechten zu bestehen und diese zu verteidigen, nur so könnten sie „die ablehnende und vernichtende Politik der Türkei bezwingen“.

Besikci, der einzige Türke, der stets treu zu den Kurden gestanden ist, gilt heute als ein wichtiges Symbol für kurdische Selbstbestimmung und für die Menschenrechtsbewegung in der Türkei. Liebevoll nennen ihn manche voll Hochachtung den „Mandela der Kurden“, der den höchsten Einsatz seiner Freiheit nicht einmal für sein eigenes Volk wagt, sondern für ein anderes, das von seinem eigenen unterdrückt wird.

Einige aufgeklärte türkische, kurdische und andere Intellektuelle haben unterdessen weltweit eine Kampagne zur Unterstützung Besikcis unter dem Motto gestartet: „Die Ehre der Wissenschaft wird nicht allein gelassen.“ Und die „Ankara Initiative für Gedankenfreiheit“ verkündet, „Ismail Besikci ist unser Gewissen. Wir werden nicht zulassen, dass unser Gewissen zum Schweigen gebracht wird.“

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Dienstag, 8. März 2011

Irans Hardliner verstärken ihre Position

Rafsandschani, der einst einflussreichste Gegner Präsident Ahmadinedschads verliert Schlüsselposition im Regime

von Birgit Cerha

Seit eineinhalb Jahren hatten die Ultras der „Islamischen Republik“ um Präsident Ahmadinedschad alles versucht, um Ali Akbar Rafsandschani zu Fall zu bringen. Der erste Schritt ist nun gesetzt. Dienstag wählten die Mitglieder des Expertenrates den gemäßigt konservativen Ayatollah Mohammed Reza Mahdavi Kani zum neuen Chef dieses mächtigen Gremiums, das die Arbeit des „Geistlichen Führers“ zu überwachen hat, diesen abberufen kann und im Falle einer Vakanz einen neuen bestellt. Zuvor hatte der bisherige Vorsitzende Rafsandschani auf massiven Druck seiner erzkonservativen Gegner auf eine erneute Kandidatur verzichtet.
Rafsandschani bleibt – vorerst noch? – Vorsitzender des wichtigen „Wächterrates“, der de facto als Oberhaus des Parlaments agiert und über die Kandidaturen bei Präsidentschafts- und Parlamentswahlen entscheidet. Doch die Rufe nach seinem totalen politischen Sturz werden immer lauter.

Drei Jahrzehnte lang hatte dieser Geistliche, den der Volksmund wegen seiner ausgeprägten Bauernschläue „den Hai“ nennt, die politische Szene des Landes beherrscht. Nachdem fast die gesamte politische Führung der neu gegründeten Islamischen Republik in den frühen 80er Jahren durch Terror ausgerottet worden war, hatte sich für Rafsandschani das Tor an die Spitze des Staates geöffnet. Als engster Vertrauter Revolutionsführer Khomeinis spielte er eine entscheidende Rolle bei der Ernennung Khameneis zum neuen „Geistlichen Führer“. Seither verband die beiden mächtigsten Männer in der Islamischen Republik eine aus Machtgelüsten geborene, durch Rivalitäten geprägte Beziehung, mit einer starken Abhängigkeit Khameneis von diesem Meister des politischen Spiels. Acht Jahre lang stand Rafsandschani als Präsident und anschließend als Leiter wichtiger Gremien und Berater dem „Führer“ zur Seite.

Die Beziehung zeigte 2005 erstmals offen tiefe Risse, als Rafsandschani im zweiten Wahlgang um die Präsidentschaft gegen den unbekannten Ahmadinedschad verlor. Dass diese Wahlen – auf Wunsch Khameneis – manipuliert waren, wie jene 2009 steht längst fest. Doch Rafsandschani konnte seine Positionen behaupten, zeigte von da an aber offen seine Feindschaft gegenüber dem Präsidenten. Dramatisch spitzte sich die Situation während der blutigen Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen 2009 zu, als Rafsandschani, der indirekt Ahmadinedschads Gegenkandidaten Mussawi, den späteren Führer der „Grünen Bewegung“, unterstützte, politische Reformen und die Freilassung Hunderter während der Demonstrationen Verhafteter forderte. Daraufhin verlor er seine politisch einflussreiche Rolle als „Freitagsprediger“. Wochenlange Abwesenheit aus der Öffentlichkeit nährte Vermutungen, Rafsandschani versuche die hohen Geistlichen für ein Absetzungsverfahren gegen Khamenei zu mobilisieren. Er gewann jedoch nicht ausreichende Unterstützung.

Seither verschärften sich die Spannungen in der Spitze des Staates. Auch Rafsandschanis Familie geriet immer mehr ins Schussfeld. Die Tochter Faizeh, die sich offen der „Grünen Bewegung“ angeschlossen hatte, wurde nicht nur von Geheimagenten als „Prostituierte“ beschimpft, sondern mehrfach festgenommen. Ein Sohn, Mohsen Hashemi, zog sich in der Vorwoche als Chef des Teheraner U-Bahn-Projekts zurück, weil ihm dafür die Subventionen von der Regierung verweigert worden waren. Und erstmals zeigte das staatliche Fernsehen eine Kundgebung, bei der Demonstranten „Tod Hashemi Rafsandschani“ brüllten. Derart unter Druck distanzierte sich Rafsandschani schließlich offen von der Opposition: „Einige Leute sind unzufrieden. Ich rate ihnen, (zum Regime) zurückzukehren, denn wir haben derzeit keine Alternative“. Doch diese Erklärung erschien den Ultras um Ahmadinedschad und die Revolutionsgarden als zu wenig zu spät.

Rafsandschani ist ein Pragmatiker der Macht und persönlicher Interessen. Er schaffte mit zweifelhaften Methoden den Aufstieg zum reichsten Mann des Landes. Er trägt die Verantwortung für Morde an Oppositionellen der 80er Jahre im In- und Ausland. Dennoch hätte er eine entscheidende Vermittlerrolle zugunsten der „Grünen Bewegung“ spielen können. Nun aber sind die Ultras auf dem besten Weg, sich endgültig dieses mächtigen und lange so gefährlichen Gegners zu entledigen.

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